Bisher heißt es immer, die Nazis hätten die Weinwerbung, die "Deutsche Weinstraße" und alles, was dazu gehört, erfunden. Das ist aber offensichtlich falsch - ähnlich wie die Mär vom Bau der Autobahn durch Adolf Hitler. Es sieht so aus, als sei der Ur-Ur-Urgroßvater von Frederik Witter aus Neustadt der eigentliche Vorreiter für Qualitätsweinbau, Weinvermarktung auch weit über die Landesgrenzen hinaus und für den Tourismus in der Pfalz gewesen. Die Nazis haben sich lediglich mit seinen, nämlich Eduard Witters, Federn geschmückt.
Sortenreiner Wein - eine Idee, die sogar Bismarck überzeugte
Eduard Witter hatte als Buchverleger bereits ab 1850 einen umfassenden und reich bebilderten Band über die Pfalz erstellen lassen. Dieses Buch war nicht nur für die Menschen aus der Pfalz bestimmt: Er vertrieb es weit über die Grenzen hinaus . Das Buch lockte Reiselustige in die Pfalz, vor allem als die ersten Eisenbahnen fuhren.
Eduard Witter war ein Genussmensch und liebte Wein. Er kam in den Folgejahren auf die Idee, dass Wein doch besser so ausgebaut werden sollte, wie er am Rebstock wächst: nach Reben und Rebsorten getrennt. Bis zu dem Zeitpunkt wurden beim Wein die verschiedenen Traubensorten meist gemischt. Die Idee des sortenreinen "Naturweins" fand beim Publikum großen Anklang. Selbst Reichskanzler Otto von Bismarck wurde zu einem großen Fan des Weins aus der Kellerei Witter, die der Verleger aufgebaut hatte.
Wer war Eduard Witter?
Alles begann im 19. Jahrhundert. 1850 übernahm Eduard Witter im Alter von 26 Jahren die Geschäfte im Verlag von August Hermann Gottschick in Neustadt, der zwei Jahre vorher gestorben war. Noch im selben Jahr heiratete er die Witwe Josephine Gottschick, die Verlagseigentümerin.
Eines seiner ersten Projekte im neu gebildeten Gottschick-Witter-Verlag war die Neugestaltung eines Bildbands über die Pfalz. Für diese zweite Auflage engagierte Eduard Witter mehrere Künstler, die kleine, aber sehr detailgetreue Aquarelle malten. Diese 64 Bilder waren die Vorlagen für Stahlstiche und diese wiederum waren die Druckplatten für die schwarz-weiß-Abbildungen in diesem kostspieligen Bildband.
Ur-Ur-Urenkel holt Geschichte aus der Versenkung
Diese Aquarelle fand Eduard Witters Ur-Ur-Urenkel, Frederick Witter, vor drei Jahren im Nachlass der Familie. Zunächst wusste er nicht recht, was er da vor sich hatte und was er damit anfangen sollte.
Sein früh verstorbener Vater hatte angefangen, die vielen Dokumente, Bücher des Verlags, Druckplatten und Bilder zu sortieren. Er hatte Kontakt zum Neustadter Künstler und Druckgrafiker, Gerhard Hofmann. Frederick Witter nahm nach dem Tod seines Vaters Kontakt zu Hofmann auf. Zusammen durchstöberten sie die Speicher und stießen auf immer mehr Dokumente.
Villa Böhm zeigt Schätze aus Familiennachlass
Grafik-Experte Hofmann erkannte, welche Schätze seit mehr als 100 Jahren in Schubladen und Schränken der Familie geschlummert hatten. Er und Witter nahmen Kontakt zum Kulturdezernat in Neustadt auf. So kam es zur Ausstellung in der Villa Böhm.
Wieso geriet der Pionier für Weinmarketing in Vergessenheit?
Wieso der Name Witter und dessen Bedeutung auch für den Tourismus in Vergessenheit geraten ist, kann man möglicherweise mit der Nazizeit erklären. Die Familie Witter war für ihre sehr liberale Haltung bekannt. Eduard Witter war beispielsweise ein Freund des badischen Revolutionsführers Friedrich Hecker. Er besuchte den Emigrierten in den USA und bat ihn, nach Deutschland zurückzukehren. Sein Sohn und auch sein Enkel hatten eine ähnliche Einstellung.
Während der Nazizeit drehte sich dann die politische Stimmung in Neustadt. Eine liberale Haltung wäre gefährlich gewesen.
"Deutsche Weinstraße" keine Erfindung der Nazis
Der berüchtigte NS-Gauleiter Josef Bürckel wird oft für den "Erfinder" der "Deutschen Weinstraße" gehalten. Im Grunde existierte der Begriff aber schon deutlich früher: Auf einem Stich mit ebendieser Bezeichnung aus dem Verlag Gottschick-Witter ist der gesamte Haardtrand mit sämtlichen Gemeinden der Weinstraße zu sehen.
Aufarbeitung der Familiengeschichte Witter ist langer Prozess
Frederik Witter sagt von sich: "Ich habe im Grunde keinen Verdienst an der Geschichte meiner Vorfahren, außer dass ich all das hier geerbt habe." Aber er sieht es als wichtige Aufgabe, den Nachlass aufzuarbeiten und hofft, dass er dabei Unterstützung erfährt. So ein umfangreicher Nachlass sei auch eine Bürde, sagt Witter. Er hofft aber, dass damit seine Vorfahren und ihre Bedeutung für die Pfalz künftig in der Geschichte und Gegenwart wieder stärker wahrgenommen werden.