Gerade kleinere Kinder haben bei einer Corona-Infektion oft milde oder keine Symptome. Eine Ansteckung bleibt daher oft unbemerkt. (Foto: IMAGO, IMAGO/Westend61)

Corona-Pandemie

Studie: Coronainfektion bleibt bei Kindern oft unbemerkt

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Ralf Caspary
Horst Schroten
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Lara Bitzer
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Lange wurde darüber spekuliert, welche Rolle insbesondere kleinere Kinder für das Infektionsgeschehen haben. Eine groß angelegte Studie zeigt nun, dass viele kleinere Kinder wohl mit Corona infiziert waren, ohne es zu merken.

Im Gespräch mit SWR2 Impuls machte der Virologe Klaus Stöhr deutlich, dass viele Zahlen und Daten zum Verlauf der Corona-Pandemie immer noch nicht vorliegen würden. Das wäre aber wichtig, um im Rückblick zu analysieren, wie diese Pandemie verlaufen ist und was die Maßnahmen eigentlich gebracht haben.

Die Ergebnisse einer Studie mit Kindern schließt nun eine dieser gravierenden Datenlücken. Zwischen Juni 2020 und Mai 2021 wurden mehr als 10.000, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren rekrutiert und genau untersucht. Die Mediziner wollten herausfinden, ob ein gravierender Teil der Corona-Infektionen bei Kindern wirklich unerkannt bleibt, wie groß die Ansteckungsgefahr bei dieser Gruppe ist und ob Kinder Superspreader waren und immer noch sind oder nicht.

Professor Horst Schroten, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Universitätsmedizin Mannheim, hat die Studie initiiert. SWR Redakteur Ralf Caspary hat mit ihm gesprochen.

Kinder haben bei einer Corona-Infektion oft milde oder keine Symptome. Eine Ansteckung bleibt daher oft unbemerkt. (Foto: IMAGO, imago/Thomas Trutschel/photothek.de)
Kinder haben bei einer Corona-Infektion oft milde oder keine Symptome. Eine Ansteckung bleibt daher oft unbemerkt.

Ralf Caspary, SWR2: Was ist das wichtigste Ergebnis der Studie?

Horst Schroten, Facharzt für Kinderheilkunde mit Schwerpunkt Pädiatrische Infektiologie: Für uns ist das wichtigste Ergebnis, dass viele Kinder Infektionen haben, von denen sie nichts wissen, weil sie leicht verlaufen, aber durch die Antikörper nachgewiesen werden können. Das Ergebnis der Studie ist, dass es wichtig ist, solche Studien durchzuführen, um Zahlen, wie auch der Kollege sie gefordert hat, zu generieren. Denn bei Kindern vermutet man nicht direkt Corona, sondern denkt, die haben vielleicht eine Erkältung oder gar nichts – sind aber trotzdem infiziert.

Infektionszahlen hängen mit Alter des Kindes zusammen

Ralf Caspary: Also man kann sagen, ein großer Teil der Infektionen bei Kindern bleibt unerkannt. Ist dieses Ergebnis vom Alter der Kinder abhängig?

Horst Schroten: Ja, in der ersten Phase der Pandemie haben wir gesehen, dass Kinder unter drei Jahren mehr als dreimal so oft betroffen waren als ältere Kinder. Wie erklären wir uns das?

Wir erklären uns das damit, dass die Kleinen sehr engen Kontakt zu Erwachsenen haben. Junge Kinder sind beispielsweise mehr auf dem Arm der Mutter als die Älteren. Zu diesem Zeitpunkt waren eben die Erwachsenen zu Hause schon infiziert und haben dann die Kleinen angesteckt. Da die Kleinen nicht schwer krank wurden, blieb es unbemerkt. Ältere Kinder wurden weniger infiziert, weil sie nicht so engen Kontakt zu den Eltern haben.

Allerdings hat sich dieser Unterschied im Laufe der Studie angeglichen, wobei anzumerken ist, dass sich auch der Freiheitsgrad geändert hat. Das heißt, die Kindergärten wurden zum Teil wieder aufgemacht und so waren die kleinsten Kinder nicht mehr zuhause. Sie steckten sich so weniger bei ihren Eltern oder Geschwistern an.

Untersucht wurden bei der Studie nur Kinder, die ohnehin in medizinischer Behandlung waren. (Foto: IMAGO, imago/Science Photo Library)
Untersucht wurden bei der Studie nur Kinder, die ohnehin in medizinischer Behandlung waren.

Höhere Infektionszahlen bei Kinder mit Migrationshintergrund

Ralf Caspary: Sie haben auch untersucht, wie sich das Geschehen bei Kindern mit Migrationshintergrund dargestellte. Was ist dabei herausgekommen? 

Horst Schroten: Wir haben herausgefunden, dass Kinder ohne einen ausländischen Elternteil mit 2,8 Prozent betroffen waren. Kinder mit einem ausländischen Elternteil 4,4 Prozent und Kinder mit zwei ausländischen Elternteilen 7,8 Prozent. Das ist schon sehr beeindruckend und ich glaube, es ist wichtig, diese Zahlen zu erheben, auch in zukünftigen Studien.

Ralf Caspary: Diese Prozentzahlen beziehen sich auf die genaue Anzahl der positiv-infizierten Kindern, bei denen Corona-Antikörper gefunden wurden?

Horst Schroten: Ja, also praktisch haben wir viermal so viel infizierte Kinder, wenn beide Elternteile nicht aus Deutschland kamen gegenüber keinem ausländischen Elternteil.

Ralf Caspary: Wie lässt sich das erklären?

Horst Schroten: Das ist natürlich nicht sicher. Das kann daran liegen, dass die Berufe anders sind, dass die Mobilität dieser Leute anders ist, dass sie vielleicht beengter Leben beispielsweise in Großfamilien und so weiter. Deshalb müssen wir unbedingt Daten erheben, die in Deutschland beweisen, dass solche sozioökonomischen Daten wichtig für die Verbreitung der Pandemie sind. Das ist nichts Neues. Das hat man in den USA gesehen. Da wissen Sie, dass viel mehr Schwarze und Latinos gestorben sind aber in Deutschland hat niemand diese Daten erhoben.

Infektionszahlen wurden unterschätzt

Ralf Caspary: Stimmt es, dass wir nicht genau wissen, wie viele Kinder tatsächlich infiziert waren?

Horst Schroten: Ja, vorherige Studien haben uns immer niedrigere Infektionszahlen suggeriert als die, die wir jetzt herausgefunden haben.

Ralf Caspary: Was heißt das denn im Rückblick für die Pandemie? Und was heißt das vorausschauend für den weiteren Verlauf?

Horst Schroten: Im Rückblick muss man sagen, dass sich bestätigt hat, dass solche Seroprävalenzstudien gerade in der Kinderheilkunde notwendig sind, weil nur so realistisch eingeschätzt werden kann, welches Kind war positiv und welches Kind hat das wirklich durchgemacht?

Was die Zukunft betrifft, muss man sagen, dass wir die Studie noch ein halbes Jahr weitergeführt haben - bis Ende Oktober letzten Jahres. Die Ergebnisse sind noch nicht ausgewertet, aber wir können schon sagen, dass es einen ganz massiven Anstieg der Seroprävalenz in der darauffolgenden Zeit gab. Ich bin überzeugt, dass das jetzt noch viel höher ist, weil wir die Studie zu einem Zeitpunkt gemacht haben, als es noch kein Omikron gab und die Öffnungen noch nicht so weit waren, wie sie es jetzt sind.

Studie untersuchte das Blut der Kinder

Ralf Caspary: Seroprävalenz bedeutet: Sie haben das Blut untersucht?

Horst Schroten: Ja, wir haben das Blut untersucht, auf Antikörper gegen SARS-CoV-2. Wir haben die Kinder nicht extra deswegen untersucht, sondern wir haben nur Blut genommen, wenn sie auch aus anderen Gründen Blut abgaben. Wir untersuchten Kinder aus 14 Kliniken in ganz Deutschland über ein Jahr. Das ist nicht nur deutschlandweit, sondern weltweit die größte Studie. Nur durch solche Zahlen können wir auch in Zukunft, so glaube ich, den Politikern helfen bei dem was zu tun ist.

Regelmäßige Tests geben zumindest einen gewissen Hinweis auf das Infektionsgeschehen bei Kindern. (Foto: IMAGO,  IMAGO/Fotostand)
Regelmäßige Tests geben zumindest einen gewissen Hinweis auf das Infektionsgeschehen bei Kindern.

Ausblick für die Zukunft

Ralf Caspary: Was würden Sie in Zukunft vorschlagen, beim Umgang mit Kitas und Schulen? Erhöhte Aufmerksamkeit, erhöhte Test-Strategien und weitere Maßnahmen wie eine Maskenpflicht doch wieder einführen, weil die Zahlen doch höher waren als gedacht?

Horst Schroten: Also erhöhte Aufmerksamkeit auf jeden Fall. Bei kleinen Kindern sind Masken ja schwierig. Ich bin schon jemand, der eher positiv gegenüber Masken eingestellt ist. Ich bin der Meinung, dass genügend Daten da sind, die sagen, Masken helfen. Genauso sollte man auch großzügig in Kitas und Schulen testen. Insgesamt wird es so laufen, dass das Virus endemisch wird und der größte Teil der Bevölkerung infiziert wird.

Wenn wir jetzt nach Australien schauen, sehen wir immer etwas, was unseren Winter schon vorwegnimmt. Die haben, wie wir Alle, gelockert und sehen jetzt eine Zunahme an Coronainfektionen und eine Zunahme an Grippeinfektionen, und zwar eine ganz massive. Das haben wir in den letzten zwei Jahren praktisch nicht gesehen. Das wäre desaströs gewesen, wenn es sehr viele Grippe-Kinder und -Erwachsene gegeben hätte.

Und wenn das jetzt im Winter kommen sollte: Corona mit Omikron B5a und dann noch eine Grippewelle, dann kann es ein ganz heißer Herbst werden für das Gesundheitssystem. Darum finde ich, muss die Politik unbedingt Daten generieren, um möglichst früh entscheiden zu können, ziehen wir zum Beispiel die Prophylaxe mit Maske usw. an oder nicht?

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