Sprache

Was sagt die Forschung über die Wirkung des Genderns?

Stand
AUTOR/IN
Gábor Paál
Gábor Paál (Foto: SWR, Oliver Reuther)

Audio herunterladen (3 MB | MP3)

Grammatik hat Einfluss auf Bilder und Vorstellungen

Beim Streit ums Gendern geht es in den meisten Fällen um das sogenannte "generische Maskulinum", also die Frage: Reicht es, von "Schülern" zu sprechen, wenn man Schülerinnen mitmeint. Konservative Gender-Gegner argumentieren oft: Ja, das reicht, das sei ja eine rein grammatische Definition, dass die maskuline Mehrzahl auch die Frauen mitmeint. Man dürfe das grammatische Geschlecht – Fachausdruck: Genus – nicht mit dem natürlichen Geschlecht, dem sogenannten "Sexus" verwechseln. Die Sprachforschung zeigt aber, dass das grammatische Geschlecht sehr wohl einen Einfluss darauf hat, was für Bilder und Vorstellungen erzeugt werden.

Ein harmloses Beispiel: Im Deutschen ist es die Sonne und der Mond. Im Spanischen ist es umgekehrt: El sol, la luna. Tatsächlich gibt es Untersuchungen, wonach im spanischen Sprachraum die Sonne eher mit männlichen, sozusagen väterlichen Attributen versehen wird, der Mond mit weiblichen-mütterlichen. Im französischen Sprachraum, wo die Sonne ebenfalls männlich ist, wurde Ludwig XIV passenderweise als "Sonnenkönig" dargestellt. Wir Deutschen dagegen kennen den "Mann im Mond". Auch auf Kinderbildern oder Karikaturen bekommt der Mond im deutschen Sprachraum ein entsprechend männliches Gesicht. Die Grammatik hat also selbst dann einen Einfluss, wenn es um an sich geschlechtslose Objekte geht – auch wenn das Ausmaß dieses Effekts umstritten ist.

Wenn es allerdings um Personen geht, ist inzwischen recht gut belegt, dass wir bei Formulierungen wie "Die Lehrer" tatsächlich eher Männer vor Augen sehen als bei "Lehrerinnen und Lehrer".

Wann Bilder von "Männern" entstehen und wann eher nicht

Allerdings ist das keineswegs immer so. Darauf weist auch die Linguistin Carolin Müller-Spitzer vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache im Podcast von SWR2 Wissen hin. Aber es deutet sich eine Art Faustregel an: Bilder von "Männern" entstehen demnach vor allem dort, wo die Begriffe selbst bildhaft sind und sich auf anschauliche Tätigkeiten beziehen.

Wenn wir also Formulierungen hören wie "die Bäcker", "die Ärzte" oder "die Politiker", neigen wir schon dazu, nur Männer vor unserem geistigen Auge sehen. Bei anderen Begriffen besteht diese Gefahr weniger. Etwa wenn "die Stuttgarter auf die Straße gehen", oder wenn "Impfgegner protestieren". Denn die Wörter "Stuttgarter" und "Impfgegner" beschreiben keine anschauliche Tätigkeit. Allerdings: So viel Forschung gibt es dazu noch gar nicht, um aus den Daten eindeutige Schlüsse zu ziehen.

Gendersternchen erzeugt nicht zwangsläufig "geschlechtergerechte" Assoziationen

Umgekehrt ist es auch ein bisschen Wunschdenken zu glauben, dass man beim Lesen oder Hören eines Gendersternchens sofort an Menschen jeglicher geschlechtlicher Ausprägung denkt. Gerade in gesprochenen Texten hören viele statt der "Patient*innen", mit denen beide Geschlechter gemeint sind, eben doch die "Patientinnen" und wundern sich, warum die Männer nicht genannt werden. Hinzu kommt, dass Formulierungen mit Sternchen oder Doppelnennungen dazu führen, dass die Geschlechtsidentität in gewisser Weise überbetont wird, selbst bei Texten, in denen es überhaupt nicht um Geschlechterfragen geht.

Wie viele Geschlechter gibt es?

Diese Art zu sprechen ist zwar geschlechtergerecht gemeint, wirkt aber nicht immer so. Wenn ein Text von Politiker*innen spricht, sehen viele eben nicht Männer und Frauen in der Politik vor ihrem geistigen Auge, sondern sind mit ihren Gedanken eher bei dem- oder derjenigen, die diesen Text verfasst hat. Das alles sind keine Argumente, nicht zu gendern, sondern eher dafür, dass es für geschlechtergerechte Sprache kein Patentrezept gibt.

Wie man "schön gendert", ohne dass es auffällt

Mehr zu Gendern und Geschlechtern

Baden-Württemberg

Sorge um Entwicklung der Sprache Kretschmann gegen Gendern an der Schule – Kritik und Lob

Binnen-I, Unterstrich und Gendersternchen? Ministerpräsident Kretschmann, einst selbst ein Lehrer, ist strikt dagegen. Er warnt: Man dürfe es mit dem Gendern nicht übertreiben - und bekommt Zustimmung.

SWR1 Baden-Württemberg SWR1 Baden-Württemberg

Sprache Warum ist es DIE Donau, aber DER Rhein? Wovon hängt das Geschlecht von Flüssen ab?

Was das Geschlecht von Flussnamen betrifft, ist die wichtigste Regel im Deutschen, dass es keine Regel gibt – anders als zum Beispiel im Lateinischen. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Schwangerschaft Geschlechtsvorhersagen in der Schwangerschaft – Mythos oder Fakt?

Es gibt sehr viele Mythen oder Ammenmärchen in Bezug auf die Schwangerschaft. Sehr viele davon beschäftigen sich mit der Prädiktion, also mit der Vorhersage des Geschlechts. Von Mirjam Kunze | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

SWR2 Impuls SWR2

Derzeit gefragt

Ornithologie Benutzen Blaumeisen das Nest vom Vorjahr oder bauen sie neu?

Das alte Nest, so wie es ist, wird nie mehr direkt benutzt, sondern die Vögel bauen ein neues Nestchen darüber. Von Claus König

Hygiene Wie oft sollte man den Kühlschrank reinigen?

Ein- oder zweimal im Monat sollte man den Kühlschrank mit Spüli-Wasser auswischen. Man kann auch Essigwasser oder Zitronensäure nehmen. Man sollte die Dichtungen nicht vergessen und bei der Lagerung der Lebensmittel darauf achten, dass nichts offen ist.

Tiere Warum schreien Hühner, nachdem sie ein Ei gelegt haben?

Hühner haben ständig zu allen Situationen irgendwelche akustischen Kommentare abzugeben; sie sind ständig in akustischer Kommunikation. Und es sind hoch soziale Vögel. Das bedeutet, dass dieses Gegacker nach der Eiablage in diesem Zusammenhang gesehen werden muss. Von Hans-Heiner Bergmann

Tierverhalten Warum lassen Katzen sich in einem aufgeklebten Viereck nieder?

Wenn man ein Viereck auf dem Boden markiert, macht es sich die Katze darin gemütlich. Warum fühlt sich das Tier auf diesem kleinen Fleck wohl? Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Ornithologie In welchen Abständen legen Meisen ihre Eier?

Eine Blaumeise kann bis zu 12 Eier legen – jeden Tag eins. Trotzdem schlüpfen die Jungen alle gleichzeitig, denn gebrütet wird erst, wenn das Gelege vollständig ist. Von Hans-Heiner Bergmann

Rassismus Warum gibt es keine "Menschenrassen" – Tierrassen gibt es doch auch?

Der Vergleich mit Tierrassen führt in die Irre. Und auch die Genetik hat die Idee von Menschenrassen widerlegt. Von Gábor Paál | Dieser Beitrag steht unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.