Ein Bagger verdichtet eine notdürftig geflickte Brücke über die Ahr. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Philipp von Ditfurth)

Cornelia Weigand im Interview

Seit einem Jahr Landrätin an der Ahr: "Die größte Baustelle Deutschlands“

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Michael Lang
Bild von SWR Multimediareporter Michael Lang aus dem Regionalbüro Bad Neuenahr-Ahrweiler (Foto: SWR)

Cornelia Weigand berichtete Ende Februar über ihr erstes Jahr als Landrätin im Kreis Ahrweiler. Sie wies darauf hin, dass das Ahrtal immer noch "die größte Baustelle Deutschlands" sei.

Rund ein Drittel des Kreises Ahrweiler sei von der Flut betroffen. Der Wiederaufbau daure an manchen Stellen unerwartet lang. Ein Grund dafür sei die riesige Zerstörung durch die Flutkatastrophe, aber auch der Fachkräftemangel und steigende Energiepreise.

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Den Wiederaufbau schnell und gleichzeitig modern, hochwassersicher und nachhaltig gestalten? Das bleibe eine große Herausforderung, so Weigand. Erfolge gebe es unter anderem beim Aufbau der Nahwärmenetze, dem Aufbau von mehr als 130 provisorischen Klassenräumen für die zerstörten kreiseigenen Schulen und beim Aufbau eines verbesserten Katastrophenschutzes.

Im Interview mit SWR Aktuell erklärt Cornelia Weigand, was ihr beim Wiederaufbau wichtig ist, was sich ändern muss und was sie motiviert.

Bilanz nach einem Jahr

SWR Aktuell: Ist eine klassische Leistungsbilanz angesichts der besonderen Situation nach der Flutkatastrophe im Ahrtal überhaupt möglich?

Cornelia Weigand: Eine klassische Leistungsbilanz ist meines Erachtens nicht möglich. Das war kein normales Jahr. Es herrscht noch immer kein 'normaler' Arbeitsalltag in der Kreisverwaltung.

SWR Aktuell: Die Fristen, um Gelder aus dem Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern zu beantragen, wurden im vergangenen Jahr verlängert. Wie wichtig war diese Verlängerung?

Cornelia Weigand: Sehr wichtig. Damit gibt es die Luft, Planungen zu machen, um nicht nur wiederaufzubauen - nach hinten gewandt -, sondern wirklich nachhaltig und sinnvoll aufzubauen. Dafür braucht es Zeit, auch um die Gelder dafür zu suchen. Da mit dem Wiederaufbaufond - für den wir sehr dankbar sind - die zukunftsgerichteten Erweiterungen oder Veränderungen nicht finanziert werden. Es gibt aber Förderprogramme, die auch neu aufgelegt werden, um das zu unterstützen.

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In den von der Flutkatastrophe zerstörten Regionen in Rheinland-Pfalz läuft der Wiederaufbau. Viel ist geschafft, viel ist noch zu tun. Hier die aktuelle Lage.

Neuorganisation des Kreishauses

SWR Aktuell: Das Kreishaus wurde in diesem Jahr teilweise neu organisiert. Der Aufbaustab und die Abteilungen für Strukturentwicklung, Bauen, Umwelt, Förderprogramme/Landwirtschaft sowie Wirtschafts- und Tourismusförderung wurden in einem neuen großen Fachbereich "Aufbau/Nachhaltigkeit" zusammengefasst. Was bedeutet das für den Aufbau des Ahrtals?

Cornelia Weigand: Dieser Umbau konzentriert die verschiedenen Bereiche, die mit dem Aufbau zu tun haben, in einem neuen Fachbereich. Das heißt: Die Wege sind besonders kurz. Ich habe ein möglichst effektives Miteinander. Ich habe eine besonders große Transparenz und ich kann Synergien heben. All das bedeutet hoffentlich auch eine Beschleunigung an verschiedenen Stellen. Und bedeutet auch noch mal eine Erleichterung bei komplexeren Vorgängen, weil ich eine Fragestellung sehr leicht auch von verschiedenen Seiten her betrachten kann.

Was Änderungen der Baugesetze für das Ahrtal bedeuten

SWR Aktuell: Seit einiger Zeit gibt es Gespräche mit Verantwortlichen in Berlin über eine Änderung der Baugesetze für den Wiederaufbau an der Ahr. Welche Änderungen wünschen Sie sich?

Es ist wichtig, schneller reagieren zu können in diesem Katastrophengebiet.

Cornelia Weigand: Die bestehenden Baugesetze berücksichtigen normale Entwicklungszeiten, z. B. für ein Neubaugebiet. Das können mehrere Jahre sein. Aber wir haben hier eine Zerstörung und müssen schnell wieder aufbauen können. Privatleute können nicht mehrere Jahre in Provisorien leben. Auch Unternehmer können nicht lange warten, sonst suchen sich Kunden Alternativen. Das heißt, wir haben ganz anderen Zeitdruck. Und es ist wichtig, schneller reagieren zu können in diesem Katastrophengebiet.

Regelmäßige Bürgersprechstunde geplant

SWR Aktuell: Sie bieten ab März eine regelmäßige Bürgersprechstunde zum Wiederaufbau an. Worum soll es in den Sprechstunden gehen?

Cornelia Weigand: Diese Sprechstunden sind eine Chance, um z. B. über einzelne Themen zu sprechen, die einen bedrücken. Oder auch über konkrete Ideen für den Hochwasserschutz und Klimaprojekte. Ich freue mich sehr auf diese Gespräche. Ich würde gerne noch viel mehr überall sein. Ich muss aber eingestehen, dass der Tag, auch wenn ich ihn sehr lang ausdehne, irgendwann begrenzt ist. Es gibt viele verschiedene Themen, die wichtig sind und viele Anfragen auch gerne mit mir in Kontakt zu treten, aus den Gemeinden, aus Vereinen, von Privatleuten, von Unternehmen. Das klappt nicht alles.

Persönlicher Einblick in den Leidensdruck - jenseits der Zahlen

SWR Aktuell: Sie sind auch persönlich von der Flut betroffen. Was bedeutet das für Ihre Arbeit als Landrätin?

Cornelia Weigand: Ich komme aus einem Ort, der massiv betroffen ist. Ich habe in eine Familie eingeheiratet, wo viele Familienmitglieder betroffen sind. Ich bin in zwei Sportvereinen, wo die meisten der Freundinnen und Freunde, die, mit denen ich zusammen Sport machen durfte, betroffen sind.

Ich glaube, das gibt mir noch einmal einen Einblick in den Leidensdruck jenseits der Zahlen: Was heißt es, wenn man kein Zuhause hat? Was heißt das, wenn die Kinder vielleicht in eine Containerschule gehen? Was heißt das, wenn man in der Nacht auf dem Dach gewesen ist? Was heißt das, wenn die Existenz weggespült ist? Das gibt mir auch den Mut und die Kraft. Ich weiß, für welche Menschen ich das mache und dass sich das lohnt. Und dass die Menschen in dieser Region es verdient haben, das Beste zu kriegen, was irgendwie geht.

Die Fragen stellte SWR Aktuell-Autor Michael Lang.

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