Wildunfälle - Tod im Sekundentakt: Etwa alle 90 Sekunden stirbt ein Wildtier auf deutschen Straßen, an Tagen nach der Zeitumstellung noch mehr.  (Foto: IMAGO, IMAGO/Bihlmayerfotografie)

Stop Roadkill!

Tod im Sekundentakt - Was tun gegen Wildunfälle?

Stand
AUTOR/IN
Axel Wagner
Julia Nestlen
ONLINEFASSUNG
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Weit über 250.000 Wildunfälle passieren Jahr für Jahr auf deutschen Straßen, schätzen Fachleute. Ein unterschätztes Drama für Mensch und Tier. Aber was tun gegen Wildunfälle?

Etwa alle 90 Sekunden stirbt ein Wildtier auf deutschen Straßen - an Tagen nach der Zeitumstellung sind es noch mehr Tiere. Das zeigen auch die Daten des Fraunhofer-Instituts für Verkehrsforschung in Dresden: Im Frühling und im Herbst gibt es zwei deutliche Spitzen bei der Zahl der Wildunfälle.

In seiner Datenbank sammelt das Institut die Polizeimeldungen und Register zu tausenden Wildunfällen der vergangenen zehn Jahre. Sehr viele dieser Wildunfälle werden allerdings nicht gemeldet, die Dunkelziffer ist hoch.

Rund alle 90 Sekunden stirbt ein Wildtier auf deutschen Straßen. Allerdings werden in Deutschland beileibe nicht alle Wildunfälle statistisch erfasst. Es gibt eine hohe Dunkelziffer bei den Tieren, die auf deutschen Straßen den Tod finden. (Foto: SWR, SWR Wissen)
Rund alle 90 Sekunden stirbt ein Wildtier auf deutschen Straßen. Allerdings werden in Deutschland beileibe nicht alle Wildunfälle statistisch erfasst. Es gibt eine hohe Dunkelziffer.

Mehr Wildunfälle nach Umstellung auf Sommer- oder Winterzeit

An den Tagen nach der Zeitumstellung verzeichnet die Datenerhebung des Fraunhofer-Instituts bis zu zehn Prozent mehr Wildtierunfälle, insbesondere im Frühjahr.

Die Erklärung: Wildtiere wie Rehe richten sich auf ihrem Weg nach der Dämmerungszeit. Kommen aber Autos im Berufsverkehr wegen der Zeitumstellung plötzlich früher oder später als sonst, werden die Tiere überrascht. Auf einmal sind mehr Autos da als sonst und der Rhythmus der Tiere wird gestört. Durch die Zeitumstellung verlängert sich außerdem der Zeitraum, in dem Rushhour und Dämmerung zusammenfallen.

Bei einigen Menschen dauert es zudem eine Weile, bis sich der Schlaf-Wach-Rhythmus auf die Sommerzeit umgestellt hat. Wer aufgrund der Zeitumstellung müde ins Auto steigt, hat womöglich eine geringere Konzentrations- und damit auch langsamere Reaktionsfähigkeit, wenn Wild die Straße quert.

Eine einheitliche Datenerhebung für Wildunfälle fehlt

Welche Ausmaße Wildunfälle über das ganze Jahr haben, ist unbekannt. Denn es gibt kaum Zahlen darüber, wie viele Tiere tatsächlich im Verkehr sterben. Das Statistische Bundesamt kommt bei Unfällen mit Wildbeteiligung auf rund 2.500 verletze Menschen und zehn Todesopfer pro Jahr. Doch hier werden nur die Unfälle gezählt, bei denen Menschen zu Schaden kamen - Unfälle, bei denen nur Tiere verletzt oder getötet wurden, zählen hier nicht.

Es gibt viele Indizien, dass die Zahl des Statistischen Bundesamts deutlich zu niedrig ist. Laut dem Deutschem Jagdverband gibt es jährlich Millionen tierischer Verkehrsopfer - ein Drittel davon Rehe. Aber auch kleinere Wildtiere kommen zu Tode, die amtlich nicht gezählt werden. Das bestätigt auch das Tierfundkataster mit Meldungen aus der Bevölkerung.

Das Portal schätzt Abermillionen statistisch nicht berücksichtigter Säugetiere, zu denen auch noch Reptilien, Amphibien oder Vögel hinzukommen. Auch Autoversicherungen sprechen von einer hohen Dunkelziffer.

Wissenschaftliche Studien ergeben, dass in Europa insgesamt fast 30 Millionen Säugetiere und rund 200 Millionen Vögel pro Jahr bei Unfällen mit Fahrzeugen sterben. Dazu kommt, dass sich seltene und schützenswerte Tierarten wie der Luchs in Deutschland nicht ausbreiten können, weil die Jungtiere sehr oft noch vor ihrer Geschlechtsreife totgefahren werden.

SWR und Fraunhofer-Institut berechnen erstmals die Dunkelziffer bei Wildunfällen

Für die SWR-Wissenschaftsredaktion haben die Forschenden des Fraunhofer-Instituts für Verkehrsforschung auch die Unfälle ohne Personenschaden hinzugerechnet, um die Dunkelziffer von Wildtierunfällen im Sinne des Jagdrechts genauer bestimmen zu können. Das Ergebnis sind bis zu 250.000 Wildunfälle. Dabei sind Kleintiere wie Igel, Marder oder Vögel nicht mitgezählt.

Das bedeutet: In der amtlichen Statistik der Bundesrepublik Deutschland ist der Wildunfall extrem unterrepräsentiert, weil die Dunkelziffer bis zu 100-mal mehr sein kann.

Werden kleinere Wildtiere mit einbezogen, lässt sich laut Fachleuten von einem Wildunfall alle 90 Sekunden sprechen.

Sicherheits-Test: Schwein trifft Mensch. Es wird gestestet, wie Wildunfälle verhindert werden können, damit weniger Tiere auf deutschen Straßen den Tod finden.  (Foto: SWR, SWR Wissen)
Sicherheits-Test: Schwein trifft Mensch. Es wird gestestet, wie Wildunfälle verhindert werden können, damit weniger Tiere auf deutschen Straßen den Tod finden.

Wildunfälle vermeiden: Grünbrücken und Reflektoren helfen nur eingeschränkt

Ansätze zur Prävention von Wildunfällen gibt es einige. In Deutschland werden etwa neu gebaute Straßen mit Querungshilfen - also Grünbrücken - gebaut, damit Tiere sicher über die Straße kommen. Allerdings kann nicht jede Straße mit einer Grünbrücke ausgestattet werden, und eine solche Brücke ist gerade mal fünfzig Meter breit - eine Straße erstreckt sich aber über viele Kilometer.

Standard sind auch Wildwarn-Reflektoren am Straßenrand. Sie sollen mit einem "bedrohlichem blauen Lichtband" nachts die Tiere verschrecken. Doch Tests der Bundesanstalt für Straßenwesen zeigen: Für Menschen im Auto sind die Reflektoren zwar gut sichtbar, sie strahlen jedoch kaum Licht zur Seite ab, und ein Tier nimmt sehr wahrscheinlich kaum etwas davon wahr.

Technische Assistenzsysteme an Straßen und im Auto arbeiten unzuverlässig

Sogenannte automatische Wildwarnanlagen in Form von Tempolimit-Leuchtschildern warnen in Echtzeit, sobald die Kameras ein oder mehrere Tiere entdeckt haben. In einer Bewertungsstudie des Wildtierinstituts der FVA (Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg), zeigt sich jedoch auch hier, dass der Effekt fraglich ist.

Wir haben uns das über ein Jahr lang angeschaut und ein Knackpunkt ist, dass die Autofahrer*nnen die Geschwindigkeit nicht richtig reduzieren.

In ganz Deutschland gibt es lediglich zehn solcher Wildwarn-Anlagen, häufig mit technischen Mängeln wie Fehlauslösungen der Kameras, etwa durch Spinnweben vor der Linse.

Wir wollen immer Präventionsmaßnahmen, die woanders ansetzen, technische Lösungen, das Verhalten des Wildtieres beispielsweise, aber unser eigenes Verhalten, das wollen wir nicht ändern. Und das wäre die effektivste und einfachste Stellschraube. Wir fahren einfach langsamer, dann haben wir weniger Wildunfälle.

Tod auf der Straße: Wie lässt sich das Überleben von Luchsen sichern? Viele der Tiere werden überfahren, bevor sie geschlechtsreif sind. Wildunfälle sind in Deutschland ein unterschätztes Problem. (Foto: SWR, SWR Wissen)
Tod auf der Straße: Wie lässt sich das Überleben von Luchsen sichern? Viele der Tiere werden überfahren, bevor sie geschlechtsreif sind.

Wildunfälle: Mit richtigem Verhalten den Tod tausender Tiere verhindern

Langsamer fahren und so ein erfolgreiches Bremsen wahrscheinlicher machen, wäre eine wirkungsvolle und einfache Prävention, sind sich Fachleute einig. Auch ein allgemeines Tempolimit von 80 Stundenkilometer auf Landstraßen könne helfen. Bei Tempo 80 beträgt der Bremsweg eines PKW rund 60 Meter, bei Tempo hundert ist er etwa ein Drittel länger.

Wenn ein Zusammenstoß mit einem Tier unausweichlich ist: Mit voller Kraft bremsen und das Steuer gerade halten, nicht ausweichen.

Im Falle einer Kollision sollte die Unfallstelle abgesichert und die Polizei oder der örtliche Jagdpächter benachrichtigt werden. Verletzte Tiere besser nicht anfassen und nicht vom Unfallort entfernen. Die Stelle sollte markiert werden, damit verletzte Tiere gesucht werden können.

Wildtiere anzufahren ist nicht strafbar, Fahrerflucht zu begehen und einen Wildunfall nicht zu melden, allerdings schon.

Mehr zum Thema Wildunfälle

Enzkreis

Kreis wird zur Modellregion 500 Unfälle mit Wildtieren im Jahr: Enzkreis trifft Maßnahmen dagegen

Im Enzkreis gibt es besonders viele Wildunfälle. Deswegen wird das Gebiet zu einer Modellregion. In Zukunft sollen verschiedene Maßnahmen Unfälle verhindern. Erste Tests laufen.

Guten Morgen Baden-Württemberg SWR1 Baden-Württemberg

Stand
AUTOR/IN
Axel Wagner
Julia Nestlen
ONLINEFASSUNG
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)