HOME SWEET HOME. Zuhause sein von 1900 bis heute (Foto: Pressestelle, P.A. Böckstiegel-Freundeskreis Werther (Westf.) / VG Bild-Kunst, Bonn 2024)

Internationale Tage Ingelheim

„Home Sweet Home“: Freizeit und Homeoffice in der modernen Kunst

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AUTOR/IN
Natali Kurth
SWR Autorin Natali Kurth (Foto: SWR, Natalie Kurth)
ONLINEFASSUNG
Clemens Zoch

Was macht das „Zuhause“ aus und was machen wir zu Hause? In „Home Sweet Home“, die diesjährige Ausstellung der Internationalen Tage Ingelheim, sind mehr als 100 Künstler*innen mit ihrer ganz persönlichen Sicht auf das Leben und Arbeiten im „trauten Heim“ ausgestellt, darunter Max Beckmann, Pablo Picasso und Käthe Kollwitz.

Ich habe mir beim Konzept zu der Ausstellung die Frage gestellt: Was bedeutet das Zuhause für mich, wenn ich wirklich darauf zurückgeworfen bin?

Nicht nur „Home Sweet Home“ – Das Zuhause ist ein Ort der Gegensätze

„Home Sweet Home“ steht auf vielen Fußmatten, bemalten Blechschildern an Haustüren oder auch auf Servietten. Was das Zuhause ausmacht, ist allerdings ganz unterschiedlich. Zu Hause kann man seine Freizeit verbringen, aber auch arbeiten.

In der Kunst gibt es viele Beispiele, die diese Gegensätze darstellen.  

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Für Kunsthistorikerin Katharina Henkel, neue Leiterin der Internationalen Tage Ingelheim, ist die aktuelle Ausstellung richtungsweisend für das, was in den nächsten Jahren passieren wird: „Deswegen war es mir wichtig, ein breites Spektrum von Künstler*innen zu zeigen und möglichst viele Gattungen.“

HOME SWEET HOME. Zuhause sein von 1900 bis heute (Foto: Pressestelle, Eleanor Macnair)
Eleanor Macnair (*1977 Nottingham, England) Katalog-Cover, Nan, one month after being battered (1984) by Nan Goldin, Giclée-Print, 2015/Photography rendered in Play-Doh. Bild in Detailansicht öffnen
HOME SWEET HOME. Zuhause sein von 1900 bis heute (Foto: Pressestelle, P.A. Böckstiegel-Freundeskreis Werther (Westf.) / VG Bild-Kunst, Bonn 2024)
Conrad Felixmüller (1897 Dresden – 1977 Berlin), Ruhende, Londa lesend, 1931, Aquarell Bild in Detailansicht öffnen
HOME SWEET HOME. Zuhause sein von 1900 bis heute (Foto: Pressestelle, VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Dr. Martin Oskar Kramer)
Patricia Waller (1962 Santiago de Chile, Chile), René, 2020, Acrylwolle, Stoff, Styropor, Füllwatte, Häkelarbeit. Bild in Detailansicht öffnen
HOME SWEET HOME. Zuhause sein von 1900 bis heute (Foto: Pressestelle, Christoph Irrgang, Hamburger Kunsthalle/bpk)
Erich Hartmann (1886 Elberfeld – 1974 Sylt), Die Büglerin, 1927, Öl auf Leinwand. Bild in Detailansicht öffnen
HOME SWEET HOME. Zuhause sein von 1900 bis heute (Foto: Pressestelle, Herling/Gwose/Werner, VG Bild-Kunst, Bonn 2024)
Karl Schmidt-Rottluff (1884 Chemnitz – 1976 Berlin), Mädchen sich den Fuß trocknend, 1913, Holzschnitt auf Bütten, Sprengel Museum Hannover, Schenkung Nachlass Roas Schapire, London (1955). Bild in Detailansicht öffnen
HOME SWEET HOME. Zuhause sein von 1900 bis heute (Foto: Pressestelle, Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen, Die Kulturgutscanner-ARTOTHEK)
Pierre Bonnard (1867 Fontenay-aux-Roses, Frankreich – 1947 Le Cannet, Frankreich), Frau sitzt in der Badewanne, 1942. Bild in Detailansicht öffnen

Raum zum Dösen, Faulenzen, Nichtstun

In der Freizeit kann man einem Hobby nachgehen: Musikmachen, Lesen oder einfach nur Dösen. Nichtstun war lange der Inbegriff der Faulheit. Aber oft entstehen gerade erst aus der Langeweile gute Ideen. In der Kunstgeschichte gibt es viele Beispiele dafür, wie Künstler den Alltag „Zuhause“ darstellen.

Gepflegter Müßiggang mit Kartenspielen, Würfeln und Schach

Der Künstler Paul Kayser (1869 -1942) malte um 1916 das Gemälde „Schachspiel“. Es zeigt ihn und seine Frau, wie sie beide an einem kleinen runden Tisch sitzen und über die nächste Partie grübeln.

Das „Schachspiel“ (um 1916) von Paul Kayser in der Ausstellung „Home sweet Home – Das Zuhause in der Kunst“ (Foto: © Hamburger Kunsthalle/bpk)
„Schachspiel“ von Paul Kayser, um 1916 entstanden, zeigt den Künstler mit seiner Frau beim abendlichen Schachspiel.

Der Künstler hält eine Zigarette in der rechten Hand. Seine Frau stützt ihren geneigten Kopf auf der Hand auf. Draußen ist es dunkel und eine kleine Lampe wirft Licht auf das Schachbrett. Beide wirken sehr konzentriert und das Schachspiel scheint ein allabendliches Ritual zu sein.

In der Kunstgeschichte gibt es einige Beispiele für Künstler*innen, die sich für Schach begeisterten. Vermutlich ist Schach auch einer der am meisten dargestellte Zeitvertreib in der Kunst. Adlige in der Renaissance spielten Schach, ebenso wie Teilnehmer der bürgerlichen Salons im 18. und 19. Jahrhundert. Auch der Konzeptkünstler Marcel Duchamp war ein passionierter Schachspieler.

Bed and Breakfast: Tagesauftakt im Schlafzimmer

Wer würde so nicht gerne den Tag beginnen: eine Tasse Kaffee im Bett und gemütlich mit einem guten Buch oder einer Zeitung in den Tag starten? Klingt gestrig, da ja Handy und Laptop der kurzweiligen Information dienen?

HOME SWEET HOME. Zuhause sein von 1900 bis heute (Foto: Pressestelle, VG Bild-Kunst, Bonn 2024,  Katrin Hammer)
Fides Becker: „Bettfrühstück“ (2024)

Die Künstlerin Fides Becker (*1962) sieht das anders. In ihrer Acrylarbeit auf Japanpapier, die 2024 entstanden ist, zeigt sie sich selbst im Bett sitzend, mit einer Tasse in der Hand und einer Zeitung auf dem Schoß.

Das Motiv der Lesenden

August Macke: „Lesende Frau“ (Elisabeth Macke, Farbkreiden auf Papier) 1912 -  Der Künstler August Macke porträtierte seine Frau Elisabeth mehr als 200 Mal. (Foto: Foto: Staatsgalerie Stuttgart )
Der Künstler August Macke porträtierte seine Frau Elisabeth mehr als 200 Mal. August Macke: „Lesende Frau (Elisabeth Macke)“, Farbkreiden auf Papier, 1912

Das Motiv der Lesenden zieht sich quer durch die Kunstgeschichte. August Macke porträtierte seine Frau Elisabeth zum Beispiel in allen möglichen Variationen. Auch als „Lesende“. Seine Pastellzeichnung mit Farbkreiden aus dem Jahr 1912 zeigt sie mit herabgesenkten Augenlidern, wie sie einen Brief liest. Sie scheint völlig versunken in den Inhalt und wirkt nachdenklich.

Blaue Stunde: Inszeniertes Nichtstun

HOME SWEET HOME. Zuhause sein von 1900 bis heute (Foto: Pressestelle, Jens Krüger)
Walter Gramatté: Liegendes Mädchen (Sonia Gramatté), Aquarell und Tusche, 1921

In der Dämmerung liegt eine junge Frau auf ihrem Bett. Sie trägt ein aufwendig gearbeitetes blaues Kleid, auch die Wände des angedeuteten Raumes und die Einrichtungsgegenstände, wie eine Vase, sind in Blautönen gehalten.

Blau symbolisiert in der Kunst oft „Ruhe“. Das Werk „Liegendes Mädchen“ von Walter Gramatté aus Aquarellfarbe und Tusche aus dem Jahr 1921 zeigt seine Tochter Sonja Gramatté beim Müßiggang „Zuhause“.

Handarbeit oder Homeoffice: Das „Zuhause“ als Ort der Arbeit

Stricken ist mehr als nur ein Hobby oder eine Handarbeit. In der Zeit des Ersten Weltkrieges etwa strickten Frauen wärmende Socken oder Schals für die Soldaten an der Front.

Die Internationalen Tage in Ingelheim 2024 präsentieren die Ausstellung „Home sweet Home – Das Zuhause in der Kunst“ (Foto: Foto: Staatsgalerie Stuttgart)
Im Ersten Weltkrieg strickten viele Frauen wärmende Kleidung für die Soldaten an der Front. Ernst Ludwig Kirchner: „Strickende Bäuerin (Cathrin Müller)“, Bleistift auf Papier, 1918/19

Der Brücke-Künstler Ernst Ludwig Kirchner porträtierte 1918/19 eine strickende Bäuerin mit Bleistift auf Papier. Sie drückt die Verbindung von Alltag und Arbeit aus und kann symbolisch für Zusammenhalt und Solidarität in einer unsicheren Zeit gesehen werden.

Kirchners ausdrucksstarke Linienführung entspricht dem expressionistischen Stil, der sich auf wesentliche Merkmale wie Gesichtsausdruck, Gestik und Haltung konzentriert.

Picasso: Im Atelier zu Hause

Für manche Künstler ist das Atelier ihr Zuhause. Es ist wohnlich eingerichtet und gleichzeitig verbringen sie dort den ganzen Tag mit künstlerischem Tun. Pablo Picasso wurde oft in seinem Atelier fotografiert.

Die Internationalen Tage in Ingelheim 2024 präsentieren die Ausstellung „Home sweet Home – Das Zuhause in der Kunst“ (Foto: © Succession Picasso/VG Bild-Kunst, Bonn 2024)
Der Fotograf André Villers fotografierte Pablo Picasso in seinem Atelier in Südfrankreich. André Villers: Picasso in Vallauris, Fotografie, 1955.

Der Fotograf André Villers fotografierte um 1955 mehrfach Picasso in sehr persönlichen Situationen und während seines kreativen Schaffens in seinem Atelier im südfranzösischen Vallauris.

Schreibtisch am Palmenstrand

Das Meer, ein schneebedecktes Gebirge oder eine Wand voller Orchideen – solche Hintergründe kann sich jeder für virtuelle Sitzungen auf den Laptop oder PC hochladen. Oft sagen die Hintergründe viel über die jeweilige Stimmung oder einen Lieblingsort der Sitzungsteilnehmer aus.

Thomas Wrede (*1963 Iserlohn): Büro am Palmenstrand, 2001, Fotografie, 110 x 95 cm (Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2024)
Thomas Wrede: Büro am Palmenstrand, Fotografie, 2001.

Der Künstler Thomas Wrede hat sich mit seiner Arbeit „Büro am Palmenstrand“ schon lange vor Corona und dem Homeoffice-Siegeszug in virtuelle Welten geträumt und Foto-Tapeten deutscher Wohnzimmer fotografiert. Seine Fotografie aus dem Jahr 2001 zeigt einen großen sandfarbenen Schreibtisch, der optisch fließend in den darunterliegenden Sandstrand übergeht.

Büro im Koffer

Während der Corona-Pandemie hat die Möbelindustrie auf den Trend „Homeoffice“ reagiert und funktionale Schreibtische und platzsparende Regale auf den Markt gebracht. Das „Zuhause-Arbeiten“ ist zur Normalität geworden. Und nicht jeder kann sich eine größere Wohnung oder ein Haus mit mehr Zimmern leisten.

Die Internationalen Tage in Ingelheim 2024 präsentieren die Ausstellung „Home sweet Home – Das Zuhause in der Kunst“ (Foto: Internationalen Tage in Ingelheim)
Der Wandsekretär wird genutzt, um den Fragebogen zur Ausstellung auszufüllen: Welche Relevanz hat der Schreibtisch vor und nach Corona?

Der Wandsekretär „Nubo“ von GamFratesi ist eine sehr effiziente Bürolösung, zusammenklappbar und nur 80 x 55 x 14 cm groß. In der Ausstellung „Home Sweet Home“ ist dieser Wandsekretär eine Mitmachstation. Besucher*innen können hier auf bereitliegenden Zetteln Kommentare abgeben.

„Wir haben eine Koje, die sich mit dem Homeoffice beschäftigt“, erklärt Kuratorin Henkel. „Bei diesem Wandsekretär kann man den Tisch hochklappen und hat dann nur eine schmale Platte an der Wand hängen. Wir haben gedacht, er ist ideal, um Fragebogen auszufüllen. Welche Relevanz hat der Schreibtisch vor und nach Corona? Und diese Fragebögen werden dann in der Ausstellung aufgehängt.“

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