Auch in Mehrstetten (Kreis Reutlingen) gibt es Herausforderungen zu bestehen und unterschiedliche Interessen zu vereinen. 1.500 Menschen leben in dem Ort auf der Schwäbischen Alb. Vor ein paar Jahren schloss hier aus Altersgründen der letzte Laden. Bürgerinnen und Bürger taten sich daraufhin zusammen und gründeten eine Genossenschaft. Dahinter steckt viel ehrenamtliche Arbeit. Ohne dieses Engagement ginge es nicht - und die gelegentliche Warenspende aus der Gegend hilft auch.
Zwei große Holzkisten mit Äpfeln stehen am Eingang des Dorfladens, einmal rote und einmal grüne Boskop. Sie sind frisch eingetroffen, ein Bekannter aus der Nähe hat sie von seinen Apfelbäumen geerntet und dem Laden zum Verkauf gebracht. Auch Honig oder Traubensecco gibt es von Erzeugern aus der Gegend. Ansonsten sieht der Dorfladen nicht mehr aus wie der Tante-Emma-Laden, der er früher einmal war, sondern eher wie ein Supermarkt, mit einer Käsetheke, großen Kühlschränken und meterlangen Regalen. Eine Poststelle und ein kleines Café gibt es auch.
Kompromisse und Toleranz gefragt
Schon beim Sortiment hat sich gezeigt, wie schwierig es sein kann, die unterschiedlichen Interessen zusammenzubringen: "Der eine hat gesagt: 'Wir müssen unbedingt jetzt alles in Bio verkaufen.' Der andere hat gesagt: 'Bio geht gar nicht, das kauft ja niemand'“, erinnert sich Bernd Schiller, der eigentlich einen Optikerladen betreibt. Er meint: "Da muss man halt manchmal doch über seinen Schatten springen und sagen: 'Na ja, Bio und Regional wird ja doch gekauft'. Und der andere muss sagen: 'Na ja, stimmt, der Rest rettet schon auch unseren Umsatz und unseren Laden.' Man lernt dadurch Kompromissbereitschaft und Toleranz." Schiller denkt dabei etwa an mehrfach in Plastik eingepackte Hefte für Kinder oder andere Produkte, die weniger nachhaltig sind. Für ihn kommt es auf die Mischung an.
Misstrauensvotum und Vertrauensfragen gibt es nicht nur in Berlin
Seine Genossenschaftskollegin Anke Dauter geht noch einen Schritt weiter: Für sie hat die ehrenamtliche Arbeit in der Gruppe, die viele Kompromisse erfordert, eine Parallele zur großen Politik: "Wir haben es auch mit Rücktritten zu tun gehabt. Wir haben auch Vertrauensfragen beantworten müssen. Es gab so etwas wie ein Misstrauensvotum gegenüber unterschiedlichen Personen, aber auch Wahlen, Kündigungen aus der Genossenschaft und neue Personen, die reinkommen." Dauter, die sonst für einen psychiatrischen Dienst arbeitet, sagt: "Das ist bei uns genauso. Die Frage ist, was lernt man daraus."
Meinungen über Ampel-Aus gehen auseinander
Schnell geht es nach Feierabend in der gemütlichen Sitzecke im Café des Ladens um die aktuellen politischen Ereignisse. An einem Jugendstiltisch unter dem Bild eines Bauernhauses diskutieren die Ehrenamtlichen über das Ende der Bundesregierung und die anstehenden Neuwahlen. Der pensionierte Lehrer Frieder Gundert hat die Statements in Berlin zur Entlassung des damaligen Finanzministers Christian Lindner (FDP) durch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) live im Fernsehen verfolgt. Sein Eindruck: "Die Art und Weise lässt erahnen, wie konfliktbehaftet das ständig war, wie oft es da Differenzen gab, man versuchen musste, sich zusammenzuraufen, um doch irgendwie weiterzumachen und nicht aufzugeben."
Kanzler Scholz und die Gefühle
Dass der Kanzler Emotionen gezeigt habe, fand Gundert gut. Dorfladen-Mitstreiter Bernd Schiller meint, auch Lindner habe man angemerkt, "angefasst" zu sein. Auf Anke Dauter wirkte es dagegen eher inszeniert. Manches irritiere sie. Bernd Schiller gibt zu bedenken: "Auf der einen Seite möchten wir mehr Emotionen. Aber wenn dann jemand Emotionen zeigt, sind wir oft irritiert und sagen: 'Der verliert seine Professionalität.'" Das sei menschlich, aber schwierig: "Man erwartet Professionalität. Aber gerade beim Bundeskanzler haben wir gesagt: 'Der zeigt nie Emotionen.' Jetzt macht er es mal und wir sind total irritiert." Mit Blick auf die kommenden Bundestagswahlen meint Schiller, man dürfe bestimmte Parteien nicht völlig abschreiben, nur weil sie am Ende nicht mehr miteinander konnten oder Fehler gemacht hätten. Schließlich müssten demokratische Parteien wählbar sein und zusammenarbeiten können.
Mut zu Fehlerkultur und Entscheidungsfreude
Was wünschen sich die Laden-Betreibenden in Mehrstetten jetzt also von der Politik? "Fehlerfreundlichkeit", nennt es Anke Dauter. "Weniger Populismus", sagt Frieder Gundert, "und nicht schon gleich am ersten Tag Wahlkampf - aber das ist wohl utopisch." Bernd Schiller wünscht sich "ein bisschen weniger Bürokratie" und den "Mut, Entscheidungen zu treffen“, den er schon in der Kommunalpolitik manchmal vermisst. Eigentlich ist die Politik ja auch nur ein Dorfladen in groß.