Filmkritik

„Wie wilde Tiere“ von Rodrigo Sorogoyen – Die bestialische Seite der Menschen

Stand
Autor/in
Rüdiger Suchsland

Der Film „Wie wilde Tiere“ des spanischen Regisseurs Spaniers Rodrigo Sorogoyen spielt in einem galizischen Dorf. Hauptfiguren sind die Bauern vor Ort sowie ein hinzugezogenes französisches Paar, das anders „tickt“ als die Einheimischen. Es kommt zu einem Drama von archaischer Gewalt. Ein exzellenter „Land“-Thriller mit politischen Untertönen.

Spektakuläre Bilder der Gefangennahme eines kräftiges Pferdes

Ein kräftiges Pferd kämpft, um sich aus den Armen einer Gruppe von Männern zu befreien, die versuchen, es gefangen zu halten. In Zeitlupe wird das Aufeinandertreffen der Körper - Mensch und Pferd - als reines Spektakel präsentiert: Es ist der Kampf, sublimiert im Akt des Greifens, Schubsens, Widerstehens und schließlich Beschwichtigens. Über dem Bild ist zu lesen, dass die Männer die Tiere rasieren und brandmarken, „um ihre Freiheit zu sichern“. 

Szene aus dem Film „Wie wilde Tiere“ von Rodrigo Sorogoyen
Antoine (Denis Ménochet) und Olga (Marina Foïs) haben in einer kleinen Gemeinde im Landesinneren Galiziens eine neue Heimat gefunden. Bild in Detailansicht öffnen
Szene aus dem Film „Wie wilde Tiere“ von Rodrigo Sorogoyen
Dort arbeiten sie hart, bestellen ihr Fleckchen Land und leben von dem, was sie erwirtschaften. Bild in Detailansicht öffnen
Szene aus dem Film „Wie wilde Tiere“ von Rodrigo Sorogoyen
Doch so sehr sich Antoine und Olga auch bemühen, die Einheimischen begegnen ihnen meist mit Argwohn und Ablehnung. Antoine (Denis Ménochet) an der Bar der örtlichen Kneipe. Bild in Detailansicht öffnen
Szene aus dem Film „Wie wilde Tiere“ von Rodrigo Sorogoyen
Vor allem ihre Nachbarn, die Anta-Brüdern (Luis Zahera und Diego Anido), hassen das harte Leben auf dem Land und die idealistischen Nachbarn. Bild in Detailansicht öffnen
Szene aus dem Film „Wie wilde Tiere“ von Rodrigo Sorogoyen
Als Antoine das Vorhaben der Anta-Brüder unterwandert, Land für den Bau von Windrädern zu verkaufen, verwandelt sich der schwelende Konflikt in unverhohlene Feindseligkeit. In der Kneipe kommt es immer wieder zum Streit zwischen Xan Anta (Luis Zahera) und Antoine (Denis Ménochet). Bild in Detailansicht öffnen

Kampf ums Überleben auf der elementarsten Ebene

Diese Eröffnungssequenz von „Wie wilde Tiere“ ist in Zeitlupe gedreht und hat eine unbestreitbare visuelle Schönheit. Sie scheint mit dem Rest der Handlung nichts zu tun zu haben, aber sie ist eine Warnung und zeigt uns den Kampf ums Überleben auf der elementarsten Ebene, der sich dann im Laufe der Handlung auf einer anderen Ebene weiterentwickeln wird.

Szene aus dem Film „Wie wilde Tiere“ von Rodrigo Sorogoyen
Auf einem seiner Streifzüge durch die hügelige Landschaft trifft Antoine (Denis Ménochet) einen Ziegenhirten.

Die Brandmarkung des Pferdes zielt auf den Menschen

Der neue Film von Rodrigo Sorogoyen zieht die Grenze zwischen der Brandmarkung eines unterworfenen Tieres und dem freien Willen selbst. Wir befinden uns im Reich der Metaphern, denn natürlich geht es in diesem Kampf nie nur um Pferde, sondern um Menschen.

Antoine und Olga wollen das heruntergekommenen Dorf wiederbeleben

Antoine (Denis Menochet) hat das Temperament und die Ausdauer eines Vollblut-Hengstes. Der in Frankreich aufgewachsene und an der Universität ausgebildete Mann lebt seit einiger Zeit mit seiner Frau Olga in einem kleinen Dorf in Galizien.

Sie haben eine durchaus ehrenhafte, gemeinnützige Aufgabe: Sie wollen die vielen verlassenen Häuser des heruntergekommenen Dorfes sanieren, damit neue Generationen dort leben können. 

Pakt des Dorfes mit einem Windkraft-Betreiber

Der Rest des Dorfes hat vor langer Zeit einen Pakt mit einem Öko-Energieunternehmen geschlossen, um ihnen ihr Land für den Bau von Windrädern zu verkaufen.

Mit dem daraus resultierenden Geld könnte man sich aus dem Staub machen, doch für den Vertrag ist eine absolute Mehrheit der Bewohner erforderlich, und die Stimmen von Antoine und seiner Frau stehen dem im Wege.

Revolte gegen die Einmischung der Zugereisten

Angesichts der Einmischung der Zugereisten revoltieren die Brüder Anta, die in einem sterbenden Dorf aufgewachsen und dem Schicksal überlassen sind.  Die „Außenseiter“ aus der Stadt haben ihre kleine Gemeinschaft soweit an den Rand gedrängt, dass sie nur noch aus einem Haufen Betrunkener besteht, deren einziger Ausweg ein paar Biere und das Spiel mit Dominosteinen sind.

Die Welt verwandelt sich in einen wahren Albtraum

Regisseur Rodrigo Sorogoyen wird hier zum Soziologen der gegenseitigen Vorurteile im Stadt-Land-Verhältnis und dekonstruiert die Formen, die die Spannungen zwischen Nachbarn annehmen können, die sich allmählich von einer brutalen Belästigungskampagne zu einem Krieg auswachsen.

Seine Bilder spielen mit der Angst, mit dem Schrecken, der entsteht, wenn man weiß, dass das Böse ohne Erlaubnis oder Bedenken in unser Haus eindringen kann: Die Welt verwandelt sich in einen wahren Albtraum. 

Die Handlung macht mehrere überraschende Wendungen. Und erweitert sich vom Exploitatiion-Thriller in der Tradition eines Sam Peckinpah zu einem sozialen Essay. 

Unvereinbare Perspektiven aus Stadt und Land

Untergründig ist dies ein Film über das Leben auf dem Land, das Zurückgeblieben-Sein und die Sehnsucht nach Fortschritt. In mancher Hinsicht romantisiert der Film das Landleben aus der Perspektive der Stadt.

Szene aus dem Film „Wie wilde Tiere“ von Rodrigo Sorogoyen
Marie (Marie Colomb) kommt aus der Stadt, um ihrer Mutter zu helfen.

Aktuelle politische Diskurse der extremen Rechten

Rodrigo Sorogoyen fängt die aktuellen politischen Diskurse ein, die von der extremen Rechten im Namen des Fortschritts verwendet werden, um aus einer konkreten Situation politisches Kapital zu schlagen. 

Mit exzellenten Schauspiel-Leistungen, visualisierter Spannung und einer sehr persönlichen Perspektive des Autorenfilmers gelingt ein exzellentes Beispiel für die aktuelle politische Situation.

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