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Die Roma in Europa (3/3) – Zwischen Gipsy Rap und Romantisierung

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Tassilo Hummel
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Ulrike Barwanietz
Sonja Striegl
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Rap, Soul, aktivistisches Theater: Die Kulturszene der Sinti und Roma ist modern, divers, bunt. Sie alle verbindet die Sprache Romanes und leider immer noch die Erfahrung von Diskriminierung.

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Gipsy Kings, feurige Flamencotänzerinnen, der Gitarrist Django Reinhard mit Schnurrbart, Hut und Zigarette im Mund oder ein Geiger in der Fußgängerzone – Kunst und Kultur der Sinti und Roma sind mit einer Menge Stereotype verbunden.

Doch die Künstlerinnen und Künstler mit Roma-Wurzeln gehen längst ganz andere Wege. Ob Rap, Soul, aktivistisches Theater – ihre Kulturszene in Deutschland und ganz Europa ist vielfältig.

„Nothing about us, without us!“

Das ist der Slogan der Kultureinrichtung ERIAC, die dank Mitteln des Europäischen Rats die wohl wichtigste Kulturförderungseinrichtung für Roma in Europa ist – und in Berlin sitzt. Der Slogan bedeutet, dass Sinti und Roma immer beteiligt sein sollen, wenn es um ihre Geschichten geht.

Übersetzen lässt sich der Slogan mit: „Nichts über uns, ohne uns!“. Denn über Jahrhunderte hinweg hatten Sinti und Roma keine Kontrolle darüber, welche Geschichten über sie geschrieben wurden.

„Zigeuner“ als Menschen eines erfundenen Volkes

Genau dieses Phänomen hat der emeritierte Bielefelder Professor für Germanistische Literaturwissenschaft, Klaus Michael Bogdal, untersucht. "Europa erfindet die Zigeuner" – so heißt sein bekanntestes Werk. Darin beschreibt Bogdal, wie ein Volk beschrieben wird, ohne dass mit den Menschen dieses Volkes Kontakt aufgenommen wurde.

Schon Goethe interessiert sich in seinem Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ für die zauberhaften „Waldmenschen“.

„Man beneidete die wunderlichen Gesellen, die in seligen Müßiggang alle abenteuerlichen Reize der Natur zu genießen berechtigt sind.“

Dass es Sinti und Roma, wie auch Menschen jüdischen Glaubens, zumeist verboten war, sich in den Städten anzusiedeln und sie deswegen in Wäldern lebten, lässt Goethe aus.

Carmen als Klischee der promiskuitiven Zigeunerin

Immer wieder sind es vor allem die Frauenfiguren, die beim Publikum besonders gut funktionieren. Victor Hugo beschreibt 1831 in seiner Erfolgserzählung vom Glöckner von Notre-Dame die feurig-tanzende, erotische Esmeralda. Georges Bizet vertont 1875 die Erzählung der wunderschönen, promiskuitiven Carmen. Bis heute eine der meistgespielten Opern.

Und noch heute verbinden viele Menschen vor allem Musik mit der Minderheit: Den Sinti-Jazz im Stil des großen Gitarristen Django Reinhart zum Beispiel. Oder den Flamenco aus Spanien und Südfrankreich. Aber auch die Rhythmen, Geigen und Blasorchester der – als Genre so tatsächlich bezeichneten – Zigeunermusik aus Ungarn. Sehr unterschiedliche Musikstile, die eines gemeinsam haben: ihre Beliebtheit.

„Gipsy“ funktioniert als Label auch kommerziell

Das berühmteste Beispiel sind die Gipsy Kings oder jüngere Erfolgsbands wie das „Barcelona Gipsy Klezmer Orchestra“.

Längst brechen Künstlerinnen und Künstler aus den klassischen Genregrenzen aus. Wie Dorado Weiss aus Bayern. Er rappt auf Romanes. Von der Musik leben kann er noch nicht, dafür ist die Sinti-Community in Deutschland wahrscheinlich zu klein.

Innerhalb der Community ist Dorado Weiss ein Star

Weiss verarbeitet Themen, die in der Minderheit wichtig sind. Zum Beispiel im Track „Senruman“ – Romanes für „Erinnerung“.

Die Beats, Dorados Lederjacke und Boxerschnitt, die Zigarre im Video, das alles sieht erstmal aus wie typischer Gangsterrap. Doch Dorado ist kein Gangster. Er ist ein traditionsbewusster deutscher Sinto, 33 Jahre alt, ein Familienvater, der viel Zeit auf Familienfesten in seiner über Niederbayern und Österreich verstreuten Verwandtschaft verbringt. Rappen ist für ihn Mittel zum Zweck, um die junge Generation seiner Leute zu erreichen.

Romanes-Sprache verbindet Sinti und Roma

Um das Romanes dreht sich das Schaffen von Nedjo Osman, in Köln lebender Schauspieler und Lyriker. Der Rom kam vor 35 Jahren aus Mazedonien nach Deutschland, ist mehr als doppelt so alt wie Dorado Weiss. Beide sprechen Romanes, wenn auch mit unterschiedlichem Dialekt.

Der Rom Nedjo Osman kam vor 35 Jahren aus Mazedonien nach Deutschland und lebt heute in Köln (Foto: SWR, Tassilo Hummel)
Der Rom Nedjo Osman kam vor 35 Jahren aus Mazedonien nach Deutschland und lebt heute in Köln

Nedjo Osman betreibt mit seiner Lebensgefährtin Nadja Kokotovic das "Theater TKO", in dem es in fast jedem Stück um das Roma-Sein geht, für Osman eine Frage des Nationalbewusstseins. Das hervorragend kuratierte "Romarchive" gibt zudem einen guten Überblick über Osmans Arbeit.

Von Freiheit träumen

Auch Osman streitet natürlich nicht ab, dass die Kunst und Kultur der Sinti und Roma so vielgestaltig ist, wie es die Lebenswelten der Menschen an den verschiedenen Orten eben auch sind. Und doch macht er einen gemeinsamen Nenner aus: Es ist eben nicht so einfach, Roma oder Sinti zu sein. Mit den Worten Nedjo Osmans:

"Nenne mich nicht so, wie es mir weh tut. Nenne mich so, wie ich es mag. Wie heiße ich? Roma, Sinto, Manush, Kale. So wie der Vogel fliegt. So wie du die Musik hörst, so wie die Freiheit. So ähnlich wie du es hasst – und ich nur davon träume."

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