Niederländische Studie falsch interpretiert

Faktencheck: Schwächt der Biontech-Impfstoff das Immunsystem?

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Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)
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Julia Otto

Eine niederländische Studie hat untersucht, wie sich eine Biontech-Impfung auf die angeborene Immunantwort auswirkt. Die Studie schlägt bei Impfkritikern hohe Wellen. Doch sie wird falsch interpretiert.

Niederländische Studie zeigt Einfluss von Biontech-Impfstoff auf angeborene Immmunantwort

Die Preprint-Studie eines niederländisch-deutschen Forscherteams hat untersucht, ob der BNT162b2-Impfstoff von Biontech/Pfizer auch Effekte auf angeborene Immunantworten gegen verschiedene virale, bakterielle und pilzliche Stimuli haben kann. Das wurde an einer recht kleinen Probandengruppe mittleren Alters und guter Gesundheit getestet. Die Studie ist auch noch nicht gegengeprüft worden.

Die Studienautorinnen sagen, dass der Biontech-Impfstoff die gewünschte Wirkung des angeborenen Immunsystem gegenüber Sars-Cov-2 zeigt, aber auch eine Wirkung gegenüber einigen anderen Viren, Pilzen und Bakterien. Doch diese Reaktion der angeborenen Immunzellen auf andere Stimuli ist minimal.

Makrophage, T-Zelle, und B-ZelleDendritische Zelle (Foto: IMAGO, imago images/Science Photo Library)
Das menschliche Immunsystem ist sehr komplex. An Immunprozessen beteiligt sind unter anderen: Makrophagen, T-Zellen und B-Zellen/Dendritische Zellen.

Impfstoff beeinflusst das Immunsystem nicht generell

Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk erklärt das so:

"Es kann sein, dass deren Funktion dadurch ein bisschen verändert wird und dass sozusagen die Stärke der Reaktion auf andere Bakterien oder andere Infektionen durchaus mit verändert wird. Also man kann es messen, aber es ist jetzt keine generelle Beeinflussung des Immunsystems."

Trotzdem wird die Studie nun häufig fehlinterpretiert. Befeuert wird das durch Äußerungen des Virologen Alexander Kekulé im MDR-Podcast. Kekulé sagt:

„Es ist wohl so, dass durch die Impfung Abwehrmechanismen gegen bestimmte Viren und Bakterien gebremst werden. Das heißt, ich impfe gegen Sars-Cov-2 und es gibt eine Aktivierung der Antwort auf das neue Virus. Parallel aber wird die Antwort auf andere Viren gebremst. Gegen diese andere Viren ist man dann weniger gut immun.“

Makrophage mit Bakterien verschiedener Größen (Foto: IMAGO, imago images/Kateryna_Kon)
Dass die Impfung dazu führt, weniger gut auf andere Bakterien und Viren reagieren zu können, sieht Falk nicht so. Makrophagen werden durch die Impfung trainiert, es ist aber keine generelle Beeinflussung des Immunsystems.

Angeborene Immunantwort wird durch Impfstoff nur geringfügig beeinflusst

Die Immunologin Christine Falk sieht das anders. Sie erklärt, dass das angeborene Immunsystem – also vor allem die Makrophagen – durch die Impfung trainiert wird. Das sei aber keinesfalls eine komplexe Umprogrammierung der angeborenen Immunantwort, nur eine geringfügige Beeinflussung.

Und Falk stellt klar, dass sich die niederländischen Studie auch nur und ausschließlich auf unser angeborenes Immunsystem bezieht. Daneben gibt es aber auch noch die erworbene, spezifische Immunabwehr, zu der die T- und B-Zellen gehören und die unter anderem Antikörper produzieren. Das heißt, in der Studie wurde nur ein kleiner Teil der gesamten Immunantwort beobachtet.

"Das heißt, man darf jetzt nicht aus dieser Makrophagen-Sicht auf das gesamte Immunsystem schließen."

B-Zellen und Antikörper (Foto: IMAGO, imago images/Science Photo Library)
In der niederländischen Studie wurde nur ein Teil der Immunabwehr beobachtet. Es gibt nämlich auch noch die erworbene Immunabwehr, zu der die T- und B-Zellen gehören und die unter anderem Antikörper produzieren.

Makrophagen müssen auf Impfung reagieren

Denn das angeborene Immunsystem ist ein kleines Rädchen in einem Riesenkomplex von Immunreaktionen – sagt Christine Falk. Das angeborene Immunsystem sei wichtig, um eine gewünschte Immunreaktion zunächst anzustoßen. Denn zuallererst müssen die angeborenen Immunzellen – die Makrophagen – auf eine Impfung reagieren. Und dass sie auf den Impfstoff trainiert werden, diesen Mini-Effekt weist die niederländische Studie nach. Wichtig ist dabei:

"Die Auswirkungen auf die generelle Fähigkeit eines Menschen, auf einen Impfstoff zu reagieren, ist damit in keinster Weise in Frage gestellt. Und es erklärt auch niemals die Frage, ob man jetzt, wenn man gleichzeitig gegen Influenza geimpft wird, dann weniger Impfantwort hat. Das ist extrem unwahrscheinlich bis gar nicht der Fall, weil die haben die ganze Welt der T-Zellen und der B-Zellen. Und die reagieren so, wie sie immer sollen."

Immunzellen und Sars-CoV-2  (Foto: IMAGO, i)
Das Immunsystem kann durch ein Covid-19- Infektion tatsächlich nachhaltig geschädigt werden und nicht mehr so gut auf andere Erreger reagieren.

Immunsystem kann durch Covid-19 Infektion nachhaltig geschädigt werden

Für weitaus problematischer hält die Immunologin Christine Falk, dass das Immunsystem durch eine Covid-19- Infektion tatsächlich nachhaltig geschädigt werden kann. Ihr Fachbereich an der medizinischen Hochschule Hannover bereitet dazu gerade die Publikation einer Studie vor. Wenn man sich infiziert und einen schweren Verlauf hat, dann bildet das Immunsystem häufig zu viele Gedächtniszellen. Die Gefahr bei einer echten Infektion und schwerem Verlauf bestünde darin, dass man dann tatsächlich nicht mehr so gut gegen andere Dinge reagieren könne.

"Ganz schlicht weil das Immunsystem so stark in Richtung SARS CoV 2-Virus getrieben wurde, dass viele andere Dinge da nicht mehr Platz haben. Das könnte bei den Infizierten ein nachhaltiges Problem sein."

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Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)
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