Menschen demonstrieren in Nagold (Kreis Calw) gegen die AfD.

Trotz Demos gegen Rechtsextremismus

Kommunalwahl: AfD auf der Suche nach Gemeinderatskandidaten

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Ulrike Mix

Auf den Straßen demonstrieren Hunderttausende gegen Rechtsextremismus und oft auch direkt gegen die AfD. Gleichzeitig sucht die Partei Kandidaten für die Kommunalwahl und lädt zu Workshops. Wer kommt da?

Die AfD steckt mitten in den Vorbereitungen zur Kommunalwahl am 9. Juni - genau wie alle anderen Parteien. Im Nordschwarzwald scheint die Partei besonders emsig: Der AfD-Kreisverband Calw-Freudenstadt  hat jüngst gleich dreimal zu Kommunalwahl-Workshops eingeladen: in Freudenstadt, Calw und Nagold. Das Ziel: Menschen finden, die für die AfD gern Kreis- und Gemeinderäte wären. Das blieb nicht unbemerkt.

Spontane Gegendemonstration vor dem "Adler" in Nagold

Als sich die AfD für ihre Veranstaltung in Nagold versammelt, stehen zehn Menschen vor dem Gasthof "Adler". Sie halten Schilder hoch mit Aufschriften wie "AfD-Höcke ist ein Faschist" oder "Faschisten - Rassisten". Die Gegendemonstranten konfrontieren die Gäste des Workshops mit dem wohl umstrittensten Vertreter der AfD, dem Fraktionschef im Thüringer Landtag, Björn Höcke. Die Reaktion: "Wir sind nicht von Thüringen, wir sind hier Baden-Württemberg." Ein AfD-Mitglied sagt später: Höcke werde dämonisiert.

Kreis Calw gilt als rechte Hochburg

Die Demonstranten diskutieren mit dem AfD-Vorsitzenden des Kreisverbands Calw-Freudenstadt, Günther Schöttle, und mit seiner Stellvertreterin Angelika Reutter. Es geht unter anderem um den Klimawandel. Den gebe es nicht, sagt Angelika Reutter. Beziehungsweise: Das Klima habe sich immer gewandelt. Den Einwand, dass das noch nie so schnell geschehen sei, lässt sie nicht gelten.

Menschen demonstrieren in Nagold (Kreis Calw) gegen die AfD. In der Mitte: Der Vorsitzende des AfD Kreisverbands Calw-Freudenstadt Günther Schöttle.
Menschen demonstrieren in Nagold (Kreis Calw) gegen die AfD. In der Mitte: Der Vorsitzende des AfD-Kreisverbands Calw-Freudenstadt Günther Schöttle.

Der Kreis Calw im Nordschwarzwald gilt als rechte Hochburg. Bei der letzten Landtagswahl vor drei Jahren kam die AfD hier auf 13,5 Prozent. In einzelnen Orten erreichte sie deutlich über 15 Prozent. Im Gasthaus Adler platzt das Nebenzimmer, das die AfD reserviert hat, aus allen Nähten. Rund 50 Menschen sitzen dicht gedrängt im Raum. Der AfD-Kreischef Günther Schöttle begrüßt sie ironisch mit "Liebe, Rechtsradikale". Der Saal lacht.

AfD-Workshop mit wenig konkreten Themen

"Workshop Kommunalpolitik" ist der offizielle Titel des Abends. Schöttle wirft ein Bild der Gemeindeordnung von Baden-Württemberg an eine Leinwand. Was darin stehe, müsse ein Kandidat aber nicht wirklich wissen, meint er. Seine zentrale Botschaft: Man müsse ein offenes Ohr haben für die Sorgen und Nöte der Mitbürger.

Dass die AfD sich als Vertreterin der einfachen Leute darstelle, sei typisch, sagt Michael Wehner. Er ist Experte für Kommunalpolitik bei der Landeszentrale für politische Bildung.

Die AfD hat den strategischen Vorteil, wie wahrscheinlich auch das „Bündnis Sahra Wagenknecht“, dass die halt nicht in der Verantwortung sind und sich dementsprechend immer als Kümmerer zeigen können. Und das kann man natürlich, solange man nie irgendwo in Verantwortung ist.

In den Gemeinderäten der Kreise Calw und Freudenstadt ist die AfD so gut wie nicht vertreten - bestenfalls mit ein oder zwei Mandatsträgern, in den Kreistagen dagegen schon. Im Kreistag von Calw hat die AfD fünf der insgesamt 48 Sitze. Für Wehner ist klar: Anders als im Osten wird die AfD in Baden-Württemberg auch nach der Kommunalwahl keine tragende Rolle spielen. Auch wenn die Partei wohl Zuwächse verzeichnen wird. Gerhard Schöttle dagegen hat das ehrgeizige Ziel, die Anzahl der AfD-Sitze im Kreistag zu verdoppeln. Die Partei hat nur ein Problem: Für eine stärkere Präsenz im Kreistag und in den Gemeinderäten braucht sie Kandidaten, und die will die AfD mit ihrem Workshop in Nagold gewinnen.

Der Vorsitzende des AfD Kreisverbands Calw-Freudenstadt, Günther Schöttle, spricht bei einer Veranstaltung der Partei in Nagold (Kreis Calw).
Der Vorsitzende des AfD-Kreisverbands Calw-Freudenstadt, Günther Schöttle, spricht bei einer Veranstaltung der Partei in Nagold (Kreis Calw).

Schöttle betont: AfD-Kandidaten sollten einschreiten, wenn in der Kommune etwas schiefläuft. Das habe er in den vergangenen Jahren als Nagolder Gemeinderat und als Calwer Kreisrat mehrfach getan, zum Beispiel rund um das Thema Krankenhäuser. Die Versorgung sei miserabel in Nagold. "Und da ist jetzt ja beschlossen worden, dass wir fusionieren sollen" – mit der Klinikgesellschaft im Nachbarlandkreis Böblingen. Schöttle sagt, die Entscheidung sei durchgepeitscht worden im Kreistag - "unvorbereitet, unüberlegt." Dass der Klinikverbund Südwest selbst eine Fusion anstrebt, war erstmals im November 2021 bekannt geworden. Gefallen ist die Entscheidung im Kreistag im Dezember 2023 - also zwei Jahre später. Was Schöttles Einwände gegen die beschlossene Fusion noch bewirken können, bleibt offen.

Viele Besucher sind schon Mitglied in der AfD

Die meisten Anwesenden im Hinterzimmer des Gasthauses Adler sind Parteimitglieder. Bei ihnen kommt die Idee von der AfD als Kümmerer und Korrektiv offenbar gut an. Auf die Frage, warum sie der Partei beigetreten seien, sagen zwei, nur die AfD sage unverblümt die Wahrheit. Die Partei sei für die Bürger da. Dagegen sei den regierenden Parteien alles "scheißegal", zum Beispiel die hohen Energiekosten. Sie hätten ihre Versprechen nicht gehalten.

Kritik an Windkraft und Photovoltaik - kein Wort zu Asylbewerbern

Um konkrete kommunalpolitische Inhalte geht es beim Workshop in Nagold selten. Nur zwei Themen greift Günther Schöttle heraus: die Windkraft, die im Schwarzwald seit Jahren heiß umstritten ist, und Photovoltaikanlagen. Die will er nicht auf Wiesen und Feldern sehen, solange es Dächer oder Industriebrachen gibt, auf die man sie bauen kann.

Ich bin nicht gegen Windräder. Und ich bin auch nicht gegen solartechnische Anlagen. Aber solange wir die Speicherproblematik nicht gelöst haben, ist jedes Windrad, welches den Strom nicht dann liefern kann, wenn er benötigt wird, eins zu viel.

In einem Info-Heftchen, das auf den Tischen ausliegt, steht es konkreter: Die AfD will zurück zum alten Energiemix mit Atomkraft und heimischer Kohle. Das sei bezahlbar und umweltverträglich. In dem Heftchen wird gegen die Energiewende gewettert und allgemein gegen "Verbotspolitik". Tenor: Egal ob Fleisch, Ölheizung, Bier oder Tabak alles solle verboten werden. Beim Workshop in Nagold spielt das keine Rolle. Es fällt auch kein Wort über Asylbewerber oder ukrainische Flüchtlinge. Eine Diskussion kommt nicht zustande - auch nicht darüber, was die Aufgabe von Gemeinde- oder Kreisräten ist. Es gibt keine Rückfragen.

Was Menschen in den Workshop bringt: Corona, Bürgergeld, Kriminalität

Warum also sind die Teilnehmer zum Workshop gekommen? Wer fragt, erfährt Gründe quer durch das Repertoire der AfD: Viele der Anwesenden sagen, sie wollten keine ausländischen Straftäter oder solche, die auf Staatskosten leben. Für manche war die Corona-Politik der Grund, der sie zur AfD gebracht hat. Einen Metzgermeister hat das Bürgergeld dazu gebracht, die AfD-Mitgliedschaft zu beantragen. Er meint, wenn einer, der bei ihm in der Metzgerei arbeite, am Ende nur unwesentlich mehr oder sogar weniger Geld habe als einer, der nicht arbeitet, dann stimme etwas nicht.

Für alle, die sich ein Engagement als Kommunalpolitiker für die AfD vorstellen können, verspricht Kreischef Schöttle: Die Zusammenarbeit mit den anderen Parteien sei ganz gut, in Sachfragen werde auch mal mit der AfD gestimmt.

Der Kommunalpolitik kommt so eine Schlüsselrolle zu und letztendlich die Frage, wie lange diese Brandmauer standhalten kann oder eben nicht.

Die Kommunalpolitik sei für die AfD wichtig, bekräftigt Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung. Hier gebe sich die AfD teils gemäßigt und sachorientiert, auch in der Hoffnung, dass sie die Abgrenzung der anderen Parteien dadurch überwinden kann.

Thomas Blenke: Die "Brandmauer" steht

Der Chef der CDU im Kreis Calw, Thomas Blenke, bestreitet, dass mit der AfD zusammengearbeitet werde:

Ich schließe es für mich aus, und ich gehe davon aus, dass diese Brandmauer steht. Und ich bin sehr hoffnungsfroh, dass das auch für alle anderen Parteien gilt.

Blenke ist auch Staatssekretär im baden-württembergischen Innenministerium. Als solcher möchte er sich aber nicht äußern. Dann müsse er seine Aussagen nämlich vorher abstimmen, sagt er.

Auch wenn auf der AfD-Veranstaltung in Nagold keine Hassreden geschwungen werden. Mit einigen Sätzen heizt Kreischef Schöttle ein: Man werde von der Presse manipuliert, die Partei werde dämonisiert. Außerdem habe sich in den vergangenen Wochen die Stimmung verändert. Seit auch in Baden-Württemberg Tausende gegen die AfD auf die Straße gehen, habe er den Eindruck, dass die Leute anfangen, einen zu hassen. Die Bevölkerung werde in einem Maße aufgehetzt, dass es undemokratisch sei.

Unter den Gästen gibt es für die Demos gegen Rechtsextremismus wenig Verständnis. Sie unterstellen den Veranstaltern, die Demonstranten seien bezahlt - obwohl es keinerlei Hinweise darauf gibt. Und: "Durch Demonstrationen wird die Politik nicht besser. Wir sind jetzt am Schlusslicht in Europa, und wir haben die größten Probleme."

Beim Wachstum ist Deutschland in Europa tatsächlich Schlusslicht. Hohe Zinsen und die hohe Inflation schwächen die Wirtschaft. Was braucht Deutschland, um wieder fit zu werden? Mehr dazu im Audio-Beitrag von SWR2:

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Demo gegen Rechtsextremismus in Nagold

Am Ende des Workshops in Nagold ist AfD-Kreischef Schöttle zufrieden: Er habe vier Anfragen von Menschen bekommen, die möglicherweise für die AfD kandidieren wollen. Aber auch der Protest geht weiter. Für Sonntag ist in Nagold eine Demo angekündigt. Motto: "Nagold steht auf! Für Demokratie und Toleranz".

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