Die Babyboomer gehen in Rente, was kommt danach? (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Die Arbeitswelt von Morgen

So verändert sich der Arbeitsmarkt in RLP, wenn die Babyboomer in Rente gehen

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Rafaela Rübsamen
SWR Aktuell, Logo (Foto: SWR, SWR)

Allein in Rheinland-Pfalz überschreiten fast eine Million Menschen in den nächsten zehn Jahren die Altersgrenze zum Renteneintritt. Wie laufen die Vorbereitungen, dass es nicht zum Kollaps des Arbeitsmarktes kommt?

Züge fallen aus, weil Lokführer fehlen, Geschäfte verringern ihre Öffnungszeiten, weil sie nicht genügend Mitarbeiterinnen haben und Betriebe buhlen mit hohen Gehältern und flexiblen Arbeitszeiten um neue Mitarbeitende - all das sehen wir aktuell schon auf dem Arbeitsmarkt. Doch Expertinnen wissen schon jetzt: All das ist nur ein Vorgeschmack darauf, wie sich die Arbeitswelt verändert, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der sogenannten Babyboomer ab 2025 in Rente gehen.

Politik und Wirtschaft bereiten sich seit Jahren darauf vor. Diese fünf Punkte müssen nach Ansicht von Experten und Expertinnen und einer Studie des Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) vorangetrieben werden, damit es keine großen Lücken gibt:

Um diese Punkte erfüllen zu können, müssten Politik und Wirtschaft schon jetzt einiges tun, damit sich die Wirkung rechtzeitig entfaltet. Während einige Punkte - wie die Zuwanderung von Fachkräften - bereits ausführlich diskutiert werden, lohnt es sich auf andere noch genauer zu schauen. SWR Aktuell hat bei zwei Menschen nachgefragt, die sich mit der Arbeitswelt von Morgen beschäftigen.

Werner Sesselmeier ist Dekan an der Universität Koblenz-Landau und war an mehreren Berichten der Enquetekommission "Demografischer Wandel" beteiligt. Er sagt, seit dem ersten Bericht habe sich nicht genug getan, obwohl die Zeit dränge und er durchaus Bestrebungen feststelle, die herausgearbeiteten Punkte umzusetzen.

C. Katharina Spieß ist die Direktorin des BiB und befasst sich ebenfalls ausführlich mit den Herausforderungen, vor denen der Arbeitsmarkt steht, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Sie sagt: Wir erleben gerade einen Vorgeschmack dessen, was passiert, wenn wir jetzt nicht reagieren.

Beide sind sich einig: Alle Maßnahmen müssen umgesetzt werden, damit die Lücke geschlossen werden kann.

Arbeitszeit von Frauen ausweiten

Obwohl Deutschland mit die höchste Erwerbstätigkeit von Frauen in Europa hat, arbeiten viele Frauen noch in Minijobs und Teilzeit. Um die Lücke der Babyboomer auszugleichen, müssten Frauen mehr Stunden pro Woche arbeiten. Vor allem die lukrativen und mit der Familie gut vereinbaren Minijobs sieht Sesselmeier als drängendes Problem. Frauen würden mit wenig Arbeitsstunden und einem relativ flexiblem Modell gegenwärtig bis zu 520 Euro abgabefrei verdienen können. Um dieses Geld mit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu erhalten, müssten sie deutlich mehr Stunden arbeiten.

Allerdings sei das Problem bei Minijobs, dass die Frauen nicht in die Sozialversicherungen einzahlen. Dadurch machten sie sich abhängig und es gebe bei Minijobs auch nicht die Möglichkeit die Wochenarbeitszeit bei veränderten Lebensumständen anzupassen - beispielsweise aufzustocken, wenn die Kinder älter werden.

Damit mehr Frauen länger arbeiten können, muss sich für C. Katharina Spieß vor allem etwas an der Qualität der Kindertagesbetreuung ändern; aber es muss auch mehr Ganztagsangebote geben. Bei der Kindertagesbetreuung geht es nicht nur darum, dass Mütter erwerbstätig sein können, sondern auch um die Bildung des Nachwuchses. Wenn die Kindertagesbetreuung nicht qualitativ ausgebaut werden würde, gäbe es bei den Familien weniger Akzeptanz. Spieß sagt auch, dass viele Familien gar nicht wollen, dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten, wenn die Kinder noch klein sind, allerdings würde es für den Arbeitsmarkt auch schon einen Effekt geben, wenn die Arbeitszeit zum Beispiel von 20 auf 30 Wochenstunden erhöht werden würde.

Sesselmeier merkt noch an, dass gerade bei den Dienstleistungen, in denen vor allem Frauen arbeiten, eine höhere Arbeitszeit einen Push-Effekt haben würde. Wenn die Mutter länger arbeitet, braucht es gleichzeitig eine höhere Beschäftigung bei der Kinderbetreuung und beispielsweise der Pflege, wenn die Eltern der Frau auch umsorgt werden. Somit würden sich die Frauen gegenseitig in Mehrbeschäftigung bringen.

Höheres Renteneintrittsalter durch lebenslanges Lernen

Die Menschen in Deutschland und auch in Rheinland-Pfalz werden immer älter und das Renteneintrittsalter stetig angehoben. Doch perspektivisch müssten die Menschen noch länger arbeiten, damit der Arbeitsmarkt den fehlenden Nachwuchs ausgleichen kann. Das lässt sich in einigen Berufszweigen besser umsetzen als in anderen. Gerade bei schwer körperlich oder psychisch belastenden Berufen muss daher schon zum Eintritt in das Arbeitsleben geschaut werden, wie es bis zur Rente weitergehen kann.

Professor Sesselmeier von der Uni Koblenz-Landau sagt, dass in diesem Fall vor allem die Menschen selbst gefragt seien. Wer sich für den Job als Erzieherin, Pflegerin oder Bauarbeiter entscheide, müsse sich früh überlegen, wie er sich weiterbilden könne, damit er oder sie mit seiner Expertise bis ins hohe Alter dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen könne, ohne die körperliche Arbeit. "Es gibt leider nicht für jeden einen Bürojob", so Sesselmeier.

Allerdings sei auch die Politik gefordert. Sesselmeiers Vorschlag ist es, die Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung umzuwandeln, bei der ein lebenslanges Weiterbilden und Qualifizieren gefördert wird und als normaler Teil der Erwerbstätigkeit gesehen wird.

Professor Spieß sieht dabei aber auch die Betriebe in der Pflicht. Die Teams müssten so aufgestellt werden, dass alle Mitarbeitenden in unterschiedlichen Lebenslagen mit ihren Fähigkeiten und Voraussetzungen gefördert werden. In der Kita beispielsweise können die jüngeren Erzieherinnen durchaus in Vollzeit mit den Kindern arbeiten, während die Kolleginnen, die gerade selbst junge Kinder haben, weniger Stunden in der Kita sind. Ältere Mitarbeiterinnen könnten mit ihrer langjährigen Erfahrungen Konzepte und Strategien entwickeln und dafür weniger körperlich hart arbeiten. So würde auf die individuellen Bedürfnisse Rücksicht genommen und gleichzeitig eine hohe Qualität der Arbeit ermöglicht.

Zuzug und Integration in den Arbeitsmarkt

Die Stellschraube, um auf die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt zu reagieren, die derzeit wohl am meisten öffentlich diskutiert wird, ist der Zuzug von Fachkräften und die Integration von Zugezogenen auf dem Arbeitsmarkt. Geplant wird mit bis zu 400.000 Menschen, die zukünftig pro Jahr nach Deutschland migrieren müssten, um die Lücken zu schließen. Wenn die anderen Maßnahmen auch konsequent umgesetzt werden, würden noch knapp 200.000 Menschen benötigt, so aktuelle Berechnungen.

Dabei sei aber zu beachten, dass Deutschland auf einem global gesehenen Arbeitsmarkt viel Attraktivität verspielt, findet Sesselmeier. Es müsse Anreize geben, nach Deutschland zu kommen, um den hiesigen Arbeitsmarkt zu unterstützen. Denn nicht nur in Deutschland altere die Gesellschaft, in Ost- und Mitteleuropa schreite die Entwicklung sogar noch schneller voran. Man müsse also schauen, woher überhaupt noch Arbeitskräfte kommen könnten. Diese müssten ebenso umworben werden, wie heimische Arbeitskräfte, beispielsweise mit einer Bleibeperspektive oder Integrations- und Weiterbildungskursen.

Unterstützung durch Technik muss vorangebracht werden

Der technische Fortschritt muss weiter vorangetrieben werden. Dabei gehe es laut Sesselmeier nicht um die Automatisierung oder Übernahme von Tätigkeiten, sondern die Unterstützung der Arbeitskräfte. Wer beispielsweise schwer körperlich arbeitet, kann durch ein am Körper anliegendes Gerüst, das das Gewicht trägt entlastet werden.

In der Automobilindustrie ist es schon üblich, dass Maschinen die schweren Autos so drehen und wenden, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen körperschonend an ihnen arbeiten können. Das gleiche müsse beispielsweise in der Pflege oder anderen Berufen, die körperlich belastend sind, vorangetrieben werden, damit die Menschen bis ins hohe Alter arbeiten können.

Fazit und Ausblick

Spieß und Sesselmeier sind sich einig, dass der Arbeitsmarkt, die Lücke schließen kann, die durch den Renteneintritt der Babyboomer entstehen wird, allerdings müsse jetzt einiges dafür getan werden. "In Branchen, in denen der Mangel schon jetzt spürbar sei, passiert viel", sagt Spiess. Alle anderen hätten aber noch Nachholbedarf. Auch die Politik müsse die Maßnahmen voranbringen. Allerdings sagt Sesselmeier, er habe Verständnis, dass bei den aktuellen Krisen andere Dinge Priorität bei den Verantwortlichen hätten. Dennoch dürfe die gesellschaftliche Veränderung nicht aus den Augen verloren werden.

Für ihn sei es wichtig, vor allem auf den Dienstleistungsbereich zu schauen. Dort, wo Maßnahmen wie Homeoffice und flexible Arbeitszeiten nicht umsetzbar seien, müssten Familie, Beruf, Alter und andere Faktoren besonders berücksichtigt und angegangen werden, damit es dort nicht noch prekärer werde.

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