Nach den Kommunalwahlen sind die Gemeinde- und Ortschaftsräte in Baden-Württemberg so zersplittert wie noch nie. In Freiburg und Pforzheim zum Beispiel gehören jetzt 17 Fraktionen und Gruppen dem Gemeinderat an, in Ulm 15. Kommunalpolitiker fürchten um die Arbeitsfähigkeit ihrer Stadt- und Ortsparlamente. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nennt die Zersplitterung ein „ernsthaftes Problem“. Dabei zählt er zu den Vätern dieser Entwicklung.
Städtetag für Anpassungen Kommunalwahlen: Zu viele Listen auch in Baden-Württemberg?
BW-Ministerpräsident Kretschmann und Innenminister Strobl sind für eine Debatte über Änderungen des Kommunalwahlrechts. Grund seien die vielen neuen Listen in den Gemeinderäten.
Am 11. April 2013 – Kretschmann war zwei Jahre im Amt – beschloss der baden-württembergische Landtag eine Änderung des Kommunalwahlrechts. Sitze im Gemeinde- und Ortschaftsrat werden nun nicht mehr nach dem D’Hondt-Verfahren zugeteilt, sondern nach dem von Sainte-Lagué. Die Verfahren gehen mit den Prozentzahlen, die eine Kandidatin erreicht hat, unterschiedlich um. Bei D’Hondt zählt nur die Zahl vor dem Komma, bei „Sainte-Lagué wird auf- oder abgerundet. Das heute gültige Verfahren bildet den Wählerwillen exakter ab. Aber es fördert auch den Einzug kleiner Fraktionen und Gruppen – bis hin zur einzelnen Frau bzw. einzelnen Mann.

Kretschmann und Co. handelten wohl in dem guten Glauben, mit dem neuen Verfahren die Demokratie zu stärken. Es gilt längst bei Landes- und Bundestagswahlen. Auf Beschränkungen wie eine Fünf-Prozent-Hürde verzichteten sie, im Gegenteil. Jetzt durften erstmals auch 16- und 17-Jährige zur Wahl gehen. Städte und Gemeinden als Tummelplätze direkter Demokratie! Kretschmann und Co. ahnten offenbar nicht, dass auch Kommunalwahlen zu Protestwahlen mutieren können. Vielleicht hatten sie auch keine Vorstellung davon, dass es einmal so viele Protestwähler in Deutschland geben könnte.
Das werden fünf harte Jahre im „Flohzirkus“, der einmal ein Gemeinderat war. Für die Akteure wie für das Publikum. Für das nächste Mal gehören nach meinem Dafürhalten die Hürden für Kandidatinnen und Kandidaten viel höher gelegt. Gegen eine Fünf-Prozent-Hürde gibt es verfassungsrechtliche Bedenken, nicht aber zum Beispiel gegen mehr Unterschriften, die ein Kandidat sammeln muss. Sonst demokratisieren wir uns in Städten und Gemeinden zu Tode.
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