Tübingen Neckarfront (Foto: SWR, SWR)

40 Prozent hätten Anspruch auf Sozialwohnung

Wohnungsnot in Tübingen: Auch Mittelschicht leidet unter hohen Mieten

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Miriam Plappert
Miriam Plappert ist Reporterin für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen. (Foto: SWR, Jochen Krumpe)
Anna Priese

Ein WG-Zimmer für 600 Euro? In Tübingen nicht ungewöhnlich. Familien, Studierende, Rentner: vielen fehlt bezahlbarer Wohnraum. Dabei hätten einige Anspruch auf eine Sozialwohnung.

Wer in der beliebten Uni-Stadt Tübingen wohnen will, muss ordentlich zahlen. Mittlerweile hätten viele Tübinger Haushalte ein Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein und könnten somit in eine Sozialwohnung einziehen, schätzt die Stadt. So viele Sozialwohnungen gibt es aber bei weitem nicht. Was also tun gegen die Wohnungsnot?

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Die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt ist hoch

Anja Lochner ist alleinerziehend mit zwei Kindern. Über den normalen Wohnungsmarkt hat sie in Tübingen eigentlich noch nie eine Wohnung gefunden, sagt sie. Familien und besonders Alleinerziehende hätten kaum eine Chance.

"Es funktioniert eigentlich nur über Beziehungen. Die letzten zwei Wohnungen habe ich über Freundinnen bekommen."

Wohnungsnot in Tübingen (Foto: SWR)
Anja Lochner ist froh, dass sie bald in ein genossenschaftliches Wohnprojekt einziehen kann. Noch ist das Mehrgenerationenhaus im Bau.

Genossenschaftliches Wohnen als Alternative

Bald steht wieder ein Umzug an. Wenn ihre Kinder aus dem Haus sind, will Lochner in ein genossenschaftliches Wohnprojekt ziehen. Das nimmt ihr viele Sorgen – zum Beispiel wegen Eigenbedarf gekündigt zu werden. "Beim genossenschaftlichen Wohnen hat man lebenslanges Wohnrecht. Man ist sicher vor ständig steigenden Mieten. Das Gebäude ist dem Immobilienmarkt entzogen." Um in das Mehrgenerationenhaus ziehen zu dürfen, hat Lochner einen Wohnberechtigungsschein beantragt.

40 Prozent der Haushalte könnten in Sozialwohnung leben

Der Schein erlaubt Menschen mit geringem Einkommen in eine Sozialwohnung zu ziehen. Wobei von geringem Einkommen mittlerweile fast nicht mehr die Rede sein kann. Auch Besserverdienende bekommen den Schein mittlerweile. Rund 40 Prozent der Tübinger Haushalte hätten ein Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein und damit auf eine Sozialwohnung, schätzt Axel Burkhardt, Wohnraumbeauftragter in der Stadtverwaltung Tübingen. Die Schätzung beruht auf Zahlen zum durchschnittlichen Einkommen.

Auch die Mittelschicht lebt in Sozialwohnungen

Der Wohnberechtigungsschein sei nicht nur an die finanzschwächsten Haushalte gerichtet, sondern auch für die Mittelschicht ein Thema, so der Wohnraumbeauftragte. Eine Vierköpfige Familie bekomme den Schein bei einem Jahreseinkommen von bis zu 70.000 Euro brutto. Dass die Einkommensgrenzen zu hoch gesetzt sind, findet er nicht. Eine Familie, die an der Einkommensgrenze liege, könne sich keine Miete von bis zu 15 Euro pro Quadratmeter, wie sie in Neubauten in Tübingen üblich ist, leisten. "Und deshalb braucht sie auch tatsächlich einen Wohnberechtigungsschein."

Neubauten lösen das Problem nicht

Genug Sozialwohnungen für alle, die berechtigt wären, gibt es in Tübingen bei weitem nicht. Auf 90.000 Einwohner kommen laut Stadtverwaltung gerade mal rund 1.700 Sozialwohnungen. Neue Wohnungen zu bauen reiche nicht aus, um das Problem zu lösen und dauere viel zu lange. Eine andere Lösung müsse her, sagt der Wohnraumbeauftragte. Man müsse schauen, wo es noch ungenutzen Wohnraum gebe. Außerdem sollten Kommunen aktiv in den Mietpreis eingreifen dürfen. Das müsse die Bundespolitik erlauben.

Baustelle Hechinger Eck (Foto: SWR, Christoph Necker)
Gegen die Wohnungsnot: Am Hechinger Eck in Tübingen entstehen neue Wohnungen.

Prognose: Die Wohnungsnot wird noch schlimmer

Der Wohnungsnot Herr zu werden, ist auch Aufgabe von Tübingens Baubürgermeister Cord Soehlke. Er glaubt, die Not wird in den kommenden Jahren noch deutlich schlimmer.

"Ich glaube, da kommt ein ganz großes Thema auf unsere Stadtgesellschaften zu, das eine gewisse Sprengkraft hat. Das macht mir weit über Tübingen hinaus Sorgen."

Menschen mit geringem Einkommen, die die Stadt am Laufen halten - etwa Krankenpfleger, Erzieher oder Bäckerinnen - würden durch die hohen Mieten vertrieben.

Wohnungsnot auf mehreren Ebenen bekämpfen

Die Stadt versucht, auf unterschiedliche Art gegenzusteuern - zum Beispiel mit innovativen Wohnprojekten und Nachverdichtung. Geplant sind auch Angebote für Rentner, ihre zu groß gewordene Wohnung einzutauschen, sagt Soehlke. Letztlich müsse aber jeder einzelne helfen und ungenutzen Wohnraum, etwa Einliegerwohnungen, zur Verfügung stellen.

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