Es sieht aus wie ein Trauerspiel, denke ich, als ich mit Biologin Andrea Kaus-Thiel in den Wald des Nationalparks Hunsrück-Hochwald hinein fahre. Hier am Rande des Waldes stapeln sich Fichtenstämme, die von der Trockenheit und Borkenkäfern getötet wurden. Der Anblick der nun baumlosen Fläche lässt auch die Biologin nicht kalt. Es mussten Fichten gefällt werden mit Rücksicht auf die Nachbarn. Immer wieder sind Waldarbeiter mit Sägen im Einsatz. "So viel Betrieb gab es hier seit Beginn des Nationalparks nicht, der letzte Sommer war fatal für viele Fichten."
Anrainer geben Nationalpark Schuld für Borkenkäferplage
In den Randgebieten des Nationalparks versucht man die Population des Borkenkäfers in Schach zu halten, erzählt mir die Biologin. Manche der Anrainer, die von der Forstwirtschaft leben, sind überzeugt, dass der Borkenkäfer aus dem Nationalpark komme. "Natürlich haben wir Untersuchungen, die zeigen, dass der Borkenkäfer in der ganzen Region gleichmäßig stark präsent ist.", sagt Andrea Kaus-Thiel. Das Thema sei ein ewiger Streitpunkt mit den Nachbarn des Nationalparks.
Der Anblick der toten Bäume hilft keineswegs, die aufgeheizten Gemüter zu beruhigen. Doch die Szenerie ändert sich, je tiefer wir in den Wald hinein fahren.
Borkenkäfer ist ein Katalysator für mehr Biodiversität
Wir fahren weiter in das Innere des Waldes, hier gilt der sogenannte Prozessschutz. Das bedeutet, dass der Mensch die Natur in Ruhe lässt. Sterben die Fichten, dann ist das eben so, niemand entfernt sie oder versucht sie zu schützen. Deshalb sieht man hier viele Bäume, die zwar noch stehen, aber schon längst tot sind. Für die Biodiversität sind diese Bäume ein besonderer Schatz, erklärt Kaus-Thiel.
Etliche Tiere profitieren vom Borkenkäfer
Sobald die Fichten sterben, entsteht daraus ein Habitat für etliche Tiere und Pflanzen. Spechte zum Beispiel haben Borkenkäfer zum Fressen gern. Auch Schlupfwespen sind natürliche Feinde der Borkenkäfer.
Die Spechte öffnen außerdem den Weg für viele andere Tiere, indem sie ihre Bruthöhle in das morsche Holz der toten Fichten hacken. Nachdem die Spechte ihre Bruthöhle verlassen haben, wird der Baum zum beliebten Hotel für viele Tiere: Baummarder, Fledermäuse, Bienen und Hornissen aber auch Eulen, Hohltauben sowie Siebenschläfer und Eichhörnchen nutzen Spechthöhlen zum Überleben.
Doch irgendwann fällt auch die dickste Fichte um, weil sie von Pilzen zerfressen wird. Der tote Baum ist nun auch für Tiere erreichbar, die nicht so gut klettern oder fliegen können. Er wird zum Rückzugsraum für Echsen, Amphibien, Mäuse und sogar größere Wildtiere wie der Wildkatze im Nationalpark Hunsrück-Hochwald.
Toter Wald bedeutet neuer Wald
Nicht nur die Tiere profitieren vom Tod der Fichten im Nationalpark Hunsrück-Hochwald. Sobald die Fichten ihr Nadelkleid verlieren, erreicht etwas ganz Wichtiges den Waldboden: Licht. Es weckt die Samen von vielen Pflanzen oder treibt kleine Bäumchen zu einem Wettrennen nach oben an. Am Fuß der toten Bäume erkennt man Sprösslinge von Königskerzen, Buschwindröschen, Birken, Buchen und vieles mehr. Gäbe es den Borkenkäfer nicht, würde dieser Prozess hunderte Jahre hinausgezögert.
Andere Nationalparks als Vorreiter
In den vergangenen drei Sommern hat der Borkenkäfer so viel Schaden in deutschen Wäldern angerichtet wie nie zuvor. Der Hunsrück ist da keine Ausnahme. Auch andere Nationalparks beobachten genau, welche Prozesse der Borkenkäferbefall in ihren Wäldern auslöst.
Andrea Kaus-Thiel erzählt, dass im Nationalpark Harz Borkenkäfer bereits Jungbäume angreifen, weil alle erwachsenen Fichten tot sind. Weil die Borkenkäfer so wenig Nahrung haben, beginnt ihre Population dort bereits wieder zu schrumpfen.
Für den Wald ist der Borkenkäfer nicht schlimm, andere Baumarten werden sich etablieren und mit ihnen auch viele Tiere und Insekten, prognostiziert die Biologin. Ein wichtiger Vorreiter für Kaus-Thiel ist der Nationalpark Bayerischer Wald. Dort sehe man, wie sich der Wald entwickeln wird. Der Nationalpark Bayerischer Wald habe im Prozess der Naturverjüngung bereits ein paar Jahrzehnte Vorsprung, weil er früher gegründet wurde. Das mache den jüngeren Nationalparks in Deutschland Mut.