Der 52-jährige René kann es immer noch nicht glauben, dass er einfach hinter sich die Haustür zuziehen oder sich etwas kochen kann, wann immer er das will. Denn René hat lange auf der Straße gelebt. Seit etwa vier Monaten aber ist er einer von vier ehemals Wohnunglosen in Neuwied, die über das Projekt Housing First der Caritas Neuwied eine eigene Wohnung bekommen haben. "Ich hatte Glück", sagt er. Trotzdem möchte er sein Gesicht und seine eigenen vier Wände nicht öffentlich zeigen.
Angst vor Gewalt beim Leben auf der Straße in Neuwied
Reden ist aber in Ordnung, weil er sich so sehr über die Chance freut, die er bekommen hat. "Es ist ein Gefühl, sich mal hinsetzen zu können, ohne Angst zu haben", sagt er über seine neue Wohnung. Bevor er sie hatte, schlief er oft unter freiem Himmel.
"Jetzt brauche ich mir keine Gedanken zu machen, ... ob ich am nächsten Morgen noch am Leben bin."
Einmal beispielsweise in einem Zelt in der Nähe einer Bushaltestelle. Mit dem letzten Bus seien Betrunkene angekommen und er musste mit anhören, wie sie darüber sprachen, ihn zu verletzen: "Und die machten so Sprüche wie: Jetzt holen wir mal 'nen Kanister und zünden den Penner an", sagt René.
Er habe daraufhin alles stehen und liegen gelassen und sei abgehauen. "Jetzt brauch' ich mir keine Gedanken zu machen, ob ich noch alles habe, was ich dabei hatte oder ob ich am nächsten Morgen noch am Leben bin."
Erst Job verloren, dann obdachlos
Bis René seine neue Wohnung bekommen hat, musste er viel durchmachen. Als er krank wurde, habe ihm sein Arbeitgeber gekündigt, erzählt er. Daraufhin verlor er auch seine Wohnung, landete auf der Straße. Er meldete sich bei der Caritas Neuwied, die ihm erst einen Wohnwagen vermittelte. Doch in diesen kamen Ratten und Mäuse, erinnert sich René. Ihm sei es zu diesem Zeitpunkt psychisch und körperlich sehr schlecht gegangen.
"Ich kann nachts auf die Toilette gehen, ohne dass ich 100 Meter laufen muss."
Housing First: Freude über eigene Toilette
Jetzt, in der eigenen Wohnung, ging es ihm sehr schnell viel besser, sagt René. Er schwärmt von Dingen, die viele Menschen für selbstverständlich halten: "Ich kann nachts auf die Toilette gehen, ohne dass ich 100 Meter laufen muss." Er müsse zudem sein Hab und Gut nicht mehr die ganze Zeit durch die Stadt tragen, zuhause sei es sicher. Seine feste Meldeadresse mache es ihm auch viel einfacher, Anträge bei Ämtern und dem Jobcenter zu stellen.
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Die Wohnungen der Caritas Neuwied kosten Miete
Beim Projekt Housing First der Caritas Neuwied geht es nicht darum, wohnungslosen Menschen eine Wohnung kostenfrei zu überlassen. Im Gegenteil: René zahlt ganz regulär seine Miete. Es ist ihm wichtig, dass er keine Almosen empfängt.
Bislang vier Wohnungen in Neuwied für Wohnungslose
Die Caritas in Neuwied betreut aktuell vier Wohnungen im Projekt Housing First. Eine fünfte soll demnächst dazu kommen. Gestartet sei das Projekt mit der ersten Wohnung vor knapp einem Jahr. "In allen vier Wohnungen wohnen immer noch die ersten Bewohner", sagt Janna Dreckkötter von der Caritas. Allein das sei schon ein großer Erfolg.
Housing First bedeute aber nicht, dass die Menschen dann einen kometenhaften Aufstieg erleben würden und sie innerhalb von zwei Wochen wieder einen Job hätten. Dafür seien die Probleme oft zu manifestiert, meint Dreckkötter. "Aber wir haben Wohnungslosigkeit dadurch effektiv beendet", sagt sie. Das könnten andere Hilfsangebote oft nicht.
Eigene Wohnung ist wichtig für Rückkehr in ein geregeltes Leben
Es sei aber schwer, für so ein Projekt Wohnungen auf dem freien Markt zu bekommen. Eine Stiftung kaufe deswegen die Wohnungen, renoviere sie und vermiete sie dann über die Caritas Neuwied an die Wohnungslosen. René sagt, es sei als Wohnungsloser komplett unmöglich eine Wohnung zu finden, selbst wenn das Amt die Miete übernehme. Jeder Vermieter lehne sie ab. So ein Projekt sei fast die einzige Möglichkeit, zurück in ein geregeltes Leben zu kommen.