Stadtdekan Christian Hermes beim Katholikentag in Stuttgart (Foto: SWR, Franziska Göttlicher)

"Wir dürfen nicht als Halleluja-Schlümpfe durch Stuttgart hüpfen"

Stadtdekan Hermes über den Katholikentag, die Kirche und das Feiern

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Als Stadtdekan ist Monsignore Christian Hermes quasi der Gastgeber des Deutschen Katholikentags in Stuttgart. Was denkt er über Promis, kirchliche Strukturen und Glaubwürdigkeit?

SWR: Wie ist die Stimmung bei der Eröffnung des Katholikentags nach fast zwei Jahren Vorarbeit?

Stadtdekan Christian Hermes: Ich bin so erleichtert, weil wir ja alle möglichen Szenarien durchgespielt hatten, wenn Corona anhält, wenn man sich nicht treffen darf und so weiter. Und ich spüre auch bei allen, die jetzt hier sind, eine ganz große Freude. Einfach, dass man sich wieder treffen kann, dass man einander begegnen kann, dass man ein großes Fest zusammenfallen kann.

Sie haben mal gesagt: Da wo Katholikentag draufsteht, da muss auch Katholikentag drin sein. Da dachten wir natürlich noch vor Monaten an Missbrauch, an Kirchenaustritte, an die Rolle der Frau. Und auf einmal gibt es einen Angriffskrieg in Europa. Was muss denn jetzt auf den Podien diskutiert werden, damit der Katholikentag einen Sinn macht?

Der Katholikentag hatte einen langen Planungsvorlauf. Von daher werden die Themen, die jetzt etwas zu sehr in den Hintergrund geraten sind, auch diskutiert werden - auch die ökologischen Fragen. Es sind 1.500 Veranstaltungen hier - Gottesdienste, Diskussionsveranstaltungen, große Podien mit prominenter politischer Besetzung. Und jetzt haben wir eben das Thema Ukraine. Der Katholikentag muss den inzwischen über 6.500 Ukrainerinnen und Ukrainern, die allein hier in Stuttgart jetzt leben, in die Augen schauen können. Und ich bin sehr froh, dass beispielsweise am Freitag hier eine Gedenkveranstaltung stattfindet - auch mit ukrainischer Beteiligung. Und es ist auch gelungen, eine wirklich gut besetzte Diskussionsveranstaltung zum Thema "Krieg und Frieden mitten in Europa" ins Programm zu bringen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kommen. Wie wichtig ist die Anwesenheit von Politikern und Politikerinnen für den Katholikentag?

Das ist für den Katholikentag enorm wichtig. Und umgekehrt würde ich auch sagen: Selbst wenn die katholische Kirche jetzt mit der evangelischen nicht mehr die Hälfte der Bevölkerung umfasst, sind es aber trotzdem die größten gesellschaftlichen Gruppen, die es in der Bundesrepublik gibt. Und die Kirchen bringen eine enorme Kompetenz mit - beispielsweise in Fragen der sozialen Gerechtigkeit und auch der politischen Ethik. Unser Grundgesetz, unsere ganze Staatsordnung ist sehr vom christlichen Menschenbild geprägt. Und deshalb stehen wir für eine Partnerschaft und für eine Verantwortung, die wir haben, auch für die Welt. Wir sind nicht Christen, damit wir uns in die Sakristei oder fromme Zirkel zurückzuziehen, sondern um unsere Verantwortung wahrzunehmen und diese Welt dem Evangelium gemäß zu gestalten. Und übrigens gehört dazu natürlich auch, dass wir unsere Kirche evangeliumsgemäß gestalten.

Was ist Ihr wichtigstes Thema? Gibt es das?

Ich erlebe tagtäglich, wie unsere Kirche an Glaubwürdigkeit verloren hat, wie die Menschen sagen: Ich will mit dieser Institution nichts mehr zu tun haben. Ich merke bei anderen und auch bei mir selber als Priester, wie ich zunehmend angefressen bin von jedem Bericht, der kommt. Ich spüre, dass eben dieses Thema der Weltverantwortung und auch die Stimme in der Öffentlichkeit wahrzunehmen, überhaupt nicht mehr gelingt, wenn wir es nicht schaffen, in unserem eigenen Laden wirklich aufzuräumen. Ich stehe mit vielen dafür ein, dass wir unsere Kirchenleitungen nicht aus der Verantwortung lassen. Dass diese Kirche wieder glaubwürdig sein kann. Das gilt für die Fragen des sexuellen Missbrauchs, das gilt aber genauso auch für die Fragen der Gendergerechtigkeit und den Strukturen in dieser Kirche.

Zwischen 20.000 und 30.000 Menschen werden bis Sonntag in Stuttgart erwartet. Das sind lange nicht so viele wie vor Corona und vor der Krise, in der die katholische Kirche steckt. Aber kann es trotzdem das Fest werden, dass sich Bischof Gebhard Fürst gewünscht hat?

Es kann und es soll ein Fest werden und paradoxerweise aber auch ein ernsthaftes Fest. Wir dürfen hier keine happy-clappy Veranstaltung machen und als Halleluja-Schlümpfe durch die Landeshauptstadt hüpfen. Das führt auch nicht dazu, dass wir ernster genommen werden. Nein, wir müssen den Schwierigkeiten und den Herausforderungen dieser Zeit ins Auge schauen, aber eben nicht in Hoffnungslosigkeit verfallen. Und diese Freude des Glaubens sei in einer sehr ernsten Weise, aber trotzdem einer hoffnungsvollen und freudigen Weise. Das soll hier spürbar sein. Und dann darf man auch feiern. Das ist nämlich der Kern unseres Glaubens.

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