Anastasia Biefang ist die erste offene trans Person, die in der Bundeswehr ein Bataillon kommandierte. Und ihre Karriere ist bemerkenswert. Abschluss an der Bundeswehr-Universität, Station auf der Holloman Air Force Base in den USA, Einsatz in Afghanistan, Versetzung zum Kommando der Luftwaffe in Berlin. Doch 2019 bekam Anastasia Biefang einen Disziplinarverweis von ihrem Vorgesetzten. Sie hatte auf der Dating-App Tinder in ihrem Nutzerprofil geschrieben: "Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome" – also: alle Geschlechter willkommen. Mit diesem Text habe die Offizierin die Pflicht zum "außerdienstlichen Wohlverhalten" verletzt, so die Bundeswehr.
Der Anschein sexueller Disziplinlosigkeit
Biefang klagte gegen den Verweis bis zum Bundesverwaltungsgericht. Der mit fünf Männern besetzte Senat in Leipzig meinte: Zwar dürften auch Bundeswehroffizierinnen im Internet nach Sex-Partnern suchen. Jedoch müssten sie den Eindruck sexueller Disziplinlosigkeit vermeiden. Die Worte "offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome" würden den Eindruck erwecken, es gehe ihr um möglichst schnellen Sex mit Partnern gleich welchen Geschlechts. Der Anschein "eines erheblichen Mangels an charakterlicher Integrität" könne zwar im Ergebnis falsch sein. Aber trotzdem müsse er vermieden werden.
Sexualmoral bestimmt das Recht
Man reibt sich die Augen: Im 21. Jahrhundert machen männliche Richter einer trans Frau und hochqualifizierten Luftwaffenoffizierin Vorgaben, wie sie sich privat auf die Suche nach Sexualpartner*innen machen soll. Und das auch noch mit dem Argument, sie entspreche nicht den moralischen Erwartungen breiter Bevölkerungskreise, gerade in der sehr traditionellen Bundeswehr. Wie und mit wem man Sex hat, ist die grundrechtlich geschützte Freiheit jedes einzelnen. Grenzen findet die sexuelle Freiheit dann, wenn man einem anderen schadet, nicht aber, wenn die Moralvorstellungen der Mehrheit nur irritiert werden. Wir leben in einer Zeit, in der queere Menschen immer mehr benachteiligt und sogar attackiert werden. Und es ist mehr als schade, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde von Anastasia Biefang nicht entschieden hat. Das Gericht sagt: Der Disziplinarverweis sei nach drei Jahren aus ihren Akten getilgt worden. Sie habe nicht innerhalb der geltenden Fristen begründet, warum sie noch Rechtsschutz brauche. Aber ist für die Karlsruher Richterinnen und Richter nicht aus sich heraus erkennbar, dass Anastasia Biefang in ihrer Dating-Freiheit und wie sie sich auf Datingportalen darstellt nun stark eingeschränkt ist? Dass sie immer wieder einen Verweis riskiert, wenn ihr ganz persönliches Sex-Leben im Internet und im analogen Leben an einer vermeintlichen Moral "breiter Bevölkerungskreise" gemessen wird?
Ein böses Signal
Karlsruhe hat damit die Chance verpasst, ein Zeichen zu setzen für die sexuelle Freiheit, besonders von queeren Menschen. Wenn Worte wie "sexuelle Disziplinlosigkeit" in Gerichtsurteilen Gewicht bekommen, dann ist das ein böses Signal. Das Militär ist immer noch ein Ort toxischer Männlichkeit, hat Anastasia Biefang in einem Interview gesagt. Diese Männlichkeit bringt die rückwärtsgewandte Moral hervor, die sich nun gegen die Freiheit durchgesetzt hat. Und das beim Thema queerer Sex, wo sich am deutlichsten zeigt, wie liberal eine Gesellschaft wirklich ist.