"Disappearing Acts" im Schaulager Basel

Bruce Nauman: Die Leere der Existenz

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Am 16.3.2018 von Christian Gampert

Es ist ein Großereignis der Kunst: Der mittlerweile 76jährige Amerikaner Bruce Nauman erhält eine Retrospektive in Europa. Das Schaulager in Basel versammelt 170 Werke aus 50 Schaffensjahren, darunter neueste Arbeiten wie die monumentale Video-Installation „Contrapposto Split“ von 2017. Die Ausstellung „Disappearing Acts“ beschreibt die bedrückende Leere des modernen Lebens - und hat geheimen Humor.

Frühwerk: Alles aus dem eigenen Körper entwickelt

Die Ausstellung besticht mit zwei völlig unterschiedlichen Stockwerken: oben das Frühwerk mit sehr vielen Zeichnungen und Vorarbeiten, an denen deutlich wird, dass Bruce Nauman fast alles aus der Erkundung seines eigenen Körpers entwickelt.

Sogar manche Leuchtröhren-Installationen bestehen aus abstrakten Segmenten einer Wirbelsäule, Knie werden in Wachs gedrückt. Unten dann große, raumgreifende Installationen, die zwar manchmal den Kitsch streifen, meist aber durch ihre pure, überwältigende Präsenz beeindrucken.

Video: Ausstellungsüberblick aus dem Kulturmagazin Kunscht!

Geschundene Kreatur - Leere der Existenz

Es geht Nauman um die geschundene Kreatur – und die Leere der Existenz. Samuel Beckett und Ludwig Wittgenstein sind wichtiger für ihn als jeder Gegenwartskünstler, obgleich Nauman sich durchaus auf Kunstgeschichte bezieht.

Ober- und Unterkörper laufen getrennt

Seine neueste Arbeit, die der 76jährige in Basel zeigt, zitiert noch einmal den ikonischen Kontrapost ("Contrapposto Studies"). Bekannt seit den Griechen, spätestens aber seit Michelangelos „David“: die Stellung mit Stand- und Spielbein bei seitlich herausgedrücktem Becken.

Nur, dass in dieser Video-Installation ein Split-Screen verwendet wird und Naumans Ober- und Unterkörper auf zwei Bildhälften fragmentiert völlig jeder selbständig vor- und zurücklaufen, als hätten sie nichts miteinander zu tun.

Missgebildete Hand mit fünf Daumen

Der von der Moderne gebeutelte Mensch taucht bei Nauman auch in der Skulptur auf – wo Albrecht Dürer die betenden Hände seiner Mutter malte, zeigt uns Nauman eine kalkweiße, missgebildete Hand mit fünf Daumen.

Langeweile im leeren Atelier

Das irritiert ebenso wie die mit Infrarotkamera aufgenommenen Langzeit-Videos, mit denen Nauman nächtelang die scheinbare Ereignislosigkeit in seinem leeren Atelier dokumentiert.

Nauman setzt sich dieser Leere und Einfallslosigkeit aus, aber gerade dadurch entstehen natürlich neue Ideen. Die Zeichnung ist seine Denkform: viele Arbeiten gerade der Frühphase geben Zeugnis davon.

Leben erstarrt in Klischees

Was daraus dann entsteht, ist ungewiss – ein Video, ein Leucht- oder Soundskulptur, eine Riesenplastik oder eine Installation. Nauman nutzt alle Medien – manchmal sitzen in seinen Videos traurige Clowns auf dem Klo und anderswo, manchmal lässt er Schauspieler grammatikalische Klischees aufsagen - oder an der Wand aufleuchten.

Der Mensch ohne gute Prognose

Ja, der Mensch hat keine gute Prognose bei Bruce Nauman. Das kann man auch anders sehen. Aber rein formal, handwerklich ist er einer der größten Gegenwartskünstler. Seine bunte Leuchtreklame, in der stilisierte Figuren einander begatten und umbringen, ist jedenfalls ein ironisches, aber auch deprimierendes Sinnbild der Gegenwart – Sex and Death in America.

Nauman wird eigene Grabplatten überdauern

Bruce Nauman lebt zurückgezogen in der Wüste von New Mexico und züchtet Pferde. Seine minimalistischen Stahlkuben werden ihn ebenso überdauern wie die Grabplatten, die am Ende der Ausstellung ausliegen.

Und doch: es bleibt auch dieses fotografische Selbstporträt – der Künstler als wasserspuckende Brunnenfigur. Athletisch und voller Ideen. Ein Bild des Künstlers als junger Mann.

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SWR