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Kieran Setiya – Das Leben ist hart. Wie Philosophie uns helfen kann, unseren Weg zu finden

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Oliver Pfohlmann

Wie umgehen mit Krankheit, Trauer, Niederlagen? Mit persönlichen Erfahrungen und literarischen Bezügen leitet der US-amerikanische Philosoph Kieran Setiya dazu an, Utopien loszulassen und die Realität anzunehmen.

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Was für eine Philosophie man wählt, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist, schrieb einst Johann Gottlieb Fichte. Wer wissen will, wie die Philosophie eines Menschen aussieht, der seit Jahrzehnten an chronischen Schmerzen leidet, sollte das neue Buch von Kieran Setiya lesen, seines Zeichens Philosophieprofessor am renommierten MIT in Cambridge. Spoileralarm: Es ist kein Buch für Frohnaturen, Daueroptimisten oder Anhänger positiven Denkens.

Stattdessen erinnert es seine Leserinnen und Leser schon im Titel an eine unliebsame Wahrheit: „Das Leben ist hart“. Natürlich weiß auch Setiya, wie gern man das Wissen um die menschliche Mühsal verdrängt, gerade in jungen Jahren, noch weitgehend unberührt von Krankheiten, Niederlagen oder schmerzlichen Verlusten.

Doch früher oder später hat eben jeder sein Päckchen zu tragen; besser also, so der Rat des Autors, man stellt sich beizeiten darauf ein, den Prüfungen und Widrigkeiten des Lebens zu begegnen. Und bei dieser Aufgabe könne einem niemand besser helfen als die Philosophie. Damit meint Setiya allerdings weniger die akademische Fachdisziplin. Sondern jene Philosophie, die sich schon seit der Antike mit Fragen der Lebenskunst und Selbsthilfe beschäftigt.

Absage an Ideale und Utopien

In sieben Kapiteln umkreist der Autor in seinem Buch Themen wie Krankheit, Einsamkeit oder Trauer, Ungerechtigkeit, Scheitern oder Absurdität. Beispiele aus Literatur und Film spielen dabei ebenso eine Rolle wie persönliche Erfahrungen des Autors: darunter fehlende Freundschaften in der Kindheit, das Ende einer Liebesbeziehung oder die Alzheimer-Erkrankung seiner Mutter. Ein gemeinsamer Zug von Setiyas Reflexionen ist die Absage an Utopien oder Idealvorstellungen. Mehr noch, gerade in ihnen sieht der Autor eine Quelle unseres Leids.

Denn allzu oft hindern uns unsere Träume von einem perfekten Leben, der Realität ins Gesicht zu sehen – sie anzuerkennen und von dort aus nach Möglichkeiten zur Veränderung zu suchen. Oder einfach tapfer das Beste aus einer miserablen Lage zu machen. Kann man beispielsweise vom Rollstuhl aus oder ohne Augenlicht ein gutes Leben führen?

Für Nichtbetroffene sei das oft nur schwer vorstellbar; die meisten sähen nur die damit verbundenen Einschränkungen, schreibt der Autor. Doch alle sozialwissenschaftlichen Studien belegten das Gegenteil, körperliche Handicaps und ein gelingendes Leben seien durchaus kein Widerspruch. Jedenfalls, sofern einen nicht Vorurteile oder gesellschaftliche Ignoranz davon abhalten, es auch führen zu können. Alle Möglichkeiten eines Lebens auszuschöpfen vermag ohnehin niemand, und sei er noch so unversehrt.

Hilfreiche Perspektivwechsel

Setiyas nüchtern-realistischer, lebensweiser Zugang überzeugt auch, wenn es um die Erfahrung des Scheiterns geht. Viele fühlen sich von ihr rasch zum Versager abgestempelt, so der Autor. Eine Reaktion, deren Ursprung darin liege, dass wir unser Leben gern wie einen Roman betrachten, der unweigerlich auf einen Höhepunkt zustrebe. Was aber, wenn diese Vorstellung falsch ist – oder das Leben eher einem postmodernen Roman ähnelt, mit Abschweifungen und abenteuerlichen Verzweigungen?

Auch hier spricht Setiya aus eigener Erfahrung, denn eine berufliche Sackgasse bescherte ihm prompt eine verfrühte Midlife-Crisis. Heute plädiert der Philosoph dafür, die Dinge spielerischer anzugehen: Weil dann der Wert mehr im Tun selbst liege statt allein im Erreichen eines bestimmten Ergebnisses. Als Beispiel dafür verweist Setiya auf meditative Achtsamkeitsübungen, bei denen das fortwährende „Scheitern“ ein wichtiger Teil der Praxis sei.

Zugegeben, einen solch spielerischen Blick aufs Leben muss man sich erst einmal leisten können. Aber manchmal genügt ja schon ein kleiner Perspektivwechsel, und von diesen finden sich in Setiyas Buch etliche. Das und sein gelassener, leicht zugänglicher Stil führen dazu, dass die Lektüre ein wenig an ein tröstliches Gespräch mit einem guten Freund erinnert.

Und gute Freunde speisen einen gerade nicht mit Plattitüden ab wie „Alles wird gut“ oder „Alles geschieht aus einem bestimmten Grund“. Was zählt, ist unser Umgang mit dem, was das Leben für uns bereithält. Kieran Setiyas Buch könnte dabei ein guter Begleiter sein.

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