Bei der Sanierung eines Gebäudes in Ulm, das auf einem alten Stich aus dem 16. Jahrhundert abgebildet ist, haben Handwerker in einer Zwischendecke Getreidespreu entdeckt. Sie hatte rund 450 Jahre als Dämmung gedient. Johannes Völks Firma hat den sogenannten Fürstenegger Hof in Ulm saniert. Der Unternehmer nahm eine Handvoll der Spreu aus der Decke mit nach Hause.
Seine Frau war neugierig und brachte ein wenig Spreu, in der wohl ein paar Getreidekörner versteckt waren, in die Erde in ihrem Garten ein. Zu Sabine Völks großer Freude trieben ein paar der rund 450 Jahre alten Getreidekörner tatsächlich aus und wuchsen heran. "Ich hatte nicht damit gerechnet. Das ist ein Schatz. Dass das wieder keimen kann, ist ein Wunder. Es ist unglaublich."
Ernten mit Körnern von Getreide aus der frühen Neuzeit
Sabine Völk möchte auch in diesem Jahr wieder einen "Schatz" heben und wagt einen neuen Pflanzversuch. Sie kniet vor einem Blumenbeet in ihrem Garten in Elchingen im Kreis Neu-Ulm und lockert die Erde.
Aus einem braunen Papierumschlag schüttet sie ein bisschen Streu erst auf die Hand, dann auf die Erde. Sie hofft, dass sich darin Weizenkörner oder Gerste befinden, die wie beim ersten Mal keimen. "Das ist sensationell, dass ein Korn nach so langer Zeit noch aufgeht und dass ich das Glück hatte, dass in der Spreu überhaupt etwas drin war."
Schon zweimal hatte die Heilpraktikerin Erfolg: 2018 entwickelten sich zwei Getreidehalme, ein Jahr später wuchsen schon mehr als zehn heran. Sabine Völk hat den Weizen und die Gerste getrocknet und aufbewahrt. Die Halme liegen vor ihr auf einem Tablett. Sie deutet auf einen Fruchtstand: "Die Ähren sind ein bisschen kleiner als heute."
Spreu von Weizen als Dämmung im "Fürstenegger Hof" in Ulm
Die Spreu, die Dreschabfälle des Getreides aus Hülsen, Spelzen, Grannen und dem einen oder anderen Körnchen, hatten Handwerker in die Zwischendecke des Fürstenegger Hofs eingefüllt - um 1604, so vermutet Johannes Völk. Er hatte im Rahmen der Sanierung zur Geschichte des Fürstenegger Hofs geforscht.
Der Geschäftsführer eines Immobilienunternehmens steht im Treppenhaus des Gebäudes in Ulm und zeigt auf einen dunkelbraunen Holzbalken: "Bei der Kernsanierung des Gebäudes mussten wir die ganzen Decken öffnen und in den Zwischenräumen zwischen diesen Sparren haben wir die Spreu gefunden."
In historischen Quellen sind mehrere Ziegelein im mittelalterlichen Ulm erwähnt. Der "Fürstenegger Hof" war eine davon. Die dort gebrannten Steine wurden in vielen Bauten der Stadt Ulm verwendet, erzählt Johannes Völk. Etwa in der Stadtmauer. Als die nahe Lehmgrube ausgebeutet war, diente der Fürstenegger Hof als Gastwirtschaft. Heute sind in dem ziegelroten Gebäude auf dem Galgenberg in Ulm Wohnungen.
In Elchingen bedeckt Sabine Völk die ihm Beet ausgebrachte Spreu sorgsam mit Erde. Sie will ihr Getreide weiter vermehren und hat überlegt, die viele Jahrhunderte alten Pflanzenteile Wissenschaftlern für eine genaue Bestimmung der Sorten und weitere Untersuchungen zur Verfügung zu stellen.
Nun hofft sie zunächst auf eine weitere erfolgreiche Ernte. Irgendwann, so meint sie lachend, reichen die Körner und das Mehl daraus dann vielleicht zum Backen. "Für ein ganz kleines Brötchen und wenn ich mein Feld voll habe, dann machen wir ein Brot."