SWR2 Buch der Woche vom 9.9.2018

Stephan Thome: Gott der Barbaren

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AUTOR/IN
Brigitte Neumann

Stephan Thome, der aus einer hessischen Kleinstadt stammt, hat etliche hochgelobte Romane geschrieben, allerdings zu Beziehungsthemen oder Fragen der Lebensgestaltung. Mit dem historischen China-Roman „Gott der Barbaren“ betritt der 46-Jährige ein neues Feld und bewährt sich auch hier.

Der fachkundige Sinologe Thome zeigt mit seinem formenreichen Roman „Gott der Barbaren“ ein Riesenreich in einer historischen Phase des Niedergangs und Umbruchs. Der semifiktionale Roman wirft die interessante Frage auf, ob und inwieweit sich die aktuell imperiale Politik Chinas aus der Vergangenheit erklären lässt. Indirekt erzählt Thome aber auch vom heutigen Europa, in dem der Verlust von Orientierung durch Fanatismus kompensiert wird.

Die Opiumkriege verknüpfen Vergangenheit und Gegenwart

Was passiert, wenn man diesen spannenden, lehrreichen 700-Seiten-Roman über China durch hat? – Man will unbedingt mehr wissen! Autor und Sinologe Stephan Thome, der lange in Taipeh, der Hauptstadt Taiwans, lebte und Konfuzius-Studien betrieb, öffnet die Tür zu einem aktuell wenig diskutierten Thema der Weltgeschichte: die Opiumkriege im Verlauf der gewaltsamen Öffnung Chinas für den Handel durch die Briten Mitte des 19. Jahrhunderts.

Autor Stephan Thome (Foto: Suhrkamp Verlag - Heike Steinweg / Suhrkamp Verlag)
Autor Stephan Thome

Zwischen den Zeilen findet sich immer wieder die Frage, wie diese Geschichte die von China maßgeblich bestimmte Gegenwart erklärt. Wurde damals der Boden bereitet für Chinas imperiale Politik heute?

Die Geschichte wählt einen Mittelweg zwischen Dokumentation und Fiktion

„Gott der Barbaren“ ist halb dokumentarisch, halb fiktional. Die Existenz vieler Figuren in Thomes Roman ist historisch verbrieft. Nur zum Beispiel: Karl Gützlaff, deutscher Missionar und Betrüger; Prinz Gong, Unterhändler des Kaisers und sein Halbbruder oder Hong Xiuquan, der Anführer der Taiping-Rebellen. Einige von ihnen erhebt Thome in den Rang von Erzählern, andere, wie der chinesische Prinz, werden nur von außen beschrieben.

Die fiktiven Erzähler haben die Aufgabe, dem Roman eine starke emotionale Ebene hinzuzufügen. Allen voran wäre da der älteste Sohn eines Zimmermeisters aus dem Märkischen zu nennen, Philipp Johann Neukamp, Rebell aus Leidenschaft. Hörenswert auch mit der Stimme des Schauspielers Johannes Steck, der das Hörbuch zum Roman „Gott der Barbaren“ eingesprochen hat:

Auf der Suche nach einer Lebensaufgabe stößt Philipp auf Rätsel

Nachdem die Revolution von 1848 daheim niedergeschlagen worden war, sucht Philipp im Auftrag Basler Missionare in China jene große Sache, der er sein Leben widmen kann. Aber selbst nach sieben Jahren versteht er das Land immer noch nicht.

Einer der wichtigen Protagonisten des Romans ist zudem James Bruce Earl of Elgin, der noch dazu den Titel „Vizekönig von Indien“ trägt. Ebenfalls eine authentische Figur. Er war der englische Chefdiplomat, dessen Auftrag lautete, den Kaiser zu allerlei für England günstigen Verträgen zu zwingen. Dass die chinesischen Unterhändler die Eindringlinge als „Barbaren“ bezeichneten, erboste Elgin sehr. Er verbot es kurzerhand.

Authentische Schriftzeugnisse runden die Stimmen im Roman ab

Thome ergänzt diese Stimmen durch Tagebucheinträge, Briefe, Zitate, Zeitungsartikel, Auszüge aus Reden wie der von Earl Grey im britischen Unterhaus im Dezember 1860, der den Krieg gegen China für einen Fehler hält und das Ziel, dass englische Staatsbürger im Dienst der Krone Opiumhandel betreiben, für durchaus unchristlich.

Earl Grey erwähnt in seiner Unterhausrede auch die Rebellen, deren Aufstieg eine von den Engländern geschwächte kaiserliche Armee nicht eindämmen könne. Mit der Folge, dass England allein für die Sicherheit im Land zuständig wäre, eine Aufgabe, die die Möglichkeiten des Königreichs übersteigen würde.

Die von Earl Grey erwähnten Taiping-Rebellen waren Chinesen vom Stamm der Hakka. Sie waren missioniert, folgten einem christlich-sozialistischen Weltbild und kämpften gegen den Kaiser. Die Bibel hatten sie allerdings nach eigenen Vorlieben umgeschrieben. Der Ranghöchste unter ihnen nannte sich Himmlischer König. Er begriff sich als leibhaftiger Sohn Gottes und jüngerer Bruder von Jesus Christus. Der sogenannte Taiping-Aufstand von 1854 bis 1860 gilt als der verlustreichste Bürgerkrieg aller Zeiten. Er forderte etwa 30 Millionen Opfer.

Unter dem Detailreichtum leidet der Zusammenhang

Mit dem historischen China-Roman „Gott der Barbaren“ betritt der 46-Jährige ein neues Feld und bewährt sich auch hier. Zu bemäkeln wäre höchstens, dass bei dem Formenreichtum des Romans und den exotischen Eindrücken, die Thome zu hunderten beschreibt, die Verbindung manchmal verloren geht.

Jede einzelne Schilderung von Gerüchen, Geräuschen, Gefühlen ist perfekt gelungen. Aber es ist ein wenig viel. Die Verfasserin dieses Textes fühlte sich gelegentlich, als hätte sie sich in drei übereinandergelegten Brueghel-Wimmelbildern verheddert. Aus diesem Dickicht der Sinnlichkeiten kämpft man sich aber immer wieder gerne ins Freie, durch zur großen Linie des Romans.

Stephan Thome zeigt das heute mächtige und in Mentalität und Gebaren undurchsichtige China mit seinem Roman „Gott der Barbaren“ in einer historischen Phase des Niedergangs und Umbruchs. Samt der zweifelhaften Motive europäischer Eroberer. Und man begreift, wieso der Autor immer wieder Hegelzitate in diesen Roman eingebaut hat.

Hegel, der gesagt hatte „Das Wahre ist das Ganze“ forderte stets ein, den Zusammenhang zu sehen, die Bedingtheit eines Resultats. „Gott der Barbaren“ von Stephan Thome handelt von einigen Zusammenhängen in der Weltgeschichte, die für unsere Zukunft durchaus relevant sein könnten.

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Brigitte Neumann