Bausünden oder Baukultur?  (Foto: Pressestelle, Rocco Valentino Ragni)

Bausünde oder Baukultur?

Diesen fünf Gebäuden in Mannheim droht die Abrissbirne

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AUTOR/IN
Hannegret Kullmann
Hannegret  Kullmann, Autorin bei SWR Kultur (Foto: SWR, Foto: Hannegret Kullmann)
Leonie Berger

Ist das Baukultur oder kann das weg? Das fragen sich Architekten, Denkmalpflegerinnen und Kommunalpolitiker in ganz Deutschland. Fünf Beispiele, über die derzeit in Mannheim diskutiert wird. 

Die meisten Bauten der sogenannten Nachkriegsmoderne sind aus Beton und in den Augen vieler Menschen eine Bausünde. Sind sie marode, dann heißt es oft: Abreißen. In Mannheim sagt die Initiative MOFA (Mannheims Ort für Architektur) aber: Sanieren. Denn das sei nachhaltiger, wirtschaftlicher und erhalte einen Teil der städtischen Identität.

1. Collini-Center – bei der Eröffnung State of the Art 

Bausünden oder Baukultur?  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa)
Das Collini-Center galt in den Siebzigern als Inbegriff des modernen Wohnens, das ehemalige Technische Rathaus (vorne links) und die Passage sollen jetzt verschwinden(Carl Schmucker, 1975)

Das Collini-Center ist eines der Wahrzeichen der Stadt Mannheim: Der fast 100 Meter hohe Wohnturm mit seinen wabenförmigen Balkonen ist über eine Passage mit einem Verwaltungsgebäude verbunden, dem ehemaligen technischen Rathaus. Das Ensemble wurde im Kontext der Bundesgartenschau 1975 entwickelt.

Kaum zu glauben, aber das Collini-Center galt seinerzeit als architektonische Innovation: Die Anlage funktionierte wie ein kleines Dorf, mit Geschäften und einem eigenen Schwimmbad. Verwaltungsbau und Passage werden wohl bald verschwinden: Sie sollen abgerissen werden. 

2. Trinitatiskirche – ganz nüchtern mit Sichtbeton und Glasbausteinen 

Bausünden oder Baukultur?  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance/ dpa/dpaweb)
Die Trinitatiskirche steht für schlichte und nüchterne Architektur (Helmut Striffler, 1959)

In Architektenkreisen wurde sie nach der Einweihung 1959 hochgelobt: Ein amerikanischer Kritiker meinte sogar, es sei „der schönste Sakralbau Europas“. Die Kirche macht kein Geheimnis aus ihrem Stahlbetonskelett und erinnert dadurch zwangsläufig an eine Industriehalle.

Architekt Helmut Striffler schuf ein Gesamtkunstwerk: Er gestaltete nicht nur das Gebäude, sondern auch Altar, Kanzel und Taufstein. Die Trinitatiskirche wurde inzwischen säkularisiert: Heute dient sie als Spielstätte für zeitgenössischen Tanz. Die Kirchenhalle selbst wird nicht infrage gestellt, aber der zugehörige Turm soll abgerissen werden. 

3. Parkhaus N2 – wirkt fast wie ein begrüntes Mausoleum

 

Bausünden oder Baukultur?  (Foto: Pressestelle, Rocco Valentino Ragni)
Das Parkhaus N2 ist zu einem Rankgerüst für städtisches Grün geworden (Emil und Peter Serini, 1967)

Natürlich wurde Mannheim in den sechziger und siebziger Jahren genauso wie andere deutsche Metropolen zur „autogerechten Stadt“ umfunktioniert. Die Architekten Emil und Peter Serini bauten damals im Auftrag der Stadt Mannheim eine Garage, in der heute knapp 500 Autos Platz finden.

Das Design ist streng, mit senkrechten Lamellen und waagerechten Geschossplatten. Anwohner kämpfen gegen den geplanten Abriss des N2: Nicht etwa, weil sie die Architektur mögen, sondern weil sie die riesige Kletterpflanze an der Parkhaus-Fassade als grüne Lunge erhalten wollen. 

4. Mannheimer Versicherungen – ein typisches Bürogebäude seiner Zeit 

Bausünden oder Baukultur?  (Foto: Pressestelle, Rocco Valentino Ragni)
Am früheren Standort der Mannheimer Versicherungen ist heute das Staatliche Schulamt untergebracht. Das Hochhaus macht Anleihen bei Mies van der Rohe (Albrecht Lange/Hans Mitzlaff, 1959/64)

Es sind die späten fünfziger Jahre, die dieser Architektur ihr allzu vertrautes Gesicht verleihen: Ein elfgeschossiges Scheibenhochhaus, das auf schmalen Stelzen steht. Die Gestaltung äußerst sparsam, schmucklos, zurückhaltend.

Die durchgängigen Fensterbänder wechseln sich mit quadratischen Fassadenelementen ab, fast so, als hätte man ein Matheheft mit seinen Rechenkästchen zugrunde gelegt. Noch gehen hier Büroleute ein und aus, aber bald schon soll das Hochhaus einem Neubau weichen.

5. Berufsschulen Neckaruferbebauung – geplant in den späten Siebzigern 

Bausünden oder Baukultur?  (Foto: Pressestelle, Rocco Valentino Ragni)
Die Berufsschulen Neckaruferbebauung gehören zu einem Gesamtkomplex aus drei Hochhäusern und vier Terrassenhäusern (Karl Schmucker/Werner Kaltenborn, 1978/79)

Am Fuße der drei Hochhäuser in Neckarstadt-Ost befinden sich mehrere Berufsschulen. Sie wurden nicht mit Blick zum schönen Neckarufer hin gebaut, sondern grenzen – verkehrsgünstig gelegen - an eine Straße. Ihre Sanierung ist schon lange überfällig. Die Substanz ist marode, die braunen Fensterrahmen und der schmutzige Beton strahlen Lieblosigkeit aus.

Man sollte vom Äußeren aber nicht auf das Innere schließen: Das Gebäude überrascht mit großzügigen Entrees und Lichthöfen, außerdem ist es durch die modulare Bauweise flexibel nutzbar. Zurzeit denkt die Stadt Mannheim über die Zukunft dieser Architektur nach. Lohnt sich die Sanierung noch oder wären Abriss und Neubau wirtschaftlicher? 

Ob Kirche oder Parkhaus - in allen Gebäuden steckt graue Energie 

Was man immer im Hinterkopf behalten sollte: In jedem Gebäude stecken enorme Ressourcen, die sogenannte graue Energie. Auch für ein vernachlässigtes Siebziger-Jahre-Hochhaus wurden einst Rohstoffe gewonnen, Bauteile hergestellt sowie Material und Arbeiter monatelang zur Baustelle transportiert. Abriss und Entsorgung von Gebäuden sind extrem energieaufwändig, der anfallende Bauschutt lässt sich nur teilweise recyclen – jeder Rückbau sollte also gut überlegt sein.  

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Welchen kulturellen Wert haben die Gebäude für uns? 

Ein weiterer Punkt ist der Umgang mit unserer Baukultur. Welchen Wert haben die Gebäude der Nachkriegsmoderne für uns heute? Kann uns die Architektur spannende Geschichten über gesellschaftliche Utopien und den jeweiligen Zeitgeist erzählen? Und gehören bestimmte Bauten nicht einfach zur Identität einer Stadt?

Mittlerweile gibt es viele Beispiele für gelungene Sanierungen und Umnutzungen. In Mannheim ist noch nicht bei allen Abrissprojekten das letzte Wort gesprochen – die Diskussion über vermeintliche Bausünden könnte auch eine Chance sein. 

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