Lesung aus dem Briefwechsel Rudi Dutschkes mit Karola und Ernst Bloch

Dutschke und Bloch - späte Freunde

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Von Tobias Ignée

Rudi Dutschke hielt den Philosophen Ernst Bloch anfangs für einen Stalinisten. Bloch den Studentenführer für einen kopflosen Draufgänger. Zur beiderseitigen Überraschung wurden sie 1968 Freunde, aus dem gemeinsamen Interesse an einer Versöhnung von Marxismus und Christentum. Die Arbeit an einer humaneren Gesellschaft wurde zum Thema ihrer neunjährigen Freundschaft. Daran erinnert Welf Schröter bei einer Veranstaltung im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum.

1968: Bloch von Dutschke positiv überrascht

Im Februar 1968 bilanzierte Ernst Bloch eine vielbeachtete Diskussion mit Rudi Dutschke an der evangelischen Akademie in Bad Boll: „Dank können wir sagen, Herrn Dutschke, auch für die Zerstörung eines Klischees, das sich zum Teil gebildet hat bei interessierten Kreisen, die einen Butzemann hinstellen müssen mit dem Messer zwischen den Zähnen. Wir haben Warmes (…), tief Tolerantes gehört, das ein neuer Ton ist, auch in der revolutionären Bewegung, wie mir scheint.“

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Dutschke hatte Bloch lange für einen Stalinisten gehalten

Das Thema lautete damals „Das Problem der Revolution in Deutschland“. Dazu war natürlich Rudi Dutschke eingeladen, der, weil er verschlafen hatte, zu spät eintraf. Bloch war für den Berufsrevolutionär - wie er sich selber nannte - noch bis 1966 ein Stalinist, den er nicht auf seiner Literaturliste hatte. Insofern begegneten sich die beiden erstmals persönlich, mit höflichem Respekt. Das änderte sich mit der Tagung.

Gemeinsames Thema: Marxismus und Christentum

Welf Schröter vom Talheimer-Verlag: „Als Dutschke in Bad Boll in die Diskussion einstieg, ging es um die Themen Marxismus und Christentum, Rolle der Kirche, Rolle des Christentums. Das war das Verbindende. Als Bloch Ende '68 dann seinen Band „Atheismus im Christentum“ veröffentlichte, sandte er dieses Buch mit einer persönlichen Widmung an Gretchen und Rudi Dutschke. Das war der tatsächliche Zugang.“

Rudi Dutschke, am 6. März 1968 in der Aula der Halenpaghenschule im niedersächsischen Buxtehude am Rednerpult (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / Reportdienste - Foto: Rolf Kruse)
Rudi Dutschke

Finanzielle Unterstützung für Dutschke

Zu dieser Zeit hatte das Attentat vom 11. April 1968 den Wortführer der Studentenbewegung längst aus dem Land getrieben. Seine Odyssee begann. Nach vielen Operationen erholte er sich in der Schweiz. Die nächste Station war England, wo sich die junge Familie - Sohn Hosea war inzwischen geboren - auch mit finanzieller Unterstützung der Blochs über Wasser hielt.

Bloch ist doch kein katholischer Theologe...

Im Januar 1969 bedankten sich die Dutschkes mit den Zeilen: „Wir stimmen mit dem Versuch überein, die Bibel in ihren Inhalten zu bewahren und neu zu interpretieren, dort wo sie jene subversiven und revolutionären Züge trägt. Wir finden es befremdlich, dass einige Bloch für einen katholischen Theologen halten.“

Neben der Auseinandersetzung mit Glaubensfragen, den Schilderungen der gemeinsamen DDR-Vergangenheit, des beschwerlichen Alltags in England, später im dänischen Aarhus ging es im Briefwechsel aber immer auch um aktuelle Politik. Die Blochs waren für die Dutschkes sozusagen der heiße Draht in die zurückgelassene Heimat.

„Ich bin froh für Euch, dass Ihr nicht in der BRD seid“

Von dort berichtete Bloch dem „jungen politischen Partner“ im März 1974: „Lieber Rudi, liebes Gretchen, Ich bin froh für Euch, dass Ihr nicht in der BRD seid, es sieht hier alles so traurig aus. Die SPD hat so gar nicht verstanden, aus ihrer Regierung etwas Fruchtbares zu machen. In der Innenpolitik hat sie so wenig Talent gezeigt. In der deutsch-deutschen Politik ist sie mehr durch die DDR als durch eigenes Verschulden in eine ungünstige Situation gerückt. Der große Franz Josef steigt und steigt, ich habe schon jetzt Angst vor dem Jahr 1976, da wird wohl seine Visage das Fernsehen beherrschen. Und die Linke ist so zerstritten, dass man nichts von ihr erwarten kann.“

Neun Jahre - eine kurze Freundschaft

Die Korrespondenz zwischen Dutschke und Bloch war freundschaftlich, vertraut und trotz des Altersunterschiedes von über 50 Jahren ein gewinnbringender Austausch auf Augenhöhe.

Der deutsche Philosoph und Schriftsteller Ernst Bloch (undatiertiertes Archivbild) (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / Reportdienste - Foto: Assmann)
Ernst Bloch

Ein kurzer allerdings. Welf Schröter: „Bloch war schon weitgehend erblindet. Er ist 1977 gestorben. Er und die Dutschkes hatten objektiv nur neun Jahre, um sich kennenzulernen. Davon waren mehrere Jahre durch die Folgen des Attentats, durch die Emigration und die Flucht und das Exil von Dutschke selber belastet. Die Tragik bestand darin, dass sie sich eigentlich viel zu spät kennengelernt haben und viel zu wenig Zeit miteinander hatten.“

Kann ich dazu beitragen, dass es allen besser geht?

Die hatten Karola und Ernst Bloch, Gretchen und Rudi Dutschke, auch das macht der Briefwechsel deutlich, zu nutzen gewusst. Ihr Kampf galt einer humaneren Gesellschaft. Der hat auch heute nicht an Aktualität verloren. „Es geht um eine Ganzheitlichkeit von Veränderung“, bilanziert Welf Schröter, „es geht nicht darum, dass es mir persönlich besser geht, sondern es geht darum, ob ich dazu beitragen kann, dass es vielen oder allen besser geht. Das war eine Grundhaltung, man könnte auch sagen ein ethisches Prinzip, es geht um eine gemeinsame Sache.“

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SWR