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Norbert Scheuer: Mutabor

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Norbert Scheuer ist eine Ausnahmefigur in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Fernab der Metropolen erschafft Scheuer die Landschaft, in der er lebt, auf literarische Weise neu: Im Urftland, wie er es selbst nennt, in der Gegend rund um den Ort Kall in der Eifel, entsteht seit zwei Jahrzehnten ein wachsendes literarisches Universum von sich kreuzenden Lebensläufen und Geschichten.

In dem 2017 erschienenen Roman „Am Grund des Universums“ war Nina Plisson noch eine Nebenfigur. Die Jugendliche trug mit ihrem Bollerwagen die Zeitungen im Dorf aus und galt als eine wunderliche Person. In „Mutabor“ nun ist Nina zur Hauptfigur geworden. Scheuer erzählt ihre Geschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln. „Mutabor“ ist ein dunkles Buch, angefüllt von roher physischer und subtiler psychischer Gewalt, aber auch immer wieder von mit der Realität verschwimmenden Traumsequenzen. Die Fragen, die sich in Nina formen, prallen auf das Schweigen der Dorfbevölkerung. Was, so fragt Nina, ist mit ihrer Mutter geschehen? Wer war ihr Vater? Von ihm existiert nur eine Fotografie, auf der sein Gesicht unkenntlich ist.

Ihr Großvater, so erinnert sich Nina, wollte einst mit ihr in seinem klapprigen Opel bis nach Byzanz fahren, doch kam immer nur bis hinter den nächsten Hügel. Von einem realistischen Erzählen ist Scheuer in „Mutabor“ so weit entfernt wie nie zuvor. Biografien, so sagte er es einmal in einem Interview, müssten nicht wahr sein. Die Menschen dürfen ihre Geheimnisse behalten. Und auch die Orte: Das Urftland ist sicherlich noch nicht auserzählt.

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SWR