Anne Spiegel, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend (Grüne) (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)

Vor Sitzung des Untersuchungsausschusses

SMS zur Flutnacht belasten Spiegel - Ministerium verteidigt sie

Stand

Am Freitag soll Ex-Umweltministerin Anne Spiegel im Flut-Untersuchungsausschuss aussagen. Nun sorgen in den Medien aufgetauchte SMS-Protokolle von der Flutnacht für Empörung. Das Umweltministerium nimmt Spiegel in Schutz.

Mehrere Medien hatten aus Kurznachrichten zwischen Spiegel und ihren Mitarbeitern berichtet, die den Eindruck erwecken, Spiegel sei es vor allem darum gegangen, Schaden von sich und ihrem Ministerium abzuwenden.

Rheinland-Pfalz

Rücktrittsforderungen von Union und Freien Wählern SMS in Flutnacht: Spiegel sieht sich missverstanden

Ex-Umweltministerin Spiegel hat Vorwürfe zurückgewiesen, dass sie nach der Flutkatastrophe vor allem um ihr Image besorgt gewesen sei. Im U-Ausschuss des Landtags sagte sie, Hilfe für Betroffene habe im Mittelpunkt gestanden. Von Union und Freien Wählern kommen derweil Rücktrittsforderungen.

Medien zitieren aus nicht-öffentlichen Protokollen

Einsehen konnten die nicht-öffentlichen Protokolle "FOCUS online" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Die SMS-Nachrichten sind nach SWR-Recherchen authentisch. Aus Sicht von "FOCUS online" machen sie zum einen deutlich, dass die heutige Bundesfamilienministerin und ihr Staatssekretär Erwin Manz (beide Grüne) an jenem Unglückstag keine Ahnung gehabt hätten, wie die Flutwelle sich im Ahrtal ihren Weg bahnen würde. So habe sich etwa die Pressestelle am 14. Juli um 18 Uhr an Manz mit der Frage gewandt: "Müssen wir jetzt was machen?" Manz‘ Antwort sei gewesen: "Heute nicht."

Hierzu erklärt das Ministerium, die Aussage es sei "nichts zu tun" habe sich lediglich auf die Frage bezogen, ob eine weitere Pressemitteilung sinnvoll sein könnte, da eine um 16:43 Uhr versandte Pressemitteilung nach Einschätzung von Manz überholt war.

Laut Mitteilung des Ministeriums war die Information der Einsatzkräfte vor Ort, die für die Warnung der Bevölkerung zuständig sind, jederzeit über die Meldekette vom Landesamt für Umwelt zu den kommunalen Behörden sichergestellt. Pressemitteilungen seien nicht Teil dieses Meldeweges. Sie könnten und dürften diesen nicht ersetzen, so das Umweltministerium.

"FOCUS online": Anne Spiegel um ihr Image besorgt

Laut "FOCUS online" legen die SMS-Protokolle auch nah, dass Spiegel nach der Flutnacht darüber sinnierte, wie man die Schuld an dem Flutdesaster von sich lenken und etwaige Attacken durch den sozialdemokratischen Koalitionspartner abfedern könnte.

Nachdem ihr Pressesprecher Dietmar Brück ihr entsprechende Vorschläge gemacht habe, habe Spiegel geantwortet: "Lieber Dietmar, dass deckt sich mit meinen Überlegungen, plus: das Blame-Game (z. Dt. Schuldzuweisungen) könnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, ich im Kabinett." Zudem habe die Ministerin herausstreichen wollen, dass "ohne unsere Präventions- und Vorsorgemaßnahmen alles noch viel schlimmer geworden wäre etc."

Spiegel misstraute offenbar Innenminister Lewentz

Laut "FOCUS online" trieb die Grünen-Politikerin vor allem die Sorge um, dass Innenminister Roger Lewentz (SPD) ihr in die Parade fahren könnte. "Ich traue es Roger zu, dass er sagt, die Katastrophe hätte verhindert werden können oder wäre nicht so schlimm, wenn wir als Umweltministerium früher gewarnt hätten und dass es an uns liegt, weil wir die Situation unterschätzt hätten." Spiegel schlug demnach vor, einen "Mini-Krisenstab zusammen zu trommeln und uns die Themen vorzunehmen, um handlungsfähig zu sein".

Umweltministerium RLP verteidigt Spiegel

Das rheinland-pfälzische Umweltministerium wies die Vorwürfe gegen die damalige rheinland-pfälzischen Umweltministerin zurück. In einer Stellungnahme des Umweltministeriums heißt es: Am Vormittag nach der Flut habe Spiegel zu einer Krisensitzung des Hauses mit den nachgeordneten Behörden eingeladen. Im Vordergrund habe die Hilfe für die Menschen vor Ort gestanden, etwa die Wiederherstellung der Trinkwasserversorgung, der Abwasserentsorgung, der Energieversorgung und der Entsorgung der von der Flut herangespülten Müll- und Sperrmüllberge. Spiegel habe zudem an einer Sondersitzung des Kabinetts teilgenommen. Darüber hinaus nehme man in Bezug auf nichtöffentliche Akten aus dem Untersuchungsausschuss nicht Stellung.

Opposition zeigt sich fassungslos über Spiegel-SMS

Scharfe Kritik an Spiegels Verhalten äußerten die oppositionellen CDU- und AfD-Fraktionen: "Die Berichte über den SMS-Austausch zwischen Spiegel und ihrem Berater lassen mich fassungslos zurück", teilte CDU-Fraktionschef Christian Baldauf mit. Während am Morgen des 15. Juli das Ahrtal überflutet und die Todeszahlen dramatisch gestiegen seien, habe man sich in der Führungsetage des Umweltministeriums um eine "glaubwürdige Rolle" und das Image von Spiegel gesorgt. "Kein Wort über die schreckliche Situation, keine Worte der Empathie, keine Überlegungen, wie schnelle Hilfe geleistet werden kann."

Rheinland-Pfalz

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Der Obmann der CDU-Landtagsfraktion im U-Ausschuss, Dirk Herber, sprach von einer "Katastrophe in der Katastrophe, wenn sich Ministerien nicht untereinander austauschen", und es sei eine "noch schlimmere Katastrophe", wenn einer Ministerin ihr Image wichtiger sei als das Leid der Menschen.

AfD wirft Spiegel "Kaltherzigkeit" vor

Auch AfD-Fraktionschef Michael Frisch sprach von einer "Kaltherzigkeit" Spiegels, die ihn fassungslos zurücklasse. "Anstatt Verantwortung wahrzunehmen und alles dafür zu tun, dass Menschenleben gerettet werden, ist die Umweltministerin in der Flutnacht abgetaucht", so Frisch. Am nächsten Morgen habe ihre erste Sorge dem eigenen Image und der politischen Schadensbegrenzung gegolten. "Von Anteilnahme mit den Opfern keine Spur."  

Der Vertreter der Freien Wähler im Flut-Untersuchungsausschuss, Stephan Wefelscheid, betonte, er könne sich nicht zur Echtheit der Chats äußern. Wenn die Unterlagen aber echt seien, "wirft dies ein erschreckendes Bild auf die moralische Verfasstheit der Ministerin", so Wefelscheid. "Der erste Gedanke darf nicht dem eigenen Image gelten, sondern der Abwendung der Gefahrenlage."

Die Opposition im rheinland-pfälzischen Landtag hält dem Umweltministerium schon länger Versäumnisse vor. Es habe nicht ausreichend vor dem Jahrhunderthochwasser gewarnt. Spiegel ist für Freitag vor den Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags zur Flutkatastrophe geladen. Ob sie dort aussagen wird, ist unklar. Derzeit ist sie corona-positiv.

Rückendeckung von Grünen-Fraktionschef Braun

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, Bernhard Braun, verteidigte dagegen seine Parteikollegin Spiegel. Er sprach von einer "bösartigen Kampagne", um die bisherige Arbeit des Flut-Untersuchungsausschusses zu konterkarieren. Der Obmann der Grünen im Ausschuss, Carl-Bernhard von Heusinger, sagte dem SWR, es werde versucht, mit Einzelheiten aus Akten das Bild zu verzerren. Das stelle auch die Arbeit des Untersuchungsausschusses in Frage.

Und tatsächlich ist bisher nicht bekannt, welche anderen SMS-Nachrichten Spiegel mit ihren Mitarbeitern ausgetauscht hat, die das aktuelle Bild der Ministerin relativeren könnten.

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SPD und FDP: Nur im Gesamtkontext der kompletten Akten urteilen

Der Obmann der SPD-Fraktion, Nico Steinbach, erklärte, es verbiete sich zum jetzigen Zeitpunkt, die Veröffentlichungen zu kommentieren, um die Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht noch weiter zu beschädigen. Das Gremium werde am Freitag "im Gesamtkontext der kompletten Akten - und nicht nur willkürlicher Auszüge daraus" - den Dingen auf den Grund gehen können. Auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Philipp Fernis stellte fest: "Es handelt sich um Auszüge aus einzelnen Vorgängen. Am Freitag wird sich der Ausschuss umfassend und sachgerecht mit der Thematik befassen."

Auch Chats von Lewentz an Dreyer öffentlich

Kürzlich waren auch Chatnachrichten von Innenminister Lewentz an Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) aus der Flutnacht an die Öffentlichkeit gelangt. Aus diesen ging hervor, dass in der Landesregierung weitgehende Ahnungslosigkeit über die Ausmaße der Naturkatastrophe herrschte. So habe Lewentz erstmals am 15. Juli um 7:40 Uhr von einigen Todesfällen erfahren. Von "Personenschäden im größeren Umfang" habe er nichts gewusst.

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