Marketing-Pionier von vor 175 Jahren

Der Vorreiter in der Pfalz für guten Wein und Tourismus

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Autor/in
Sebastian Barth
Autor Sebastian Barth

Der Ur-Ur-Urenkel eines Verlegers des 19. Jahrhunderts aus Neustadt hat im Nachlass der Familie zahlreiche bedeutende Dokumente gefunden. Sie werfen ein ganz neues Licht auf die Anfänge des Tourismus in der Pfalz.

Bisher heißt es immer, die Nazis hätten die Weinwerbung, die "Deutsche Weinstraße" und alles, was dazu gehört, erfunden. Das ist aber offensichtlich falsch - ähnlich wie die Mär vom Bau der Autobahn durch Adolf Hitler. Es sieht so aus, als sei der Ur-Ur-Urgroßvater von Frederik Witter aus Neustadt der eigentliche Vorreiter für Qualitätsweinbau, Weinvermarktung auch weit über die Landesgrenzen hinaus und für den Tourismus in der Pfalz gewesen. Die Nazis haben sich lediglich mit seinen, nämlich Eduard Witters, Federn geschmückt.

Ausstellung zu Bildband der Pfalz in der Villa Böhm in Neustadt an der Weinstraße
Eine Ausstellung in der Villa Böhm wirft Licht auf die vielen Tätigkeiten von Eduard Witter aus Neustadt

Sortenreiner Wein - eine Idee, die sogar Bismarck überzeugte

Eduard Witter hatte als Buchverleger bereits ab 1850 einen umfassenden und reich bebilderten Band über die Pfalz erstellen lassen. Dieses Buch war nicht nur für die Menschen aus der Pfalz bestimmt: Er vertrieb es weit über die Grenzen hinaus . Das Buch lockte Reiselustige in die Pfalz, vor allem als die ersten Eisenbahnen fuhren.

Ausstellung zu Bildband der Pfalz in der Villa Böhm in Neustadt an der Weinstraße
Ur-Ur-Urenkel Frederik Witter im Weinkeller im Haus seiner Ahnen.

Eduard Witter war ein Genussmensch und liebte Wein. Er kam in den Folgejahren auf die Idee, dass Wein doch besser so ausgebaut werden sollte, wie er am Rebstock wächst: nach Reben und Rebsorten getrennt. Bis zu dem Zeitpunkt wurden beim Wein die verschiedenen Traubensorten meist gemischt. Die Idee des sortenreinen "Naturweins" fand beim Publikum großen Anklang. Selbst Reichskanzler Otto von Bismarck wurde zu einem großen Fan des Weins aus der Kellerei Witter, die der Verleger aufgebaut hatte.

Ausstellung zu Bildband der Pfalz in der Villa Böhm in Neustadt an der Weinstraße
Kleine, aber sehr detaillierte Aquarelle mit Motiven aus der Pfalz. Eine Ansicht von Deidesheim.

Wer war Eduard Witter?

Alles begann im 19. Jahrhundert. 1850 übernahm Eduard Witter im Alter von 26 Jahren die Geschäfte im Verlag von August Hermann Gottschick in Neustadt, der zwei Jahre vorher gestorben war. Noch im selben Jahr heiratete er die Witwe Josephine Gottschick, die Verlagseigentümerin.

Eines seiner ersten Projekte im neu gebildeten Gottschick-Witter-Verlag war die Neugestaltung eines Bildbands über die Pfalz. Für diese zweite Auflage engagierte Eduard Witter mehrere Künstler, die kleine, aber sehr detailgetreue Aquarelle malten. Diese 64 Bilder waren die Vorlagen für Stahlstiche und diese wiederum waren die Druckplatten für die schwarz-weiß-Abbildungen in diesem kostspieligen Bildband.

Ur-Ur-Urenkel holt Geschichte aus der Versenkung

Diese Aquarelle fand Eduard Witters Ur-Ur-Urenkel, Frederick Witter, vor drei Jahren im Nachlass der Familie. Zunächst wusste er nicht recht, was er da vor sich hatte und was er damit anfangen sollte.

Sein früh verstorbener Vater hatte angefangen, die vielen Dokumente, Bücher des Verlags, Druckplatten und Bilder zu sortieren. Er hatte Kontakt zum Neustadter Künstler und Druckgrafiker, Gerhard Hofmann. Frederick Witter nahm nach dem Tod seines Vaters Kontakt zu Hofmann auf. Zusammen durchstöberten sie die Speicher und stießen auf immer mehr Dokumente.

Villa Böhm zeigt Schätze aus Familiennachlass

Grafik-Experte Hofmann erkannte, welche Schätze seit mehr als 100 Jahren in Schubladen und Schränken der Familie geschlummert hatten. Er und Witter nahmen Kontakt zum Kulturdezernat in Neustadt auf. So kam es zur Ausstellung in der Villa Böhm.

Ausstellung zu Bildband der Pfalz in der Villa Böhm in Neustadt an der Weinstraße
Ausstellungsort: Die Villa Böhm in Neustadt

Wieso geriet der Pionier für Weinmarketing in Vergessenheit?

Wieso der Name Witter und dessen Bedeutung auch für den Tourismus in Vergessenheit geraten ist, kann man möglicherweise mit der Nazizeit erklären. Die Familie Witter war für ihre sehr liberale Haltung bekannt. Eduard Witter war beispielsweise ein Freund des badischen Revolutionsführers Friedrich Hecker. Er besuchte den Emigrierten in den USA und bat ihn, nach Deutschland zurückzukehren. Sein Sohn und auch sein Enkel hatten eine ähnliche Einstellung.

Während der Nazizeit drehte sich dann die politische Stimmung in Neustadt. Eine liberale Haltung wäre gefährlich gewesen.

"Deutsche Weinstraße" keine Erfindung der Nazis

Der berüchtigte NS-Gauleiter Josef Bürckel wird oft für den "Erfinder" der "Deutschen Weinstraße" gehalten. Im Grunde existierte der Begriff aber schon deutlich früher: Auf einem Stich mit ebendieser Bezeichnung aus dem Verlag Gottschick-Witter ist der gesamte Haardtrand mit sämtlichen Gemeinden der Weinstraße zu sehen.

Aufarbeitung der Familiengeschichte Witter ist langer Prozess

Frederik Witter sagt von sich: "Ich habe im Grunde keinen Verdienst an der Geschichte meiner Vorfahren, außer dass ich all das hier geerbt habe." Aber er sieht es als wichtige Aufgabe, den Nachlass aufzuarbeiten und hofft, dass er dabei Unterstützung erfährt. So ein umfangreicher Nachlass sei auch eine Bürde, sagt Witter. Er hofft aber, dass damit seine Vorfahren und ihre Bedeutung für die Pfalz künftig in der Geschichte und Gegenwart wieder stärker wahrgenommen werden.

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