Faktenchecks sind kein Allheilmittel gegen Desinformation. Davon ist der Fake-News-Forscher Marten Risius von der Hochschule Neu-Ulm überzeugt. Wie die Gesellschaft stattdessen mit Falschinformationen umgehen könnte, was eine Impfung damit zu tun hat und warum wir nachsichtiger mit anderen Meinungen sein sollten, erklärt der Wirtschaftsinformatiker im SWR-Interview.
SWR Aktuell: Wie können sich Nutzerinnen und Nutzer vor Falschinformationen schützen?
Marten Risius: Oft meint man, man muss nur zeigen, dass etwas falsch ist und dann glauben die Leute das nicht mehr. Dann ist das Problem gelöst. Was man aber eigentlich sieht: Diese korrektiven oder Fact-Checking-Sachen wirken zum Teil, aber sind kein Allheilmittel. Was einen ganz starken Einfluss hat, sind bestehende Einstellungen. Eigentlich bin ich geneigt dazu, jede Information, die meine bestehende Meinung bestärkt, eher zu glauben. Und werte sogar aktiv gegenläufige Informationen ab. Im Englischen wird das "Confirmation Bias" genannt.

SWR Aktuell: Welchen Umgang mit Desinformation schlagen Sie stattdessen vor?
Risius: Eine vielversprechende Methode nennt sich "kognitive Immunisierung". Der Gedanke dahinter ist der "Impfansatz". Man versucht, Menschen beizubringen: Das sind die Narrative, die Strategien, mit denen Leute versuchen, Desinformation zu verbreiten. Und dann gibt man ihnen kleinere, ungefährliche Dosen von Desinformation, durch die sie lernen, sich damit auseinanderzusetzen. Wie eine Impfung. Und das funktioniert deutlich besser als beispielsweise Fact-Checking.
Bin ich bereit, meine Meinung zu ändern? Wenn ich es nicht bin, kann ich auch nicht von der anderen Person erwarten, dass sie es tut.
In Finnland wird die Fähigkeit, mit Informationen umzugehen, an Schulen unterrichtet. Ich finde es auch wichtig, dass beispielsweise die Politik den Diskurs mit Plattformen sucht und versucht, deren Sprache zu sprechen. Denn wenn es Plattformen schaffen, dass sie nicht nur Inhalte runternehmen und radikalisierte Meinungen ausgrenzen, sondern mehr sozial verträglichen Austausch fördern, wäre man schon einen großen Schritt weiter. Wir haben in der EU eigentlich keine eigene soziale Plattform. Die kommen aus China, aus den USA. Vielleicht könnte man Anreize setzen, sowas auch mal zu gründen und dort mehr europäische Werte zu vertreten.
SWR Aktuell: Der Wahlkampf vor der Bundestagswahl ist im vollen Gange. Welche Fake-News-Bewegungen können Sie erkennen?
Risius: Man muss davon ausgehen, dass solche Kampagnen stattfinden. Das sieht man auch in kleineren afrikanischen Ländern, das wird hier genauso stattfinden. Je stärker Gesellschaften auf Onlinemedien zurückgreifen, um in Austausch zu kommen und Politik zu betreiben, desto stärker werden auch ausländische Einflüsse und Desinformationskampagnen.
Workshops von SWR und SWP für Schülerinnen und Schüler Newscamp in Ulm: Jugendliche lernen Umgang mit Fake News
Beim Newscamp in Ulm haben am Mittwoch rund 100 Jugendliche erlebt, wie Journalistinnen und Journalisten arbeiten. Die Veranstaltung ist Teil des bundesweiten Projekts #UseTheNews.
SWR Aktuell: Vielen sitzt die US-Wahl noch in den Knochen. In deren Vorfeld kursierten zahlreiche Fake News. Welchen Anteil hatte Desinformation Ihrer Einschätzung nach am Ergebnis der US-Wahl?
Risius: Da kann man keine seriöse Schätzung abgeben. Das Interessante ist, wie sich Desinformationskampagnen im Laufe der Zeit gewandelt haben. Bei der ersten Trump-Wahl 2016 war der Fokus auf Bots, die russische Desinformationskampagnen verbreitet haben. Bei der Wahl 2020 waren die Bots gar nicht mehr das Thema, sondern Trump oder die politischen Aktivisten selber, die ihre Desinformationen verbreitet haben. Jetzt, bei dieser US-Wahl, redet man schon von "partizipativer Desinformation", wo es darum geht, dass authentische, realistische Accounts Desinformationen verbreiten. Wo ursprünglich strategische Interessen von bösartigen Akteuren wie Russland, China oder Indien dahinterstanden, kann man heute sagen, dass deren Einfluss zurückgegangen ist. Und dass es mehr dieser gesellschaftliche Diskurs ist, in dem Desinformationen geteilt werden.
SWR Aktuell: Eines Ihrer Forschungsfelder kreist um die Moderation von Inhalten in sozialen Medien. Wie blicken Sie auf die Entscheidung von Mark Zuckerberg, Chef des Tech-Konzerns Meta, in den USA die Zusammenarbeit mit externen Fact-Checkern zu beenden, wie er sagt "zugunsten der Redefreiheit"?
Risius: Sehr zwiegespalten. Wenn Mark Zuckerberg sagt, dass die Moderation von Inhalten auf der Plattform Zensur ist, dann meint er damit Fehlentscheidungen: dass wir etwas als falsch deklarieren, das gar nicht falsch ist. Zensur zu unterstellen, zu sagen, das ist staatlich organisiert, das sind die etablierten Medien, ist aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt. Ich würde mir wünschen, dass die Möglichkeit dieses Fact-Checkings weiterhin besteht.
SWR Aktuell: Fake News finden häufig ihren Weg von den Sozialen Medien in Gespräche mit Bekannten oder Familienmitgliedern. Wie sollte man aus Ihrer Sicht darauf reagieren?
Risius: Mit einer Offenheit für einen kritischen Diskurs. Und nicht mit einer Ablehnung gegen alles, was meiner Meinung widerspricht. Ich bin nicht bereit, meine Meinung zu ändern, kommuniziere das auch. Aber ich würde gerne deine Gründe verstehen, weil es mir hilft, über meine eigene Argumentationsbasis nachzudenken. Wenn man anfängt, zu versuchen, im familiären Umfeld Leute zu missionieren, erzeugt man Streit und zerstört bloß das Sozialgefüge. Ganz selten wird es über solche Diskussionen geschafft, dass man jemanden überzeugt. Ich versuche immer den Check zu machen: Bin ich bereit, meine Meinung zu ändern? Wenn ich es nicht bin, kann ich auch nicht von der anderen Person erwarten, dass sie es tut. Im Gespräch zu bleiben und auch im ganz konkreten Familienfall den Personen Wertschätzung zu geben und sie nicht auf diese eine komische Einstellung zu reduzieren, ist wichtig. Das soziale Gefüge, soziale Verbundenheit ist ein riesiger Faktor, dass jemand sich nicht weiter radikalisiert.