Eine Spritze wird aus einer Covid-19-Impfstoffampulle aufgezogen. (Foto: IMAGO, IMAGO / Sylvio Dittrich)

Impfnebenwirkung

Wie verbreitet ist das Post-Vac-Syndrom?

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Lara Bitzer
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Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)
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Portraitbild der Reporterin Lilly Zerbst. (Foto: SWR)

Krank durch Corona-Impfung: Wer unter dem seltenen „Post-Vac-Syndrom“ leidet, erlebt Kopfschmerzen, Atemnot, chronische Müdigkeit und zum Teil auch schwerwiegendere Nebenwirkungen. Das Phänomen ist noch wenig erforscht. Wie verbreitet ist die Erkrankung und was kann man tun?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erntete für seine Aussage im August, die Corona-Impfung sei „nebenwirkungsfrei“ viel Kritik. Die Impfung gilt bislang als eine der effektivsten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. In sehr seltenen Fällen kann eine Impfung auch zu teils schwerwiegenden Symptomen führen. Auch Karl Lauterbach, selbst approbierter Arzt, forderte jetzt, dass das Post-Vaccine-Syndrom, auch Post-Vac-Syndrom genannt, besser untersucht werden müsse.

Post-Vac-Symptome treten später und intensiver als Impfreaktionen auf

Laut Robert Koch-Institut gehören Schmerzen an der Einstichstelle, Ermüdung, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und Schüttelfrost zu den normalen Reaktionen auf eine Impfung mit den in Deutschland zugelassenen mRNA-Covid-19-Impfstoffe.

Anders als bei direkten Impfreaktionen, kommen die Symptome bei Post-Vac meist erst zwei bis drei Wochen nach der Impfung zum Vorschein, erklärt Prof. Bernhard Schieffer, Leiter der Post-Vax Ambulanz am Uniklinikum Marburg. Wegen der ähnlichen Symptomatik zu Long-Covid, also den anhaltenden Beschwerden nach einer Corona-Infektion, wird das „Post-Vac-Syndrom“ teilweise medial auch als „Long-Covid nach COVID-19-Impfung" bezeichnet. Häufig treten Kopfschmerzen, Migräne, Schwindel, Übelkeit, aber auch Herz-Kreislauf-Beschwerden und Bewegungsstörungen auf, so Schieffer.

Älterer Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht hält sich die Hände an den Kopf. (Foto: IMAGO, IMAGO / PhotoAlto)
Kopfschmerzen können eine unmittelbare Reaktion auf die Corona-Impfung sein. Langanhaltend und intensiv treten die Schmerzen aber auch beiLong-Covid und dem Post-Vac-Syndrom auf.

Aber auch schwere Nebenwirkungen wie zum Beispiel Hirnvenenthrombosen, Lähmungserscheinungen, Herzbeutelentzündungen oder chronische Erschöpfungszustände können in sehr seltenen Fällen nach einer Corona-Impfung auftreten. Plötzliche Nebenwirkungen die erst Jahre später auftreten, wurden bislang bei keinem jemals entwickelten Impfstoff festgestellt und sind auch nach einer Corona-Impfung nicht zu erwarten.

Warum es so schwierig ist eine Diagnose zu stellen

Das Post-Vaccine-Syndrom ist zum Glück sehr selten – aber das ist auch ein Grund, warum die genauen Ursachen noch nicht gefunden wurden. Bei manchen Betroffenen sind Entzündungswerte stark erhöht, bei anderen gibt es fast gar keine Auffälligkeiten. Und bei so unterschiedlichen Befunden, ist es natürlich schwer, Standards für ein Diagnoseverfahren zu entwickeln. Aber natürlich wird dazu geforscht, vor allem wie die Krankheit entsteht.

Über die Ursachen kann bisher nur spekuliert werden. Möglicherweise werden durch die Impfungen bisherige Virusinfektionen reaktiviert – wie zum Beispiel das Eppstein-Barr-Virus, vermutet Prof. Camen Scheibenbogen von der Charité Berlin im Gespräch mit NRD Info. Auch bestimmte Antikörper sind im Verdacht, doch wissenschaftliche Publikationen gibt es dazu bisher noch nicht.

Risiko für Long-Covid wesentlich höher als für Post-Vac

Wie häufig das Syndrom nach einer Impfung tatsächlich vorkommt, lässt sich aktuell noch nicht sagen, wenn überhaupt grob schätzen. Laut Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts gibt es 0,29 Verdachtsfälle von schwerwiegenden Nebenwirkungen pro 1000 Impfungen, welche durch die Behörde registriert werden. Wirklich langanhaltende Symptome wie beim Post-Vac-Syndrom sind wahrscheinlich seltener. Konkrete Zahlen zum Post-Vac-Syndrom werden nicht genannt. Aus einem Bericht von Pfizer und Biontech lassen sich etwas konkretere Zahlen abschätzen: Fachleute sehen die Wahrscheinlichkeit bei 0,02 Prozent.

Zum Vergleich: Von Long-Covid , sind laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zehn bis 20 Prozent der Genesenen betroffen.

Das Risiko, länger anhaltende Beschwerden zu bekommen ist also nach eine Corona-Infektion um ein Vielfaches höher als nach einer Corona-Impfung.

Das Post-Vaccine-Syndrom tritt auch nach anderen Impfungen auf. Bei den Corona-Impfungen gibt es wegen der vielen durchgeführten Impfungen eben auch mehr Post-Vac-Fälle – aber der Anteil der Fälle ist laut der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) nicht ungewöhnlich hoch. Die Behörde hat dazu Daten aus 36 Staaten ausgewertet und keine Auffälligkeiten entdeckt.

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Geringe Datenlage, jeder kann Impfnebenwirkungen melden

Die Verdachtsfälle auf das Post-Vac-Syndrom nach einer Corona Impfung nehmen zu. Das berichtete das Paul-Ehrlich-Institut in einer Stellungnahme gegenüber dem SWR im Juli 2022. Jedoch lasse sich davon allein kein direktes Risikosignal ableiten, heißt es weiter. Denn in der Mehrzahl der deutschen Meldungen wurde die Diagnose nicht ärztlich bestätigt, so die Stellungnahme.

Impfarzt bei Besprechung mit einer jungen Frau im Ärztezimmer. (Foto: IMAGO, IMAGO / Wolfgang Maria Weber)
Ärztinnen und Ärzte müssen Nebenwirkungen gemäß des Arzneimittelgesetzes melden. Ein Teil der Meldungen erflgt an das Paul-Ehrlich-Institut.

Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte können aber ihrer Meldepflicht meist nur schwer nachkommen, meint Epidemiologe Dr. Klaus Stöhr. Für das Ausfüllen der entsprechenden Formulare benötige ein Arzt pro Patient im Schnitt 20 bis 30 Minuten, für die er keine adäquate Vergütung bekomme. Man dürfe auch nicht vergessen, so Stöhr gegenüber dem SWR, dass noch nie in so kurzer Zeit so viele Menschen geimpft wurden. Es fehle bislang die Infrastruktur, um Nebenwirkungen dann auch angemessen nachzuverfolgen.

Daher ruft das Paul-Ehrlich-Institut auch Betroffene dazu auf, Impfnebenwirkungen selbst online oder telefonisch an das Institut zu melden – mit dem dringenden Hinweis, zur Diagnose und Behandlung der Symptome umgehend einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen.

Wo können Betroffene Hilfe finden?

Wenn die Symptome über mehrere Wochen bestehen, hilft ein erstes Arztgespräch, um einordnen zu können, ob vielleicht ganze andere Ursachen wahrscheinlich sind. Besteht weiter der Verdacht gibt es deutschlandweit derzeit nur zwei spezialisierte Anlaufstellen für Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf das Post-Vaccine-Syndrom, wo man aber mit Wartelisten rechnen muss. Das ist einmal die Spezialambulanz am Universitätsklinikum Marburg und eine Sprechstunde der Charité in Berlin.

In vielen Städten und Gemeinden haben sich mittlerweile auch Selbsthilfegruppen gebildet, in denen sich Betroffene untereinander austauschen können. Vorsicht walten lassen sollten Hilfesuchende allerdings bei Empfehlungen zu fragwürdigen Therapien, die teilweise mehrere tausend Euro kosten können und von Patientinnen und Patienten im Zweifelsfall selbst bezahlt werden müssen. Solche Therapien können teilweise auch gravierende Nebenwirkungen haben, meint Prof. Christoph Kleinschnitz vom Universitätsklinikum Essen.

„Man muss verlangen, dass solche Therapien in klinischen Studien kontrolliert, anonymisiert und unter Ausschaltung des Placebo-Effektes geprüft werden. Das ist bisher nicht der Fall.”

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