Sachbuch

Florian Meinel über den Bundestag und seine Feinde

Stand

Von Claus Heinrich

Zu langsam, zu regierungstreu, zu sehr Quatschbude – der Parlamentarismus hatte schon immer einen zwiespältigen Ruf. Zumal in Deutschland. Auffällig ist, dass es trotz vieler Fragestellungen zur Rolle des Deutschen Bundestages im deutschen Regierungssystem eigentlich keine eigene Theorie des Parlamentarismus gibt. Das behauptet zumindest der Rechtsphilosoph Florian Meinel von der Uni Würzburg. Sein Buch zur Krise des heutigen Parlamentarismus trägt den Titel „Vertrauensfrage“.

Florian Meinel räumt mit Bundestagsklischees auf

Das Erfrischende an dem Buch ist, dass der Autor mit einigen ärgerlichen Klischees und Fehleinschätzungen über die Wirkungsweise und Bedeutung des Deutschen Bundestages aufräumt.

Etwa mit der Vorstellung, dass der frei gewählte Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes sei, der an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sei. So steht es zwar im Grundgesetz.

Der „freie“ Abgeordnete ist dennoch verpflichtet

Meinel weist jedoch völlig zurecht darauf hin, dass – Zitat – „dieser Satz seine Bedeutung von Grund auf ändert, wenn das Parlament nicht als Absicherung bestimmter Rechte des Volkes die Herrschaft einer monarchischen Bürokratie begrenzt, sondern selbst herrscht.“ Zitatende. Das werde allzu leicht vergessen.

Willkommen im 21. Jahrhundert. Das gilt auch für die Volljuristen, die an das Ammenmärchen einer statischen verfassungsrechtlichen Institutionenordnung glauben. Denn längst gehe es nicht mehr um die Trennung von Regierung und Parlament wie im Kaiserreich, sondern im Gegenteil um dessen Verbindung.

Regierung und Parlamentsmehrheit sind laut Meinel logischerweise vermengt. Und dennoch nimmt das Parlament insbesondere durch die mächtigen Ausschüsse ernsthafte Kontrollfunktionen gegenüber der Regierung wahr.

Wahre Sternstunden des Parlaments sind die Haushaltsdebatten

Die Verherrlichung sogenannter Sternstunden des Parlaments, wenn ohne Fraktionszwang über ethische Fragen wie die Verhüllung des Reichtags oder der Ehe für alle debattiert und entschieden werden, sind nach Meinel Ausdruck einer deutschen Sehnsucht nach Abwesenheit von Politik.

Aus seiner Sicht sind eher scharfe Haushaltsdebatten Sternstunden. Oder die hochpolitische Abwahl von Volker Kauder als ewiger Unions-Fraktionschef von Kanzlerin Merkels Gnaden.

Niedergang der Volksparteien und Einmischung der Länder

Meinel sieht drei Entwicklungen, die die Funktionsweise und Bedeutung des Bundestages beeinflussen. Da ist zum einen der Niedergang der Volksparteien, die auch zu einem Ansehensverlust des Parlaments führt.

Das wird durch den Aufstieg kleinerer Parteien weiter geschwächt, weil die Opposition durch ihre Beteiligung an den Landesregierungen über den Bundesrat ordentlich bundespolitisch mitmischt.

Kanzleramt wird immer mächtiger

Zum zweiten stellt Meinel den exorbitanten Machtzuwachs des Bundeskanzleramtes fest. Wenn von Europapolitik bis zur Flüchtlingsfrage alles ins Kanzleramt gezogen wird, dann sind nicht mehr einzelne Minister für wichtige Fragen politisch haftbar zu machen, sondern zunehmend die Bundesregierung als Ganzes.

Ein Politikwechsel in einer Einzelfrage ist daher tendenziell nur noch durch den Sturz der gesamten Regierung erzwingbar. Eine Folge von Schröders legendärer Basta-Politik, die Merkel durch ihren technokratischen Politikstil und ihre erratischen Politikwechsel ergänzt hat.

Überrumpelung des Parlaments durch Krisenentscheidungen

Energiewende, Abschaffung der Wehrpflicht, Flüchtlingspolitik: In all diesen Fragen wurde das Parlament schlicht überrumpelt. Und dann ist da zum dritten auch noch das Bundesverfassungsgericht, das in Zeiten dauernder Großer Koalitionen geradezu die Rolle der Opposition einnimmt.

Meinel kritisiert die Macht und Selbstanmaßung des Verfassungsgerichts nicht, dafür ist er wohl selbst zu sehr Jurist. Aber er weist dankenswertweise darauf hin, dass eine Minderheitsregierung als mögliche Alternative zur ewigen GroKo die Rolle des Bundeskanzlers noch mehr stärken würde.

Belebung durch wechselnde Mehrheiten? Eine naive Vorstellung

Die Vorstellung, dass das Parlament durch wechselnde Mehrheiten belebt würde, nennt Meinel schlicht naiv. Eine Minderheitsregierung würde starken Persönlichkeiten das Feld bereiten, die zunehmend plebiszitär herrschen würden. Man könnte auch sagen: populistisch.

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SWR