Kurz vor dem Angriff von Putins Regime auf die südostukrainische Metropole Mariupol kam der ukrainische Filmemacher Mstyslaw Tschernow mit seinem Team in die Stadt und dokumentierte unter Lebensgefahr die Gräueltaten der russischen Invasion.
Der Kameramann folgt den Anweisungen des ukrainischen Offiziers, rennt hektisch ans Fenster und hält drauf. Zwei Panzer fahren durch die menschenleere Straße vor einem Krankenhaus und schieben zwei Linienbusse zur Seite – ein Hund kommt aufgeschreckt unter einem der Busse hervor. Einer der Panzer dreht sein Kanonenrohr langsam in Richtung des Fensters, von dem aus gefilmt wird.
In der nächsten Szene fährt Filmemacher Mstyslav Chernov mit seinem Team durch die verregnete Stadt. Es ist die Ruhe vor dem Sturm.
„24. Februar 2022. Die Stadt wirkt normal. Irgendjemand hat mal zu mir gesagt, Kriege beginnen nicht mit Gefechtslärm, sie beginnen mit Stille.“ Die Brutalität des Angriffskrieges überrascht selbst den erfahrenen Kriegsreporter.
Die einzigen verbliebenden Reporter
In den Jahren zuvor beobachtete Mstyslav Chernov, was die Ukraine durchmachen musste: die ukrainischen Proteste des Euromaidan 2013/14, die Annexion der Krim, den russischen Einmarsch im Donbass, den Absturz der MH17 oder die Schlacht um den Flughafen Donezk.
Nun sind Chernov und sein Team die einzigen, die in der Hafenstadt Mariupol geblieben sind und die Gräueltaten der russischen Invasion dokumentieren. Da das Internet und die Festnetztelefone immer schlechter funktionieren, sind es meist nur kleine Videos, Fotos und Berichte, die die Weltöffentlichkeit zu Beginn des Krieges erreichen.
Der unerträgliche Schmerz der Menschen
Das ganze Ausmaß des Leids und der Zerstörung können diese Ausschnitte, die sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben, nicht vermitteln. Sie sind nur ein kleiner Teil des insgesamt 30 Stunden langen Videomaterials, das der Journalist in den ersten 20 Tagen der Belagerung Mariupols dreht.
Es ist nicht die direkte Gewalt, sondern deren Folgen – der ganze unerträgliche Schmerz. Menschen, die verwirrt durch die Straßen rennen, sich in Schutzbunker flüchten, Massengräber ausheben oder aus Verzweiflung und Not plündern.
Erschütternde Szenen in Krankenhäusern
Dazwischen zeigt die Kamera immer wieder auch erschütternde Szenen, die sich in den Krankenhäusern abspielen. Nahaufnahmen von Kopfverletzungen, einen Vater, der sich weinend über das blutverschmierte Tuch beugt, unter dem der Leichnam seines Sohnes liegt oder Sanitäter, die versuchen das Leben eines Kindes zu retten.
Evangelina, 4 Jahre alt, schafft es nicht.
„Ich muss ihnen die Realität zeigen“
Die Bilder des bewegenden Dokumentarfilms sind kaum auszuhalten, auch weil nichts inszeniert ist und alles sachlich, aber betroffen von Filmemacher Mstyslav Chernov erzählt wird. In einem Interview hat er gesagt „Ich muss ihnen die Realität zeigen“.
Es ist die bittere Realität zu Beginn des Ukrainekrieges, die der vielfach ausgezeichnete Film „20 Tage in Mariupol“ zeigt. Heute, zwei Jahre danach, ist sie mit Sicherheit noch grauenhafter.
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