Eine Studie der Uni Zürich über sexuellen Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz belastet auch zwei St. Galler Bischöfe. Sie sollen nicht konsequent genug gegen einen Missbrauchstäter aus dem Bistum vorgegangen sein, so der Vorwurf. Die Studie wurde am Dienstag vorgestellt. Darin ist insgesamt von 1.002 Fällen, 510 Tätern und 921 Opfern die Rede – darunter auch Kleinkinder und Säuglinge. Zum ersten Mal durfte ein unabhängiges Forschungsteam in Schweizer Kirchenarchiven über sexuellen Missbrauch im Umfeld der römisch-katholischen Kirche seit den 1950er Jahren bis heute recherchieren.
Beschuldigter Priester bleibt laut Studie weiter im Amt
Auch der Fall des Priesters im Bistum St. Gallen wurde von den Forschenden untersucht. Er soll über Jahrzehnte Kinder missbraucht haben – unter anderem in Heimen. Der Fall war einer der ersten, der von einem Fachgremium im Bistum St. Gallen behandelt wurde. Das hatte 2002 eine Meldestelle für Missbrauchsopfer eingerichtet.
Doch obwohl das Gremium den damaligen, inzwischen verstorbenen Bischof Ivo Fürer aufgefordert habe, den betreffenden Priester aus allen Bistumsfunktionen zu entfernen, sei nichts geschehen. Vermutlich aufgrund der freundschaftlichen Beziehung der beiden, heißt es in der Studie. Der heutige St. Galler Bischof Markus Büchel versetzte den Beschuldigten zwar nach einiger Zeit in ein Kloster. Dennoch sei dieser weiter als Priester tätig gewesen.
Studie: Kirche schützte die Täter, nicht die Opfer
Von problematischen Grenzüberschreitungen bis zu schwerem, systematischem und jahrelangem Missbrauch reicht das Spektrum der Gewalt, die die Historikerinnen und Historiker aufdeckten. Die Täter sind Kleriker, kirchliche Angestellte und Ordensleute. Nicht die Opfer, sondern die Täter seien von der Kirche in Schutz genommen worden, heißt es vom Forscherteam. Um Strafverfolgung zu vermeiden, habe man die Täter oft einfach nur versetzt: "Die Interessen der katholischen Kirche und ihrer Würdenträger wurden über das Wohl und den Schutz von Gemeindemitgliedern gestellt."
Drei Viertel der Opfer sind Minderjährige, mehr als die Hälfte von ihnen männlich – so wie fast alle Täter. Bei der Studie handele es sich um "einen ersten und vorläufigen Eindruck", hieß es bei ihrer Vorstellung am Dienstag in Zürich. Die identifizierten Fälle seien "zweifellos nur die Spitze des Eisbergs". Die Untersuchungen werden nun weitergeführt . Eine abschließende Studie soll in drei Jahren vorgelegt werden.