Corona-Pandemie

STIKO empfiehlt zweite Booster-Impfung für alle über 60

Stand
Autor/in
Ralf Kölbel
Lisa Schmierer
Onlinefassung
Lilly Zerbst

Die Ständige Impfkommission empfiehlt die vierte Impfung jetzt auch für alle Menschen ab 60 statt bisher ab 70 Jahren. Damit schließt sie sich der Empfehlung der EU-Gesundheitsbehörde ECDC und der EU-Arzneimittelbehörde EMA vom Juli 2022 an. Laut Gesundheitsminister Lauterbach sollen sich hingegen auch Menschen unter 60 in bestimmten Fällen ein viertes Mal gegen das Corona-Virus impfen lassen.

In einem Gespräch mit dem Spiegel sagte der SPD Politiker Karl Lauterbach: "Wenn jemand den Sommer genießen und kein Risiko eingehen will zu erkranken, dann würde ich in Absprache mit dem Hausarzt auch Jüngeren die Impfung empfehlen." Man habe eine "ganz andere Sicherheit", argumentiert er.

Unklar ist laut Ulrike Till aus der SWR Wissenschaftsredaktion allerdings, aufgrund welcher Studien Lauterbach für die Impfung der unter 60-jährigen plädiert. Am Montag, den 11. Juli, hatte die europäische Arzneimittelbehörde EMA die aktuellen Studien bewertet und die vierten Impfung nur für Menschen über 60 empfohlen. Als Grund gab sie an, dass bei Senioren das Risiko für einen schweren Verlauf am höchsten sei und diese so noch einmal optimal geschützt werden könnten. Nach Ansicht vieler Fachleute sind Jüngere nach drei Impfungen hingegen sehr gut vor einer schweren Erkrankung geschützt.

Auch die Ständige Impfkommission (STIKO) zog am 18. August bei der Impfempfehlung nach: Sie setzt das Alter zur pauschalen Empfehlung einer vierten Impfung von 70 Jahren auf 60 Jahre herab. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der die STIKO kürzlich dazu aufrief eine entsprechende Empfehlung auszusprechen, begrüßte den Schritt.

Laut SWR Wissenschaftsredakteurin Ulrike Till weckt Karl Lauterbach überzogene Hoffungen, wenn es um die vierte Impfung und den Schutz vor einer Ansteckung geht: "Er hat gesagt, dass man mit der vierten Impfung praktisch ohne Risiko einer Erkrankung durch den Sommer kommt. Das Ansteckungsrisiko sei über mehrere Monate deutlich vermindert. Die Omikron-Variante BA5, die jetzt bei uns dominiert, kann den Immunschutz durch die Impfung oder Infektion aber viel besser umgehen. Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie Prof. Christine Falk und andere Experten haben schon vor Wochen betont, dass ein relevanter Schutz vor Infektion auch nach einer vierten Impfung gar nicht erreichbar sei." Man solle daher nicht mehr als einen mäßigen Schutz vor einer Ansteckung erwarten, auch nach der vierten Impfung.

EU Gesundheitsbehörde und EMA empfehlen Auffrischungsimpfung für alle ab 60

Die Corona-Infektionszahlen sind in Deutschland noch immer auf einem recht hohen Niveau. Dafür verantwortlich ist die Omikron-Variante des Coronavirus, deren Krankheitsverlauf zwar in den meisten Fällen milder als beispielsweise bei der Delta-Variante ist, aber vor allem für Immungeschwächte immer noch gefährlich werden kann.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides forderte die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, sofort für alle ab 60 und für alle anderen schutzbedürftigen Personen eine zweite Booster-Impfung anzubieten. Sie betonte: "Es gibt keine Zeit zu verlieren." Sie appellierte an die Bürger*innen, die Impfangebote wahrzunehmen, weil die Fallzahlen und die Krankenhauseinweisungen mit dem Beginn in die Sommerperiode zunehmen würden.

Menschen ab 60 und medizinisch anfällige Bevölkerungsgruppen seien, so die ECDC-Direktorin Andrea Ammon, diejenigen mit dem höchsten Risiko schwerwiegender Erkrankungen. Diesen Menschen nun einen zweiten Booster zu geben, werde eine erhebliche Zahl an Krankenhauseinweisungen und Todesfällen verhindern.

Bei Personen über 80 Jahren, die am meisten gefährdet sind und ohnehin eine schwächere Immunantwort entwickeln, kann eine vierte Impfung das Risiko schwerer Verläuf mindern.
Bei Personen über 80 Jahren, die am meisten gefährdet sind und ohnehin eine schwächere Immunantwort entwickeln, kann eine vierte Impfung das Risiko schwerer Verläufe mindern.

Empfehlung der STIKO: Vierte Impfung ab 60 Jahren

Nach aktuellen Angaben haben bislang 8,4 Prozent der Bevölkerung in Deutschland eine vierte Impfdosis, also eine zweite Auffrischimpfung, bekommen. Von der STIKO wird eine vierte Impfung derzeit für folgende Personengruppen empfohlen:

  • Für Menschen ab 60 Jahren,
  • für Menschen mit Immunschwächen ab fünf Jahren und
  • für alle, die in einem Alten- oder Pflegeheim wohnen oder betreut werden.
  • Zusätzlich gilt die Empfehlung auch für Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen und der Pflege.

Eine Ausnahme gilt für alle Gruppen: Wer nach der dritten Impfung bereits an Corona erkrankt war, dem empfiehlt die STIKO keine zusätzliche vierte Impfung.

Ziel der zweiten Booster-Impfung sei, besonders gefährdete Personen vor schweren Verläufen zu schützen und das Sterberisiko zu senken. Das RKI, an dem die STIKO angesiedelt ist, verweist in seiner Begründung auf Studien aus Großbritannien und den USA. Diese zeigen: Je länger die erste Booster-Impfung zurückliegt, desto geringer ist der Impfschutz vor einer symptomatischen Infektion mit der Omikron-Variante.

Für die vierte Corona-Impfung gibt es unterschiedliche Empfehlungen: Die Europäische Arzneimittelbehörde empfiehlt die vierte Impfung ab 80 Jahren, die die STIKO ab 70 und Karl Lauterbach ab 60 Jahren.
Für die vierte Corona-Impfung gibt es unterschiedliche Empfehlungen: Die Europäische Arzneimittelbehörde sowie die STIKO empfehlen die vierte Impfung ab 60. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach legt die Impfung auch Menschen unter 60 Jahren nahe. Diese sollen sich aber vorher mit dem Hausarzt absprechen, betont er.

So viel Zeit sollte zwischen dritter und vierter Impfung liegen

Zwischen dritter und vierter Impfung sollten der STIKO zufolge mindestens drei Monate vergehen. Beschäftigten in medizinischen Einrichtungen empfiehlt die STIKO, mindestens sechs Monate zwischen den beiden Auffrischungsimpfungen zu warten.

Das medizinische Personal soll die vierte Impfung aus zwei Gründen erhalten: Einmal um Versorgungsengpässe zu vermeiden, weil sich zu viel Personal infiziert und in Quarantäne oder Isolation muss. Zum anderen sollen dadurch Risikopatienten in den entsprechenden Einrichtungen besser geschützt werden

Carsten Watzl, Professor für Immunologie und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, sieht die Empfehlung für Pflegekräfte allerdings kritisch. Der Fremdschutz sei nämlich, so Watzl, auch nach einer vierten Impfung sehr gering.

Auch Geboosterte können sich mit dem Coronavirus infizieren und das Virus möglicherweise unbemerkt an andere weitergeben.
Auch Geboosterte können sich mit dem Coronavirus infizieren und das Virus möglicherweise unbemerkt an andere weitergeben.

Was für oder gegen eine vierte Corona-Impfung spricht

Karl Lauterbach stützte sich bei seiner Forderung nach einer europaweiten Empfehlung einer Viertimpfung für alle ab 60 Jahren auf die Ergebnisse einer israelischen Studie.

Die neue Studie aus Israel zeigt, dass eine 4. Impfung vier Monate nach dem Booster die Wahrscheinlichkeit, an Omicron zu versterben, schon für die über 60 Jährigen sehr deutlich senkt. In Deutschland nutzen viel zu wenige die 4. Impfung. Sie rettet Leben https://t.co/L6TXXN4dji

In dieser mittlerweile veröffentlichten Studie haben die Forschenden, Daten von mehr als 560.000 Menschen ab 60 Jahren analysiert. Ihr Ergebnis: Sieben von zehn coronabedingten Todesfällen in der Studie betrafen Probanden, die drei statt vier Mal gegen Corona geimpft wurden.

Das Risiko an Covid-19 zu sterben ist allerdings auch für dreifach Geimpfte bereits sehr gering. Zum Vergleich: Nach dreifacher Impfung sterben laut Studie ca. 10 von 10.000 trotz Impfung an Corona. Bei Vierfachgeimpften liegt die Sterberate bei etwa 3 von 10.000 Menschen. Kritiker bemängeln an der Studie allerdings den zu kurzen Beobachtungszeitraum von gerade einmal 40 Tagen.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine andere Studie des israelischen Gesundheitsministeriums: Wer sich vier Monate nach der dritten Impfung ein viertes Mal impfen lässt, kann den Schutz vor einer Infektion in etwa wieder verdoppeln.

Schutzwirkung lässt schnell nach

Einer weiteren Studie zufolge hält dieser Schutz allerdings nur kurz an. Bereits nach vier Wochen gehe er wieder zurück, nach acht Wochen war in der Studie zwischen drei- und vierfach Geimpften kein signifikanter Unterschied beim Infektionsschutz mehr erkennbar.

Der Schutz vor einem schweren Verlauf ging hingegen in dem Beobachtungszeitraum von sechs Wochen nicht zurück. Da dieser aber auch bei dreifach Geimpften sehr hoch sei, sieht Carsten Watzl, Professor für Immunologie und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, keine Notwendigkeit einer vierten Impfung für Immungesunde.

Die Schutzwirkung einer vierten Corona-Impfung scheint nach ein paar Wochen bereits nachzulassen.
Die Schutzwirkung einer vierten Corona-Impfung vor Ansteckung scheint nach ein paar Wochen bereits nachzulassen.

Immungesunde sollten lieber auf angepasste Impfstoffe warten

Der Immunologe Carsten Watzl hält auch deshalb eine Empfehlung des zweiten Boosters erst für Menschen ab 70 Jahren für ausreichend. Wer gesund ist, solle lieber auf die angepassten Impfstoffe warten. Aber: „Immungesunde Menschen – das kann auch ein 60-Jähriger sein, der immungesund und fit ist – können mit der Dreifachimpfung auch ein bisschen die Angst vor dem Virus verlieren – den Respekt sollte man aber nicht verlieren.“ Von einer absichtlichen Infektion rät Watzl deutlich ab.

Eine vierte Impfung würde, so die Einschätzung Watzls, auch niemanden schaden: „Es ist nicht so, dass eine vierte oder eine fünfte Impfung einen Erschöpfungszustand im Immunsystem auslösen würde.“ Mit mindestens drei Monaten Abstand seien auch mehrfache Impfungen für das Immunsystem kein Problem.

Laut einer deutschen Studie brauchen gerade ältere Menschen ab 80 Jahren weitere Auffrischungen, um eine gute Immunantwort aufzubauen und zu erhalten. Auch Immunologe Watzl hält eine vierte Impfung für Menschen ab 70 Jahren und Immungeschwächte für sinnvoll.

Die auf Omikron angepassten Impfstoffe lassen noch etwas auf sich warten.
Die auf Omikron angepassten Impfstoffe lassen noch etwas auf sich warten.

Wie sinnvoll ein angepasster Omikron-Impfstoff ist, hängt nach Einschätzung des Immunologen Carsten Watzl auch davon ab, welche Variante im Herbst vorherrschend sein wird. Der angepasste Impfstoff könne dabei helfen, eine bessere Immunität gegen mehr Varianten aufzubauen.

Stand
Autor/in
Ralf Kölbel
Lisa Schmierer
Onlinefassung
Lilly Zerbst