Gespräch

„Bravo“-Starschnitte kommen ins Museum: Vom Kinderzimmer in die Opelvillen Rüsselsheim

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INTERVIEW
Philine Sauvageot
ONLINEFASSUNG
Lydia Huckebrink

Nena lebensgroß im Teenagerzimmer, Abba, Udo Lindenberg: Die Starschnitte der Jugendzeitung „Bravo“ prägten die Popkultur zwischen 1960 und 2000. Jetzt kommen sie ins Museum.

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Teenager opfern ihr ganzes Taschengeld

Ja, auch sie habe zu Teenie-Zeiten Starschnitte in ihrem Zimmer gehabt. „Dann oute ich mich jetzt“, sagt Beate Kemfert, Kuratorin der Ausstellung in den Opernvillen Rüsselsheim. Sie selbst gehöre zur Generation der Boomer, sagt sie in SWR2, aufgewachsen in den Siebzigern.

Bravo Starschnitte
Nicht billig: Wer Britney Spears komplett wollte, musste lange sammeln.

„Wir hatten sehr wenig“, sagt sie. Eine Ausgabe der „Bravo“ kostete damals eine Mark. „Da musste man erstmal darauf sparen. Manche Starschnitte erstreckten sich über 40 Ausgaben. Das war dann wirklich sehr viel Geld.“

Nostalgie in den Opelvillen Rüsselsheim

Der Kult um die Starschnitte ist lang vorbei. Ist dadurch der Blick freigeworden auf den Kunstwert der Postermosaike? Sie finde es zumindest bemerkenswert, wie sehr die Starschnitte Bildmotive aus sakralen und antiken Kontexten aufgreifen würden, sagt Kemfert. „Es war gar nicht so leicht, so ein Foto zu schießen.“

Dennoch mache sie sich keine Illusionen. Der Reiz der Starschnitte habe vor allem mit Nostalgie zu tun. „Wenn man jetzt in die Ausstellung geht, kann man jüngere Menschen – ob das Kinder sind oder Enkelkinder – mitnehmen und gemeinsam auf Zeitreise gehen.“

Nostalgie und Popkultur

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Vinyls, Buffalos und Synthesizer: Warum sind wir gerade so nostalgisch?

Die 80er und 90er Jahre sind zurück! Scheint zumindest so, wenn man aktuelle Musik hört oder Trends auf der Straße sieht. Und auch Apache 207 singt: “Ich seh' aus wie die Nineties, sie kriegt Daddy-Issues”. Aber woher kommt die Lust an der vergangenen Zeit? War früher wirklich alles besser? Oder reden wir uns die schnelllebige, digitale Gegenwart voller Krisen und Unsicherheiten schön?

Dass wir uns eher an positive Zeiten als an die negativen erinnern, bestätigt uns Monika Schönauer, sie ist Professorin für Neuropsychologin an der Uni Freiburg: “Je schlechter die Zeiten, desto mehr hat man einen Hang zur Nostalgie. In der Psychologie sagt man, Nostalgie ist ein Gefühl: Und wir können Erinnerungen abrufen, die dieses Gefühl auslösen.”

Pop-Experte und Autor Jens Balzer ist gerade aus den 90er-Jahren quasi wieder aufgetaucht: Er hat sich für sein neues Buch intensiv mit dem Jahrzehnt beschäftigt. Mauerfall, Ende des Kalten Krieges, das Ende der Geschichte: Es sie keine Überraschung, dass sich gerade viele nach den 90er-Jahren sehnen: “Die große Kriegsbedrohung, unter der man in den 80er-Jahren litt, war vorbei. Junge Menschen kamen ganz anders zusammen und feierten.” Diese Lust an Party habe zum Beispiel den Geist Berlins geprägt, der bis heute anhält.

Aber natürlich war früher eben nicht alles besser und Nostalgie hat nicht nur ihre schönen Seiten: Rechtspopulistische Politiker verklären gern die alten Zeiten und für viele, insbesondere queere Menschen, Frauen oder People of Colour waren die “guten alten Zeiten” oft alles andere als gut. Und es gebe natürlich auch ein kapitalistisches Interesse daran, die vergangenen Jahrzehnte zu verwerten, sagt Balzer: “Dass Serien wie Stranger Things gerade so populär sind, liegt auch daran, dass das die Generation der Boomer sei, die genug Geld hat, um zum Beispiel in die passenden Fashion-Items zu investieren.” Worin sich alle vier einig sind: Corona-Mottopartys in dreißig Jahren? Sie werden kommen!

Welches Jahrzehnt ruft bei euch nostalgische Gefühle hervor? Mailt uns, auch mit Feedback und Themenvorschlägen, an kulturpodcast@swr.de!

Host: Pia Masurczak und Christian Batzlen
Showrunner: Kristine Harthauer

Jens Balzers Buch über die 90er-Jahre: “No Limit. Die Neunziger - Das Jahrzehnt der Freiheit” https://www.rowohlt.de/buch/jens-balzer-no-limit-9783737101738

Gespräch Pop-Experte Jens Balzer untersucht die 90er-Jahre: „No Limit – das Jahrzehnt der Freiheit“

Nach den 70er und 80er Jahren untersucht Jenz Balzer in seinem neuen Buch die 90er Jahre aus dem dem Blickwinkel die Popkultur. Gerade hier habe sich diese Herangehensweise angeboten, so Balzer in SWR2, weil die Auseinandersetzung mit den 80ern „mit einem ganz großen Cliffhanger“ endete: dem Fall der Berliner Mauer.

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