Bildcollage mit Opfern des Nationalsozialismus (Foto: Marchivum Mannheim, Stadtarchiv Sinsheim, Universitätsarchiv Heidelberg, Generallandesarchiv Karlsruhe)

Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar

Vier Schicksale aus Rhein-Neckar-Region: So litten sie unter dem Naziterror

Stand
AUTOR/IN
Wolfgang Kessel
Wolfgang Kessel, Redakteur beim SWR in Mannheim (Foto: SWR, Wolfgang Kessel)

Am 27. Januar wird bundesweit den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Das Schicksal von vier Nazi-Opfern aus der Rhein-Neckar-Region zum Nachlesen - als Beispiel für viele.

In Deutschland gibt es am Samstag (27. Januar) zahlreiche Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hatte 1996 dieses Datum zu einem Gedenktag erklärt. Am 27. Januar 1945 hatten sowjetische Truppen die Überlebenden des deutschen Konzentrationslagers Auschwitz im besetzten Polen befreit.

Auch in der Rhein-Neckar-Region waren etliche Menschen Opfer der NS-Herrschaft. Wie sie unter den Nazis gelitten haben? Hier sind vier Beispiele:

Mannheim: Joseph Wertheim (1922-1944), Widerstandskämpfer

Joseph Wertheim aus Mannheim (Foto: Marchivum Mannheim)
Joseph Wertheim, 1944 in Frankreich von den Nazis ermordet

Joseph Wertheim wurde am 1. August 1922 als Joseph Bösche in Mannheim geboren, als unehelicher Sohn einer Haushälterin. Sein leiblicher Vater hieß Jakob Wertheim, ein aus Ungarn stammender jüdischer Schausteller und Kaufmann, der bereits verheiratet war. Er starb 1930, da war Joseph gerade acht Jahre alt. Josephs Mutter heiratete ein Jahr später den Bruder des Verstorbenen, Leopold Wertheim. Durch diese Heirat erhielt Joseph den Nachnamen Wertheim.

Im Herbst 1940 deportierten die Nazis den 18-jährigen "Halbjuden" Joseph Wertheim ins Internierungslager Gurs in Südfrankreich. Später war er als Zwangsarbeiter für die "Organisation Todt" im Einsatz - eine paramilitärische Bautruppe im NS-Staat.

Im Juli 1941 gelang Joseph Wertheim in der französischen Region Corrèze die Flucht. Er versteckte sich dort zunächst bei einer Familie und schloss sich dann einer französischen Widerstandsgruppe an. Am 1. Juni 1944 bereitete er mit dieser Résistance-Gruppe einen Aufstand vor. Die Nazis bekamen das jedoch mit und ermordeten ihn.

Joseph Wertheims Wirken ist in Frankreich bis heute in Erinnerung. In Mannheim wurde 2021 zum Gedenken an ihn ein Stolperstein verlegt - im Innenstadt-Quadrat A3, 6.

(Quelle: Geschichte der Stadt Mannheim, Band 3, Heidelberg 2009.)

Sinsheim: Max Kohn (1865-1941), Geschäftsmann

Porträt Max Kohn in Sinsheim (Foto: Stadtarchiv Sinsheim, Nachlass Wilhelm Bauer/Rudolf Barg)
Max Kohn, Porträtfoto aus dem Jahr 1939 (Stadtarchiv Sinsheim)

Max Kohn war der Spross einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Unterfranken. 1868 zogen seine Eltern mit ihm und seinen Brüdern nach Königshofen bei Würzburg um. Dort führten die Eltern ein Bekleidungs- und Textilgeschäft. Max Kohn arbeitete zunächst im elterlichen Geschäft mit. Im April 1896 heiratete er die aus Sinsheim (Rhein-Neckar-Kreis) stammende Emilie Blum. Deren Familie war in der gleichen Branche tätig, sie betrieb in Sinsheim seit vielen Jahren ein Bekleidungsgeschäft.

1906 übergab Emilies Vater seinen Sinsheimer Laden an seinen Schwiegersohn Max Kohn. Sinsheim hatte zu jener Zeit eine große und aufstrebende jüdische Gemeinde. Zahlreiche Geschäfte, Betriebe und kleinere Fabriken waren in jüdischem Besitz. Einige jüdische Geschäftsmänner hatten sich repräsentative Villen in der Stadt bauen lassen. Max Kohn und seine Familie bewohnten das schöne Haus der Großeltern mit Textilladen in der Hauptstraße und galten als gut integriert. So war Max Kohn zum Beispiel 1918 Gründungs- und Aufsichtsratsmitglied der "Gemeinnützigen Baugenossenschaft Sinsheim". Noch im gleichen Jahr wurde er Chef einer Zahlstelle der Süddeutschen Disconto-Gesellschaft in Sinsheim.

1938 musste Max Kohn die Zahlstelle schließen. Der Grund: Durch die Boykottmaßnahmen der Nationalsozialisten gegen jüdischen Geschäfte und Einrichtungen war der Umsatz spürbar zurückgegangen. In der Reichspogromnacht (9. November 1938) wurde schließlich die Einrichtung des Geschäfts komplett zerstört. Ein Jahr später musste Max Kohn Schmuck, Gold und andere Wertsachen an die NS-Behörden abliefern. Zudem forderten die nationalsozialistischen Machthaber ihn auf, als "Sühnemaßnahme" 11.500 Reichsmark für die Schäden in der Reichspogromnacht zu zahlen.

Im Oktober 1940 wurden Max Kohn und seine Frau ins südfranzösische Internierungslager nach Gurs deportiert. Von dort ging es weiter ins Lager nach Rivesaltes. Max Kohn starb dort am 29. Dezember 1941 an den Entbehrungen des Lageraufenthaltes - ebenso wie seine Frau Emilie, die bereits Anfang August 1941 ums Leben gekommen war.

In der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem gibt es für Max Kohn ein Gedenkblatt, es wurde 1984 von dessen Sohn Richard ausgefüllt.

(Quellen: Stadtarchive Sinsheim und Karslruhe)

Buchen: Max Reber (1909-1946), Euthanasie-Opfer

Max Reber aus Buchen (Foto: Generallandesarchiv Karlsruhe, Landesarchiv Baden-Württemberg)
Max Reber aus Buchen im Alter von etwa 30 Jahren, spätes Opfer der NS-Euthanasie (Bild: Generallandesarchiv Karlsruhe)

Max Reber, geboren in Mannheim, litt bereits in frühester Kindheit an Rachitis (eine Knochen-Erkrankung). Nach Ende seiner Schulzeit ging Max Reber bis 1927 im Betrieb seines Vaters in die Lehre. Der leitete ein Schlosser- und Installations-Geschäft. Irgendwann Anfang der 1930er Jahre stellte die Mutter mehr und mehr Halluzinationen sowie Verfolgungs- und Wahn-Ideen bei ihrem Sohn fest. Die Diagnose der Ärzte: Schizophrenie. Max Reber wurde im April 1932 in die Heil- und Pflegeanstalt nach Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis) verlegt - das war der erste von vielen Anstaltsaufenthalten.

Im Herbst 1939 begannen die Nationalsozialisten mit der "Aktion T4" - damit ist der systematische Massenmord der Nazis an mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen gemeint. Max Rebers Eltern, die mittlerweile in Buchen-Hainstadt (Neckar-Odenwald-Kreis) wohnten, versuchten nun mehrfach, ihren Sohn aus der Anstalt zu sich nach Hause zu holen und in Sicherheit zu bringen - erfolglos. Doch der Name Max Reber tauchte auch nicht auf den "Todeslisten" der Nazis auf. Der Grund dafür ist unklar.

Wegen völliger Überfüllung der Anstalt in Wiesloch wurde Max Reber im Februar 1943 in die Pflegeanstalt Hoerdt im Elsass verlegt. Im August 1943 gelang es Max Rebers Eltern endlich, ihren Sohn zu sich nach Buchen-Hainstadt zu holen. Die Entlassung aus der Anstalt in Hoerdt rettete mutmaßlich Max Rebers Leben. Denn über 50 Prozent der Patienten, die von Wiesloch nach Hoerdt verlegt wurden, starben dort - meistens an Hunger.

Sein psychischer Gesundheitszustand wurde im elterlichen Haus in Buchen wieder schlechter - so schlecht, dass er erneut in die Anstalt nach Wiesloch eingeliefert wurde. Kurze Zeit später landete er wieder in Hoerdt. Im Herbst 1944 wurde die deutsche Wehrmacht aus dem Elsass vertrieben, die Alliierten übernahmen das Kommando. Max Reber wurde Ende August 1945 in die Heilanstalt in Klingenmünster in der Pfalz verlegt. Die Versorgung der Kranken dort war äußerst mangelhaft. Viele Patienten starben unter anderem an Lungen- oder Darm-Tuberkulose. Auch Max Reber erkrankte daran, im März 1946 wog er nur noch 46 Kilogramm.

Max Reber starb in Klingenmünster am 5. April 1946. Er wurde nur 36 Jahre alt.

(Quelle: Generallandesarchiv Karlsruhe)

Heidelberg: Anna (1873-1942) und Klara (1873-1945) Hamburger, Akademikerinnen

Klara Hamburger (Foto: Universitätsarchiv Heidelberg, BA Alb 35 Nr. 35)
Klara Hamburger im Jahr 1906

Die Zwillingsschwestern Anna und Klara Hamburger wurden in Breslau (im heutigen Polen) geboren, als Kinder einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Sie besuchten die "Höhere Töchterschule" (eine Vorläuferin des späteren Mädchen-Gymnasiums). Anschließend studierten sie zunächst als Gasthörerinnen an der Universität Breslau Naturwissenschaften. Im Frühjahr 1901 schrieben sich die Schwestern dann an der Universität Heidelberg ein, für ein Studium an der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät. Beide wurden promoviert.

Anna wurde anschließend Lehrerin an einer Mannheimer Mädchenschule, Klara schlug eine wissenschaftliche Laufbahn ein: im Zoologischen Museum in Heidelberg und als Assistentin ihres Lehrers Otto Bütschli. Sie stiftete 5.000 Reichsmark zum Ankauf seiner Bibliothek und veröffentlichte selbst mehrere wissenschaftliche Aufsätze. Der Vorschlag ihres Lehrers, ihr ehrenhalber den Professorentitel zu verleihen, verhallte ungehört. In den 1920er Jahren kümmerte sie sich um Stipendien für Studierende. Zeitzeugen erinnerten sich an die "besonders freundlich gehaltene Wohnung der beiden Schwestern". Eine Zeitzeugin stellte fest: "Ich fand sie so gescheit wie gütig."

Die Zeiten änderten sich nach der Machtergreifung der Nazis: Im März 1933 verlor Klara Hamburger ihre Stelle im Zoologischen Institut. Die Entlassung Anna Hamburgers aus dem Schuldienst folgte ein Jahr später. Im Herbst 1940 holte die Gestapo (Geheime Staatspolizei) die Zwillingsschwestern ab und brachte sie zum Bahnhof. Von dort ging es mit weiteren rund 400 Jüdinnen und Juden aus der Gegend rund um Heidelberg ins Internierungslager nach Gurs in Südfrankreich.

Ein Zeitzeuge berichtete vom Elend der Inhaftierten dort:

"Den Durst nach Licht, nach Sonne in den Baracken wird niemand vergessen, der in jenem langen Winter 1940/41 in den dunklen Baracken auf dem Strohsack frierend saß und hungerte. (Rund um den Jahreswechsel) gab es ein grausames Massensterben. Eine Darmerkrankung hatte um sich gegriffen."

Anna und Klara Hamburger überlebten diese Krankheitswelle. Einer Freundin aus Mannheim gelang es schließlich, die Zwillingsschwestern aus Gurs freizukaufen und sie nach Berkeley in die USA zu holen. Dort starb Anna Hamburger am 20. Januar 1942. Ihre Schwester Klara starb am 19. März 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs.

In der Helmholtzstraße 18 in Heidelberg erinnert ein Stolperstein an die beiden Schwestern.

(Quelle: Initiative Heidelberger Stolpersteine)

Gedenken an Nazi-Opfer in der Rhein-Neckar-Region

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