Platz 4 (54 Punkte)

Jean-Philippe Toussaint: Die Gefühle

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Der 1957 geborene Belgier Toussaint ist schon seit Jahren ein Geheimtipp. Es gibt nur wenige Schriftsteller, die so haarscharf an den Rändern von Emotionen entlangschreiben; nur wenige, die ihr Material sprachlich derart kühl halten können und trotzdem immer wieder weltliche Epiphanien und Augenblicke von Schönheit erzeugen können. Man denke nur an jene Passage im Roman „Die Wahrheit über Marie“, in der ein ausgerissenes Edelpferd über den nächtlichen Flughafen von Tokio galoppiert und diesen lahmlegt.

Nach dem Abschluss seiner gefeierten Marie-Tetralogie hat Toussaint nun neu angesetzt und ausgerechnet einen Zukunftsforscher als Ich-Erzähler installiert. Im vorangegangenen Roman „Der USB-Stick“ verwickelte Toussaint besagten Jean Detrez, einen Mann um die 60, der für die Europäische Union arbeitet, in eine rätselhafte Betrugsgeschichte in China. In „Die Gefühle“ spinnt Toussaint die Erzählfäden fort, die Detrez vor allem als einen Menschen in privaten Schwierigkeiten zeigen: Von seiner zweiten Frau ist er geschieden; sein Vater stirbt, und parallel dazu werden auch die politischen Verhältnisse zunehmend unangenehm und unübersichtlich, Stichwort: Brexit.

Das Private und das Politische sind in diesem Buch miteinander auf das Eleganteste verschmolzen. Vor allem aber brodelt unter der beherrschten Oberfläche des Protagonisten ein Wirrwarr der Empfindungen – ein Zukunftsforscher, der seine Gegenwart nicht im Griff hat.

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SWR