SWR Aktuell: Herr Elbert, wenn Sinneseindrücke wie Geräusche unangenehme Erinnerungen hervorrufen, dann sprechen wir ja auch von einem Trigger. Wie oft erleben Sie das bei Geflüchteten, dass bei denen so ein Trigger ausgelöst wird?
Thomas Elbert: Also ein Trigger im Sinne, dass man sich wirklich zurückversetzt fühlt in die Situation des Horrors und Schreckens, das kommt ungefähr bei einem Drittel der Geflüchteten vor. Je nachdem, was sie erlebt haben. Diese Trigger sind dann alles Mögliche. Das können tatsächlich ganz konkrete Geräusche sein, die an Artilleriefeuer erinnern. Aber das kann auch interner Zustand sein, eine starke Erregung, die dann plötzlich diese Erinnerungen wieder hervorruft.
SWR Aktuell: Welche Folgen hat das für die Menschen, wenn sie sich plötzlich in die Situation, aus der sie geflohen sind, zurückversetzt fühlen?
Elbert: Wir sprechen ja von einer posttraumatischen Belastungsstörung. Wenn das so massiv auftritt, dass man wirklich glaubt, man ist dieser Situation gar nicht entkommen, dann entsteht das gleiche Gefühl von Todesangst, von Hilflosigkeit, vom Schrecken und Horror wie damals in den Situationen. Es ist nie eine Situation, die in diese traumatischen Störungen hineinführt, sondern ist eine Summe von Erlebnissen. Diese Mischung der Erfahrungen, die wird plötzlich so real, dass ich denke, ich bin tatsächlich wieder in verschiedene bedrohliche Situationen zurückversetzt.
SWR Aktuell: Rechnen Sie denn damit, dass dieser Effekt bei Feuerwerk besonders ausgeprägt sein dürfte oder sind andere Trigger vielleicht genauso verbreitet?
Elbert: Das kann alles Mögliche sein. Die Feuerwerke sind für uns, die wir Gott sei Dank - zumindest ich - keinen Krieg direkt erlebt haben, natürlich eine direkte Assoziation. Das hat ja was Kriegerisches, diese Raketen abzuschießen. Aber für die Geflüchteten, die aus diesen schrecklichen Situationen entflohen sind, für die gibt es eben eine ganze Menge anderer Möglichkeiten, diese schrecklichen Erinnerungen auszulösen.
SWR Aktuell: Was folgt denn jetzt aus dieser Trigger-Gefahr? Hat der Präsident der Bundesärztekammer recht, der auch aus Gründen der Patientenversorgung für ein Böllerverbot ist? Oder haben die kommunalen Verbände recht, die meinen, man solle sich die hiesige Tradition des privaten Silvesterfeuerwerks nicht nehmen lassen?
Elbert: Die haben einfach beide recht. Auf der einen Seite gibt es diese Gefahr. Aber ich sehe das weniger im Sinne, dass hier eine Traumafolgestörung verschlimmert wird, sondern wir haben in Deutschland Tausende von Leuten, die hinterher schwerhörig werden […] und andere Verletzungen [erleiden]. Man könnte sich überlegen, auf die lauten Feuerwerkskörper zu schreiben: "Wenn du diesen Feuerwerkskörper kauft, hast du eine Wahrscheinlichkeit, dass das Gehör geschädigt wird, dass dein geflüchteter Nachbar in Angst und Schrecken versetzt wird und dass die Vögel noch in fünf Kilometer Entfernung so geängstigt werden, dass sie tagelang ihren Schlafplatz verlassen."
Im Gegensatz zu Deutschland sind Feuerwerkskörper in Frankreich schon verboten. Deshalb gibt es einige Franzosen, die sich in Deutschland damit eindecken und Feuerwerkskörper über die Grenze schmuggeln. Mehr dazu im TV-Beitrag vom 30.12.:
SWR Aktuell: Also ein bisschen wie bei Zigarettenverpackungen?
Elbert: Ganz genau! Und wenn du den anderen Feuerwerkskörper nimmst, dann hast du diese Gefahren nicht. Der ist leiser, die werden ja auch produziert. Und dann würde ich es den Leuten überlassen, welcher Gefahr sie sich aussetzen […]. Was die Verbände sagen: Das ist eine Tradition, das ist ein wichtiges Ritual und für viele Leute ist es ein Einschnitt, mal nachzudenken: Jetzt ist das Jahr abgelaufen, was mach ich denn im neuen Jahr anders? […] Und da ist eine Symbolik wichtig für die Menschen - und von mir aus sind das Feuerwerke.