Benjamin Brittens letzte Oper „Death in Venice“ nach Thomas Mann ist eine der wenigen Umsetzungen einer literarischen Vorlage des Autors für die Opernbühne. Beide Autoren reflektieren in diesem Stoff die eigene Homosexualität. Als brillante Kammeroper unter Einbezug von Tanz ist Brittens Künstleroper ein Gesamtkunstwerk, dem sich nun das Theater Heidelberg in einer Neuproduktion gestellt hat.
Kein Stück über das alternd Vergreiste
Ja, Benjamin Brittens letzte Oper „Death in Venice“ nach Thomas Manns Erzählung ist ein Werk über das Sterben, eine Befragung auf Würde oder Unwürde des Abgangs. Und nein, ein Werk über das alternd Vergreiste ist es nicht. In diese Falle geht Magdalena Fuchsberger mit ihrer Inszenierung am Theater Heidelberg.
Der Dichter Aschenbach ist der Insasse einer spießigen Altersklause mit braun-plüschiger Wohnzimmerecke, einer Mahagoni-Schrankwand samt eingelassenem Fernseher und Kochecke.
Diese Bühneneinrichtung von Monika Biegler steht auf Holzpfählen. „Casa Rialto“ könnte diese Seniorenresidenz des verarmten Dichters heißen. Venedig, zu dem ihn ein unheimlicher Reisender verführt, existiert ohnehin nur in seiner dementen Fantasie.
So bevölkert sich die Wohnung mit lemurenhaften Gestalten als Hotelgäste, Angestellte, Godoliere und Bewohner der imaginierten Lagunenstadt. Ein grünes, blaues und violettes Makeup trägt ihnen einen Verwesungsteint auf. Hier ist schon alles tot, da braucht es die ausbrechende Cholera erst gar nicht, die Aschenbach dahinraffen wird.
Eine Wohnung voller Gipsnackedeis
Seine Begegnung mit Tadzio, die Verkörperung der klassisch erotischen Knabenschönheit, ist wohl eine Art Familienbesuch. Offensichtlich kann der Alte sich aber nicht mehr an seine Verwandtschaft erinnern.
Nun beginnen die eigentlichen Probleme: Denn Tadzio ist bei Britten ein Jugendlicher und kein Kind. Es ist recht unglaubwürdig, dass der Heimbewohner nun bei einem Zwölfjährigen ins Schwärmen für die antik-griechische Knabenliebe gerät, dass ihm die Gottheiten von Schönheit und Rausch, Apollo und Dionysos erscheinen.
Da stellt er sich lieber gleich die Wohnung mit klassizistischen Gipsnackedeis voll, anstatt den Knaben durch ganz Venedig zu verfolgen.
Gesellschaftsspiele statt betörendem Tanz
Britten sieht für Tadzios Rolle einen Tänzer vor. Für ihn hat er eine vom balinesischen Gamelan inspirierte Tanzmusik mit viel Schlagzeug geschrieben.
Die erklingt zwar auch rhythmisch perfekt intoniert vom philharmonischen Orchester. Szenisch macht sie aber gar keinen Sinn mehr. Denn über ein Mensch-Ärger-Dich-nicht-Spiel kommt die Kinderperformance nicht hinaus.
Unfreiwillige Komik
Der wunderliche Alte wird von Winfrid Mikus wahrhaft verkörperlicht. Genau dafür ist ein zu hoher Preis zu zahlen. Die Stimme hat ihre besten Tage hinter sich. Heraus kommt ein dünnes Sprechen auf Tonhöhe, anstatt die für Britten charakteristisch klare, lyrische Tenorlage.
Dazu wird täppisch agiert. Man wähnt sich einer Britten-Mann-Parodie beizuwohnen, deren Humor eher unfreiwillig ist. Bei Tadzios Tanzmusik zu antik-olympischen Disziplinen, glotzt die Familie deren moderne Sportvariante im Fernsehen und ahmt sie beseelt lächelnd pantomimisch nach.
Zwischendurch rührt Aschenbach eine Zwischenmahlzeit und löffelt sie auf dem Sofa direkt aus dem Topf. Das kleinbürgerlich realistische Herunterbrechen reibt sich nicht dialektisch mit der Musik, sondern kollidiert mit der zwischen Umbra und Azurblau daher schwebenden Komposition über Kunst und erotisch verbotenes Begehren.
Dirigent Dietger Holm koordiniert solide
James Homann in den Mehrfachrollen vom Reisenden, über den Hotelbesitzer bis zum Gott Dionysos ist ein stimmlicher Gewinn, wenngleich sein machtvoller Bass den dürren Aschenbach an die Wand singt. Die kleinen Ensemblerollen sind stimmig besetzt.
Der Dirigent Dietger Holm koordiniert solide. Brittens subtil raffiniert durchdachte Literaturvertonung hätte mehr passioniertes Engagement verdient, szenisch wie musikalisch. Eine verpasste Chance in Heidelberg. Schade.
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aus dem Englischen von Giovanni Bandini
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ISBN 978-3-446-27089-3