Bei der ersten Runde der Tarifverhandlungen für die 490.000 Beschäftigten im baden-württembergischen Einzelhandel ist am Donnerstag in Stuttgart keine Einigung erreicht worden. Am 17. Mai werde in zweiter Runde weiterverhandelt, teilten der Handelsverband Baden-Württemberg und die Gewerkschaft ver.di am Abend mit.
Erstes Angebot der Arbeitgeberseite auf dem Tisch
Die Arbeitgeberseite hatte eine tabellenwirksame Erhöhung von insgesamt fünf Prozent über zwei Jahre angeboten sowie eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie von 1.000 Euro, jeweils in zwei Schritten.
"Wir sind uns unserer Verantwortung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einzelhandel bewusst und steigen daher mit dem schnellsten und höchsten Angebot seit Jahrzehnten in die Tarifrunde ein", sagte Philip Merten vom Handelsverband Baden-Württemberg laut einer Mitteilung. Das Angebot zeige, dass man ernsthaft nach einer Lösung suche, die die Bedürfnisse der Beschäftigten und die "wirtschaftlichen Zwänge von Unternehmen in unserer Branche" zum Ausgleich bringe.
ver.di: "Angebot ist völlig unzureichend"
Die Verhandlungskommission der Gegenseite hat das Angebot einstimmig als unzureichend zurückgewiesen, wie der Verhandlungsführer der Gewerkschaft ver.di, Wolfgang Krüger, mitteilte. Die Gewerkschaft fordert unverändert 15 Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von einem Jahr. Das wiederum weist der Handelsverband als überzogen zurück.
Die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands, Sabine Hagmann, hatte im Voraus gesagt: "Angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Lage und speziell der schwierigen Lage im Einzelhandel gehen wir von den härtesten Tarifverhandlungen seit Langem aus."
Der Handelsverband verweist auf die prekäre Lage im Einzelhandel. Das zeigten auch die vielen Insolvenzen großer Handelsunternehmen. Hagmann fordert die Arbeitnehmer auf, "angesichts der aktuellen Situation Verantwortung zu übernehmen, um das Überleben des stationären Einzelhandels zu sichern".
ver.di: Zeit für kräftige Entgelterhöhungen
Von Lohnzurückhaltung will ver.di-Verhandlungsführer Wolfgang Krüger nichts wissen. "Die Einzelhandelsunternehmen konnten sich von gestiegenen Kosten entlasten, indem sie ihrerseits die Preise erhöhten." Jetzt sei es Zeit, den Beschäftigten, die seit über einem Jahr der extremen Inflation ausgesetzt seien, kräftige Entgelterhöhungen zukommen zu lassen: "Am besten geht dies mit tabellenwirksamen Anhebungen, denn sie sind nachhaltig". Zudem würden sie zu angemessenen Renten im Alter betragen.
Die Gewerkschaft fordert 15 Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von einem Jahr. Außerdem will sie eine Anhebung der Ausbildungsvergütungen um monatlich 200 Euro und eine Verdoppelung der Sozialzulagen erreichen.
Im Einzelhandel drohen Warnstreiks
Die Tarifverhandlungen dürften angesichts der unterschiedlichen Positionen zäh und langwierig werden. Auch Warnstreiks sind wahrscheinlich. Allerdings ist es Tarifexpertinnen und -experten zufolge im Einzelhandel für die Gewerkschaft besonders schwierig, Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben. Denn der Organisationsgrad sei niedriger als in anderen Branchen, heißt es. Das liege auch daran, dass viele Teilzeit-Beschäftigte in vielen Betrieben besonders schwer zu organisieren seien.
Tarifgespräche werden traditionell regional geführt. Die längste Tarifrunde der vergangenen Jahren im Handel wurde in Baden-Württemberg im Jahr 2008 beendet - 18 Monate dauerte es damals, bis eine Lösung am Verhandlungstisch erzielt wurde. Begleitet wurden die Gespräche von zahlreichen Streikaktionen.