Als das Nobelkomitee am 7. Oktober 2024 verkündete, wer in diesem Jahr den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhalten wird, saß Ralf Baumeister vor dem Livestream. Er ist Professor für Biologie an der Universität Freiburg. Für ihn war die Freude groß als die Namen der Preisträger genannt wurden: Victor Ambros und Gary Ruvkun.
Was Ralf Baumeister und die beiden Nobelpreisträger verbindet? Sie forschen an einem sehr unscheinbaren Tier, dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans, oder kurz C. elegans. In den 90er Jahren arbeitete Baumeister sogar mit Ruvkun zusammen. Anfangs wurde die Arbeit an den Würmern nicht ernst genommen. Doch mit jedem Nobelpreis, der die Forschung an C. elegans ehrt, wird die Bedeutung der kleinen Modellorganismen für die Forschung deutlicher.

Kleine Würmer, große Forschung
Der Fadenwurm C. elegans ist etwa einen Millimeter lang. Mit dem bloßen Auge kann man ihn gerade so sehen. Typischerweise leben die Würmer in ganz normaler Erde.
Seit den 1960er Jahren wird C. elegans als Forschungsobjekt immer beliebter, wie im Europäischen Molekularbiologielabor in Heidelberg. Hier holt Simone Köhler kleine Plastikplatten aus einem Brutschrank. Sie leitet hier eine Forschungsgruppe, die sich mit grundlegenden Mechanismen der Zellteilung beschäftigt.
Die Brutschränke, in denen die Würmer leben, sehen aus wie große Kühlschränke. Bei 20 Grad wachsen Sie hier auf weichen Agarplatten, die mit Bakterien angereichert wurden - als Snack für den Wurm.

C. elegans - ein pflegeleichtes Versuchskanninchen
Die Würmer essen nur eine Art von Bakterien. Das sei besonders praktisch, weil ihre Versorgung dadurch extrem billig und einfach sei, erklärt Köhler. Die Würmer sind nicht sehr aufregend, aber auch nicht sehr anspruchsvoll.
Ein Nachteil: Da die Würmer sehr klein sind, untersuchen die Forschenden sie unter dem Mikroskop. "Teilweise wollen wir wirklich einzelne Gewebe herausschneiden. Dann muss man die kleinen Würmer unter dem Mikroskop aufschneiden. Das ist einfach Übungssache", so Köhler.
"Frappierende Ähnlichkeiten" bei Mensch und Fadenwurm
Auch Ralf Baumeister hält C. elegans eigentlich für ein optimales Forschungsobjekt. Denn der Fadenwurm ist recht simpel. Damit eignet er sich sehr gut für Grundlagenforschung.
Und auch wenn man das auf den ersten Blick nicht so offensichtlich sieht, der Wurm hat viele Gemeinsamkeiten mit dem Menschen. Das war zu Beginn der Forschung nicht offensichtlich. Doch weil es so einfach ist, mit dem Wurm zu arbeiten, wurde er genutzt, um neue Methoden auszuprobieren.
Deshalb war C. Eleganz der erste mehrzellige Organismus, dessen Genom vollständig sequenziert wurde. Als einige Jahre später das menschliche Genom entschlüsselt wurde, zeigten sich "frappierende Ähnlichkeiten", so Baumeister. "Das sind heute ungefähr zwei Drittel aller menschlichen Krankheitsgene, die man in einer verwandten Kopie auch in C. elegant findet.“
Modellorganismus für schwere Erkrankungen
Heute erforscht Baumeister mit seiner Gruppe die genetischen Grundlagen von verschiedenen menschlichen Erkrankungen, zum Beispiel von Alzheimer, an C. elegans. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung nutzt die Ähnlichkeiten in der Physiologie von Wurm und Mensch, um beispielsweise die Gefährlichkeit von Chemikalien zu testen.
Ethisch vertretbare Tierversuche?
Für Ralf Baumeister und Simone Köhler bieten die Würmer die Möglichkeit, Tierversuche in großer Zahl durchzuführen. Dabei sei die moralische Hemmschwelle deutlich niedriger. „Das ist so, wie wenn man beim Autofahren Insekten auf der Scheibe hat. Da schreibt auch niemand einen Ethikantrag. Und C. elegans hat noch weniger Nervenzellen als irgendein Insekt“, so Köhler.

Die Wurmforschungsgemeinschaft hält zusammen
Ein weiterer ganz praktischer Pluspunkt für das Würmchen C. elegans: Man kann es einfrieren und zu einem späteren Zeitpunkt wieder auftauen. Die Tierchen sind robust. Das freut die Forschenden, wenn sie zum Beispiel in den Urlaub fahren wollen.
Aber es hilft auch, um sich eine ganze Wurmbibliothek anzulegen. Auch Simone Köhler hat etliche Wurmstämme weggefroren und damit jederzeit griffbereit. Zusätzlich gibt es ein weltweites Zentrum, das Wurmstämme sammelt. "Und wenn man so einen, der bereits veröffentlicht ist, haben will, kann man die einfach anschreiben. Und die schicken einem den dann zu", erklärt Köhler.
Dieses Teilen von Informationen ist typisch für die Wurmforschungsgemeinschaft. Gerade in der Anfangsphase sei das wichtig gewesen, meint Ralf Baumeister, weil niemand die Forschung so richtig ernst genommen habe. "Da hat man sich gegenseitig unterstützt. Inzwischen ist natürlich da auch ein gewisser kommerzieller Druck dahinter, nicht mehr vielleicht alles zu erzählen. Aber es ist immer noch, glaube ich, freundschaftlicher als bei manch anderem Forschungsgebiet.“
Und die Community ist nicht nur nett, sie ist auch erfolgreich. Seit 2002 wurden bereits vier Nobelpreise an C. Eleganz Forscher vergeben.