Buch-Tipp

"Der Klavierstimmer Ihrer Majestät" von Daniel Mason

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AUTOR/IN
Dorothea Hußlein

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2002 veröffentlichte der damals 26-jährige Medizinstudent Daniel Mason seinen Debüt-Roman „The Piano Turner“. Ein Jahr später erschien das Buch in der deutschen Übersetzung von Barbara Heller unter dem Titel „Der Klavierstimmer Ihrer Majestät“. Eine Geschichte, die an „Fitzcarraldo“, „Das Piano“ oder Joseph Conrads berühmte Meditation über Kolonialismus „Herr der Finsternis“ erinnert.

 „Offen gestanden hatte ich ein wenig Angst, als ich abfuhr, und manchmal, wenn ich im Bett liege, frage ich mich, warum ich mich überhaupt auf diese Reise begeben habe. Aber ich weiß es noch immer nicht. Ich denke an das, was Du mir in London gesagt hast: dass es eine so vornehme Aufgabe sei, dass es meine Pflicht meinem Land gegenüber sei. Aber das kann nicht sein: Du wurdest böse, als ich sagte, es sein meine Pflicht dem Klavier und nicht der Krone gegenüber, aber ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass Dr. Carroll das Richtige tut, und vielleicht ist es meine Pflicht, ihm um der Musik willen zu helfen.“

Am 30. November 1886 schreibt dies Edgar Drake in seinem ersten Brief aus Alexandria an seine Frau Katherine. Denn Edgar Drake, 41 Jahre, Klavierstimmer und Erard-Spezialist, wurde mit einem heiklen Auftrag betraut: Er soll einen kostbaren Erard-Flügel reparieren und ist deshalb im Namen Ihrer Majestät auf dem Weg in den tiefsten Dschungel von Birma, dem heutigen Myanmar. Dort tobt der brutale britisch-birmanische Krieg.

Angefordert wurde der Klavierstimmer von Anthony Carroll, Militärarzt und Kommandeur dieses Vorpostens des Empires. Dieser will die feindlichen Einheimischen nicht nur mit Truppen bekämpfen, sondern hofft, sie statt mit Gewalt mit Musik, Poesie und ärztlicher Versorgung zu befrieden. Der einen Monat lang dauernde Weg des Klavierstimmers zu Dr. Carroll nach Mae Lwin ist wegen der neuen Kulturen, Menschen und Abenteuern faszinierend, aber auch beschwerlich und oft unerfreulich. Davon berichtet Drake seiner zurückgebliebenen Ehefrau Katherine in Briefen, die mit Dauer der Reise seltener werden.

Der Gedanke der Pflichterfüllung ist jetzt von allen Zielen am weitesten in den Hintergrund gerückt. Wir haben zu Hause ja oft darüber gesprochen, und ich bin nach wie vor von der Wichtigkeit eines Klaviers überzeugt, aber inzwischen glaube ich, dass es doch eine etwas heikle Sache ist, „Musik und Kultur hierher zu bringen“. Es gibt hier bereits Kunst und Musik, birmanische Kunst und birmanische Musik. Das heißt nicht, dass wir nicht unsere eigene Kunst nach Birma tragen sollten, aber vielleicht mit etwas mehr Bescheidenheit. Sollten wir diese Menschen wirklich zu unseren Untertanen machen, müssen wir die europäische Zivilisation dann nicht von ihrer besten Seite präsentieren? Niemand hat je durch Bach Schaden erlitten; Lieder sind keine Armeen.“

Der erste Teil des Buches beschäftigt sich ausschließlich mit Drakes Anreise nach Birma. David Mason hat ihn als eine Art Anti-Held angelegt, der sich unter all den neuen Eindrücken zunehmend verändert. Und so begleiten wir diesen nie zuvor aus Großbritannien herausgekommenen, von Natur aus zurückhaltend und bieder wirkenden großen schlanken Mann, dem unter den tropischen Temperaturen immer wieder die Brillengläser beschlagen, wie er staunend diese neue Welt erlebt.

Mason nimmt uns durch seine bild- und farbenreichen Schilderungen mit auf eine faszinierende Reise aus dem grauen viktorianischen London, über die orientalische Welt Nordafrikas bis hin in die exotischen Gefilde Birmas. Am Schluss der Anreise von Mandalay nach Mae Lwin, kurz vor der Begegnung mit dem charismatischen Dr. Carroll gerät Drake, samt seinen beiden Begleitern in einen Banditenhinterhalt.

Der zweite Teil des Buches handelt von Drakes Aufenthalt in Birma und in Mae Lwin, wo Carroll ein Armeelager angelegt hat. Der passionierte Klavierstimmer kann endlich mit der Reparatur des Erard-Flügels aus dem Jahr 1840 beginnen, der in einem desolaten Zustand ist. Nebenbei erfährt er irgendwann von Carroll die tragische Anlieferungsgeschichte und er lernt einiges über die traditionelle Shan-Musik.

Zunehmend entdeckt Edgar Drake seine Liebe zu dem exotischen Land und der schönen Einheimischen Khin Myo, ohne zu ahnen, was schon bald kommen wird: Anthony Carroll, mischt sich in Regierungsangelegenheiten ein, indem er versucht, mit der Kraft der Musik die Fürsten der ihn umgebenden Shan-Staaten für sich zu gewinnen. Nach Abschluss seiner Arbeiten am Flügel, soll Drake für einen der sawbwas spielen. Angeblich ist dieser Fürst ein exzellenter Musiker. Drakes Protest hilft da nicht viel.Drake fügt sich, denn er unterliegt der Faszination des mysteriösen Militärarztes. Fühlt sich am Ende gar geschmeichelt, ahnt aber zugleich, dass mehr dahintersteckt.

Ich wollte jemanden, für den alles hier neu ist. Ich wollte Sie natürlich nicht täuschen, das war keineswegs meine Absicht.“ Er schwenkte den Stumpen. „Nein, ich wollte, dass der beste Erard-Klavierstimmer Londons meinen Flügel stimmt, und ich wusste, dass ich die Militärs damit zwingen konnte einzugestehen, wie abhängig sie von mir sind. Sie sollten sehen, dass meine Methoden funktionieren, dass Musik genauso Frieden schaffen kann wie Gewalt. Aber ich wusste auch, dass nur jemand, der wie ich an die Musik glaubt, diese lange Reise auf sich nehmen würde.“

Am Ende scheitert Carroll, nicht zuletzt an Selbstüberschätzung. Das Fort fällt und Drake, von seinen Landsleuten als Verräter betrachtet, kehrt nicht mehr nach England zurück.                                  

Daniel Masons Buch ist im Münchner C.H. Beck-Verlag erschienen und kostet 24,- Euro. Er schreibt spannend und sein gut recherchierter historischer Abenteuerroman, lässt das Birma der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zwischen dem Ende der Eigenstaatlichkeit und dem Kolonialismus, sehr lebendig werden. Das Ganze ist poetisch und kraftvoll, mitreißend erzählt. Mason hat viel Sinn und Gespür für Charakterzeichnungen, sowie ein Fable für Details. Selbst eine große Abhandlung über die Geschichte des Erard-Flügels lässt er nicht aus. Und seine Landschafts- und Naturschilderungen machen diesen Roman zugleich als ein Stück Reiseliteratur interessant, gerade in einer Zeit, in der sich die globale Mobilität massiv verändert.

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Dorothea Hußlein