Hausärztin über Medikamentenknappheit

"Wir sind frustriert, die Patienten sind frustriert"

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Michael Lueg
SWR1-Moderator Michael Lueg (Foto: SWR, SWR1 -)
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Viele Medikamente werden nur noch außerhalb von Europa produziert – ein "fundamentales Problem", sagt Dr. Barbara Römer. Sie vertritt die Hausärzte in Rheinland-Pfalz.

Die Apotheker protestieren gegen Medikamentenlieferengpässe, gegen zu viel Bürokratie, gegen Personalnot und für mehr Geld. Seit dem letzten Protesttag im Juni hat sich nicht viel getan, sagen die Apotheker, besonders was die Lieferengpässe bei Medikamenten betrifft. Wir haben darüber mit Dr. Barbara Römer gesprochen. Sie ist Vorsitzende des Hausärzteverbandes Rheinland-Pfalz.

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SWR1: Wie oft melden sich Patienten in Ihrer Praxis, weil sie das von Ihnen verschriebene Medikament nicht in der Apotheke kriegen?

Dr. Barbara Römer: Fast täglich inzwischen. Das Problem liegt daran, dass wir nicht wissen, welche Substanzen in der Apotheke an dem jeweiligen Tag verfügbar sind oder nicht. Das heißt, es ist inzwischen fast schon Normalität, dass wir im Tagesverlauf Patienten mit einem Rezept hier aus der Praxis Richtung Apotheke schicken und sie dann wieder postwendend zurückgeschickt werden, weil das Medikament nicht verfügbar ist.

SWR1: Wie schwierig oder einfach ist das für Sie dann, ein Alternativmedikament zu finden?

Römer: Zunehmend schwieriger, weil die Liste der nicht verfügbaren Medikamente immer länger wird und inzwischen auch – ich will es mal so nennen – "Blockbuster" betrifft, wie ganz wichtige Antibiotika, die wir jetzt in der Infektsaison brauchen. Oder auch zum Beispiel wichtige cholesterinsenkende Tabletten, die für die große Gruppe der Kreislaufpatienten von immenser Bedeutung sind.

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SWR1: Wie viel Verständnis haben die Patienten dafür?

Römer: Zunehmend weniger, und die Frustration befindet sich auf allen Seiten. Wir sind frustriert, die Patienten sind frustriert, und die Apotheker sind in genau dem gleichen Umfang frustriert, weil es uns allen wahnsinnig viel Zeit wegfrisst aufgrund dieser Organisation und Lauferei. Es macht im Moment wenig Freude, Medikamente zu verschreiben.

Das Outsourcing der Produktion der Medikation außerhalb von Europa ist ein fundamentales Problem.

SWR1: Die Apotheker werfen dem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor, zu wenig gegen diesen Engpass zu tun. Sehen Sie das auch so?

Römer: Kann ich voll umfänglich unterschreiben.

Medikamentenknappheit Warum gibt es immer noch Engpässe bei Arzneimitteln?

Kaum hat die Erkältungszeit begonnen, gibt es in Apotheken wieder Lieferengpässe – mal der Fiebersaft, mal ein Cholesterinsenker. Warum ändert sich daran nichts?

Guten Morgen RLP SWR1 Rheinland-Pfalz

SWR1: Was sollte er machen, wo klemmt es?

Römer: Die Probleme haben sich jetzt über die letzten Jahrzehnte entwickelt, sind vielfältig, lassen sich jetzt nicht in drei Sätzen zusammenfassen. Aber sicherlich ist ein ganz fundamentales Problem das Outsourcing der Produktion der Medikation außerhalb von Europa. Wir sind angewiesen auf Standorte noch nicht mal innerhalb Europas, sondern im Mittleren Osten oder noch weiter weg – im wahrsten Sinne des Wortes auf der anderen Seite dieser Erdhalbkugel.

Es gibt nur noch wenige Standorte, die diese klassischen Antibiotika oder auch Blutdrucktabletten herstellen. Es gibt nur noch wenige Fabriken, die das umsetzen. Und wenn es dann dort aus welchen Gründen auch immer zu Produktionsschwierigkeiten kommt, haben wir eine wirklich erdballumfassende Verfügbarkeitsproblematik, die wir dann auch hier in Deutschland zu spüren bekommen.

Zu glauben, dass die Digitalisierung, die von Gesundheitsminister Lauterbach sehr gerne sehr gehypt und als die Lösung aller Probleme angesehen wird, wird nicht funktionieren.

SWR1: Die Apotheker fordern zudem mehr Geld, angeblich, um das Apothekensterben aufzuhalten. Meinen Sie, ein höheres Honorar würde die Versorgungssicherheit gerade auch in ländlichen Gebieten von Rheinland-Pfalz sicherstellen?

Römer: Wir brauchen auf jeden Fall – seien es die Apotheken, oder die Arztpraxen – Strukturen vor Ort, die wirklich Beratungen von Mensch zu Mensch durchführen können. Zu glauben, dass die Digitalisierung, die von Gesundheitsminister Lauterbach sehr gerne sehr gehypt und als die Lösung aller Probleme angesehen wird, dass das alle diese Herausforderungen beiseite schiebt, wird nicht funktionieren.

Wir brauchen wirklich die Beratung von Fachleuten direkt für die Bevölkerung. Und das kostet schließlich Geld. Ein Computer ist günstiger als eine Person, die bezahlt werden muss. Und das ist das gute Recht der Apotheker. Das fordern die Apotheken ein, und das fordern wir Arztpraxen vor Ort in gleichem Umfang ein.

Das Gespräch führte SWR1 Moderator Michael Lueg.

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