Kanadische Nachfahren der Zwangsarbeiterin Ksenia haben in Aalen ihre Wurzeln gesucht und gefunden. Zwei Frauen lächeln in die Kamera.

Kanadier zu Besuch in Treppach

Nachfahren einer Zwangsarbeiterin finden Wurzeln in Aalen

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Maja Nötzel
SWR-Aktuell Redakteurin Maja Nötzel

Eine ukrainische Zwangsarbeiterin und ein französischer Kriegsgefangener bekommen während des zweiten Weltkriegs ein Kind. Eigentlich undenkbar, aber die Aalener wahren das Geheimnis.

1944 lernt die ukrainische Zwangsarbeiterin Ksenia Jaworowska auf dem Hof der Familie Opferkuch in Aalen-Treppach den französischen Kriegsgefangenen Louis Danard kennen. Sie wird schwanger. Ende August 1945 wird Tochter Donna geboren. Die heute 78-jährige Donna ist nun mit ihrem Sohn David Redekop aus Kanada angereist und hat ihren Geburtsort Aalen besucht.

"Ich habe so Angst, dass es jemand herausfindet und du und dein Baby in Dachau enden."

"Frau Opferkuch hat meine Mutter beschützt", erzählt der Kanadier Dave Redekop, "vor allem als sie herausfand, dass sie ein Kind erwartet. Sie hatte Angst um sie und sagte: 'Bitte, sag nichts, überhaupt nichts über den Vater. Denn ich habe so Angst, dass es jemand herausfindet und du und dein Baby in Dachau enden'."

Ksenia (rechts sitzend), ein liegender Mann und zwei unbekannte Arbeitskräfte, vermutlich polnische Zwangsarbeiterinnen, auf einer Wiese bei Aalen. Ksenia und Louis haben sich nach 1945 nie mehr gesehen oder gesprochen.
Ksenia (rechts sitzend), der liegende Mann könnte Louis sein, ist aber nicht sicher, und dazu zwei unbekannte Arbeitskräfte, vermutlich polnische Zwangsarbeiterinnen, auf einer Wiese bei Aalen. Ksenia und Louis haben sich nach 1945 nie mehr gesehen oder gesprochen.

Die Mutter, Maria Opferkuch, ist die stille Heldin dieser Geschichte, sagt Aalens Stadtarchivar Georg Wendt. "Denn als sie erfahren hatte, dass Ksenia mit Donna schwanger war, hat sie sie zur Seite genommen und ihr gesagt: 'Wir müssen das unbedingt geheim halten. Wir melden das nicht den Behörden', das hätte nämlich im schlimmsten Fall schlimmste Strafen bis hin zur KZ-Strafe bedeutet".

"Maria Angstenberger hatte sich mit einem polnischen Kriegsgefangenen eingelassen, verliebt. Sie ist ermordet worden im KZ Uckermark."

Die Angst von Maria Opferkuch um Ksenia war nicht unbegründet: Der Aalener Stadtarchivar nennt ein Beispiel, bei dem ein solches Verhältnis tödlich endete. "Beim Nachbarhof beispielsweise war das Glück nicht vorhanden. Maria Angstenberger ist tatsächlich in einer ähnlichen Situation. Sie hatte sich mit einem polnischen Kriegsgefangenen eingelassen, verliebt. Sie ist ermordet worden im KZ Uckermark." so Wendt. Das war etwa ein Jahr bevor Ksenia schwanger wurde.

Donna Rebekop, geborene Jaworowska, vor dem ehemaligen Säuglingsheim, in dem sie 1945 zur Welt kam. Wie es damals und wie es heute aussieht.
Donna Rebekop, geborene Jaworowska, findet ihre Wurzeln. Hier steht sie vor dem ehemaligen Säuglingsheim in Aalen, in dem sie 1945 zur Welt kam. Wie es damals und wie es heute aussieht.

Ende August 1945 wird Donna im Aalener Säuglingsheim geboren und lebt nach Ende des Krieges mit ihrer Mutter in einem Heim für Vertriebene. Anfang der Fünfziger ziehen sie zu Freunden nach Kanada. Dort lebt die inzwischen 78-jährige Donna noch heute. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt. Er hat nie von ihr erfahren. Direkt nach Kriegsende ist er verschwunden. Donna weiß nur von ihrem Vater, dass er aus der Bretagne stammt und drei Schwestern hat. Mehr hat er ihrer Mutter Ksenia nicht erzählt, um sie zu schützen, falls sie von den Nazis befragt werden würde.

Aus dem Familienalbum: Großvater Eugen, Großmutter Maria, Annemie, Berthold, Georg und Ksenia.
Aus dem Familienalbum: Großvater Eugen, Großmutter Maria, Annemie, Berthold, Georg und Ksenia. Es war wohl ein familiäres Verhältnis. Üblicherweise durften Zwangsarbeiterinnen nicht am Familienleben teilnehmen.

Ksenia sucht jahrelang erfolglos nach Vater

In den Achtzigerjahren versucht Donna ihren Vater zu finden – erfolglos. Auch bei einem Besuch zwanzig Jahre später in Aalen kann sie nichts über ihre Vergangenheit erfahren. Erst als ihr Sohn David während des Corona Lockdowns anfängt systematisch zu suchen – mit der Hilfe von Online-Portalen und DNA-Tests - kommt Licht in die dunkle Geschichte.

"Es bedeutet mir und meiner Mutter so viel."

"Ich habe meine und die DNA meiner Mutter auf diverse Internetseiten hoch geladen. Da gab es einen Treffer mit einem Cousin dritten Grades. Über dessen Mutter haben wir einen Namen bekommen und konnten mit dem Stadtarchiv Aalen Kontakt aufnehmen und alles hat zusammengepasst. Es bedeutet mir und meiner Mutter so viel", so David Redekop, genannt Dave.

Kanadier besuchen Aalen um Wurzeln zu finden

Jetzt waren Donna, ihr 52-jähriger Sohn David und weitere Familienmitglieder in Aalen, um persönlich Danke zu sagen - den Menschen von damals, beziehungsweise deren Nachkommen, die sich um Ksenia gekümmert haben, und den Helfern von heute. Denn durch das Engagement des Aalener Stadtarchivars Georg Wendt und Marias Enkel, Berthold Opferkuch, wissen sie jetzt mehr über ihre Familie als vorher. Die Familie Opferkuch hatte die eigene Geschichte aufgeschrieben und Feldbriefe der Söhne aufgehoben. Aber dass es da ein Kind gab, das hat Berthold Opferkuch auch erst durch seine neuen Nachforschungen herausgefunden, sagte er dem SWR.

Auch der Großvater und die Verwandten in Frankreich wurden gefunden

Auch die französische Familie des Großvaters konnte David Redekop mit der DNA-Analyse und weiterer Recherchen finden. So gab es im französischen Militärarchiv in Rennes eine Personenbeschreibung aus Louis' Zeit beim Militär vor dem 2. Weltkrieg. Daher ist klar, dass es wohl keine Bilder aus seiner Aalener Zeit als Kriegsgefangener gibt, sagte Hannah Klopfer dem SWR. Auf dem Hof der Klopfers in Rötenberg und Treppach arbeitete Louis, bevor er auf den Hof der Familie Opferkuch kam. Bei Kriegsende war Louis sofort wieder nach Frankreich zurückgekehrt, zwei Jahre später heiratete er eine Französin, sie bekamen vier Kinder. Louis starb 1977 in Rennes. Donna und David Redekop trafen vergangenes Jahr einen Halbcousin in Frankreich.

"Wir haben ihre Spur verloren, denn sie sprechen kein Englisch und ich kann nicht auf Ukrainisch schreiben."

Zur ukrainischen Familie besteht kein Kontakt mehr. Mit Hilfe des Roten Kreuzes hatte Ksenia 1953 ihre Familie wiedergefunden und einige Jahre lang mit ihnen Briefe geschrieben, erzählt Donna. "Mit diesem Krieg, der da gerade passiert... Ich habe so viele Nichten und Neffen dort. Ich habe keine Ahnung, wo die sind oder was mit ihnen passiert ist. Wir haben ihre Spur verloren, denn sie sprechen kein Englisch und ich kann nicht auf Ukrainisch schreiben", sagt die in Kanada lebende Donna weiter.

Die Familien Redekop und Opferkuch während des Besuchs der Kanadier in Aalen. Vier Männer und vier Frauen stehen Arm in Arm.
Die Familien Redekop und Opferkuch während des Besuchs der Kanadier in Aalen. Von links: Donna Redekop mit Ehemann Aaron, David Redekop, Berthold Opferkuch und seine Ehefrau Marlis, Jen Redekop (Davids Ehefrau). Donna wurde in Aalen als Tochter einer Zwangsarbeiterin geboren. Ihr Sohn David hat sich auf die Suche nach den Wurzeln der Familie gemacht.

Familien aus Aalen und Kanada wollen in Kontakt bleiben

Die Familie Redekop aus Kanada und die Familie Opferkuch aus Aalen jedoch wollen in Kontakt bleiben. Nach dem einwöchigen Besuch der Redekops auf den Spuren der Großmutter in und um Aalen, wollen die Opferkuchs auch einen Gegenbesuch in Kanada machen, sagt Berthold Opferkuch.

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