Berthold Meichle aus Immenstaad mit Andenken an den Traditionsmarsch über den Bodensee (Foto: SWR, Tina Löschner)

Närrische Freundschaft dank Seegfrörne

Der Marsch der Hennenschlitter aus Immenstaad über das Eis

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Tina Löschner
SWR-Redakteurin Tina Löschner Autorin Bild (Foto: SWR, Alexander Kluge)

In Immenstaad jährt sich der Traditionsmarsch der Hennenschlitter anlässlich der Seegfrörne. Vor 60 Jahren am 8. Februar zogen die Narren über den zugefrorenen Bodensee ans gegenüberliegende Schweizer Ufer.

Eine Ausstellung in Scherzingen in der Schweiz erinnert an die Seegfrörne von 1963 und eine närrische Seeüberquerung. Damals marschierten Mitglieder der Narrengesellschafft Hennenschlitter aus Immenstaad (Bodenseekreis) über das Eis nach Münsterlingen im Kanton Thurgau. Um dort - so war es der Überlieferung nach üblich - symbolisch den "Zehnten" bei der Obrigkeit abzugeben. Mit ihrem Marsch knüpften die Immenstaader nicht nur an eine alte Tradition an. Seit der Seegfrörne pflegen die Narren ein freundschaftliches Verhältnis mit der Narrenclique Hechtler Münsterlingen. SWR-Reporterin Tina Löschner hat zwei Männer getroffen, die 1963 dabei waren:

Die Seegfrörne vor 60 Jahren war ein Jahrhundertereignis. Wochenlang war es bitterkalt, Anfang Februar 1963 war der Bodensee schließlich komplett zugefroren. Die ersten Mutigen machten sich zu Fuß oder auf Schlittschuhen auf den Weg über das Eis ans Schweizer Ufer. Am 8. Februar trauten sich auch ein paar Narren aus Immenstaad. Darunter Berthold Meichle.

24 Hennenschlitter auf dem zugefrorenen Bodensee unterwegs

Der heute 84-jährige Meichle studierte damals in Freiburg. Als seine Mutter aus Immenstaad anrief und ihm vom zugefrorenen See erzählte, packte er seine Schlittschuhe ein und fuhr heim an den Bodensee. Am 8. Februar machte sich Meichle, der auch Hexenvater bei den Hennenschlittern war, mit 23 anderen Narren auf den Weg über den See ins schweizerische Münsterlingen.

"Ich war fasziniert. Es war unvorstellbar, dass so etwas möglich ist. Das war überwältigend."

Mit Hennen und Schnaps auf dem Schlitten unterwegs

Seit 1664 war es üblich, dass von den Bauern jeweils der Zehnte - also Steuern in Form von Naturalien - an das Kloster Münsterlingen abgegeben werden musste, unter anderem auch Hühner. Das geschah oft zur Fastnachtszeit, so dass die Abgabe der "Fasnetshennen" auch verbunden war mit der Bitte, Fastnacht feiern zu dürfen. In früheren Wintern, wenn der See zugefroren war, erfolgte die Lieferung des Zehnten auf direktem Weg mittels Schlitten über das Eis. Diese Tradition nahmen die Hennenschlitter 1963 wieder auf - auch wenn es damals natürlich keinen "Zehnten" mehr gab. Das Hennenschlitterlied erinnert an alte Zeiten:

"Es war vor drei mal hundert Johre als grad der See war zugefrore. Da wotted se nach Münsterlinge, me sott dene Herre de Zehnte bringe. Wie bringt me au des Sach dett enne, de Speck, die Eier und die Henne? Me packt halt alles eins, zwei, drei in einen großen Schlitten nei."

Traditionsmarsch der Hennenschlitter 1963 (Foto: Ernst Schmid)
Den "Zehnten" im Gepäck marschierten die Hennenschlitter 1963 über den zugefrorenen Bodensee.

Und so wie im Hennenschlitterlied beschrieben wurde es am 8. Februar 1963 gemacht: Der Schlitten gepackt mit Hennen, Eiern, Speck und Schnaps. Die Narren zogen los, gesichert an einem langen Seil und im Häs. Bei ihrer Ankunft am Schweizer Ufer wurden die Immenstaader gebührend empfangen und gefeiert.

Eine Gruppe Menschen vor dem Gasthaus Hecht nach dem Traditionsmarsch der Hennenschlitter 1963 (Foto: Ernst Schmid)
Vor dem Gasthaus Hecht, wo die Hennenschlitter nach ihrer Eisüberquerung 1963 bewirtet wurden.

Nach der großzügigen Bewirtung im Gasthof Hecht kehrten die Hennenschlitter wieder über den See nach Hause zurück, begleitet von einer kleinen Schar von Münsterlingern.

Rauschendes Fest mit Schweizer Begleitern

Nach Immenstaad zurückbegleitet wurden die Hennenschlitter unter anderem von dem Schweizer Rolf Bader, damals 21 Jahre alt. Der Weg über das Eis sei uneben gewesen, ganz vorsichtig sei man gegangen. Und ein bisschen mulmig sei es ihm gewesen, erzählt er.

"Der Pfarrer hat uns den Segen mitgegeben, dass wir nicht versaufen."

Die Rückkehr der Hennenschlitter wurde auch in Immenstaad gefeiert. Bader erinnert sich an einen denkwürdigen Abend im Seehof und ein rauschendes Fest. Erst am nächsten Morgen kehrten die Münsterlinger wieder über den See nach Hause zurück. Im Jahr danach gründeten sie auch eine Narrenvereinigung - die Hechtler. Das war der Beginn einer bis heute intensiv gepflegten Freundschaft.

Rolf Bader aus dem Schweizer Bottighofen (Foto: SWR, Tina Löschner)
Rolf Bader hat den Marsch der Hennenschlitter 1963 zurück nach Immenstaad begleitet.

Ausstellung zum Traditionsmarsch der Hennenschlitter

Die Ausstellung in der Bächlihalle in Scherzingen am Schweizer Bodenseeufer blickt zurück auf die Seegfrörni, wie die Schweizer sagen, und den Traditionsmarsch der Hennenschlitter: Mit Fotos, Texten und Gegenständen. Bei der Eröffnung am Mittwoch kommen auch Zeitzeugen der Seegfrörni zu Wort. Beginn ist um 19:30 Uhr, die Ausstellung ist bis 22. Februar mittwochs und am Wochenende zu sehen.

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