Bis zu zehn Millionen Tonnen Algen werden Jahr für Jahr geerntet – und nicht nur für Sushi: Grüne Mikroalgen werden als Pulver oder Tabletten verkauft. Sie liefern zum Beispiel viel Vitamin B12.
Außerdem untersuchen Forscher Algensubstanzen, die hemmend gegen Viren und Bakterien wirken. Auch die Kosmetikindustrie hat mittlerweile die Algen für sich entdeckt. Und eines Tages könnten Flugzeuge mit Algenkerosin fliegen.
Algenzucht in Glasröhren
In einem riesigen Gewächshaus in der Nähe von Klötze in Sachsen-Anhalt bauen Jörg Ullmann und sein Team winzige Mikroalgen an, in einem 500 Kilometer langen Glasröhrensystem. Algen sind recht genügsam. Neben dem Sonnenlicht, das durchs Glas des Gewächshauses und die Röhren fällt, brauchen sie Wasser, Kohlendioxid und einige Nährsalze.
Die Algenfarmer in Sachsen-Anhalt vermehren zum Beispiel die einzellige grüne Mikroalge Chlorella vulgaris. Das fertige Algenpulver sieht aus wie feines, grünes Mehl. Pro Tag ernten die Mitarbeiter, je nach Wetterlage, zwischen 50 und 400 Kilogramm Algenpulver. Das sind pro Jahr im Schnitt zwischen 30 und 50 Tonnen nachhaltig erzeugte Biomasse. Zum Vergleich: Auf der gleichen Fläche kann ein Bauer gerade einmal sieben bis acht Tonnen Weizen anbauen.
Chlorella-Algenpulver liefert für Vegetarier wichtiges Vitamin B12
Chlorella-Pulver wie das aus Sachsen-Anhalt färbt mittlerweile nicht nur Nudeln grün, sondern auch Müsliriegel, Chips und Limonade. Der natürliche Farbstoff mag ein netter Nebeneffekt sein, aber bei der Chlorellanutzung als Nahrung geht es vor allem um den hohen Gehalt an Vitamin B12, das sonst in nennenswerter Menge nur in tierischen Lebensmitteln zu finden ist.
Ein Mangel an Vitamin B12 kann beispielsweise zu Depressionen, Muskelschwäche oder zu einer verminderten Herzfunktion führen. Seit einiger Zeit ist das Chlorella-Pulver in Tablettenform als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. Das komme für Vegetarier und Veganer in Frage, die häufig mit Vitamin B12 unterversorgt sind, sagt die Ernährungsmedizinerin Ulrike Neumann von der Universität Hohenheim.
Studien haben den positiven Effekt der Mikroalgen-Präparate als Vitamin B12-Lieferant belegt. Ein weiterer Pluspunkt für die Chlorella-Algen: Sie bestehen zu etwa 50 Prozent aus Proteinen, die Gattung Spirulina sogar zu etwa 60 Prozent. Arbeitskollegen von Ulrike Neumann arbeiten an der Uni Hohenheim bereits an einem „Algenschnitzel“.
Mikroalgen für die Hautpflege
Am Biotechnologie-Zentrum der Universität Bielefeld ist es Wissenschaftlern gelungen, die Mikroalge Chlamydomonas reinhardtii gentechnologisch so zu verändern, dass sie große Mengen eines gewünschten Produkts herstellt. Sie liefert Patchoulol, also Patchouliöl, das zum Beispiel in der Hautpflege oder als Duftöl Verwendung findet.
Eigentlich wird es aus einer südasiatischen Pflanze gewonnen. Mit der Patchoulolherstellung aus Algen wollten die Forscher um den Mikrobiologen Jan Mussgnug testen, ob die Methode im Prinzip funktioniert – ein sogenanntes „proof-of-concept“. Jan Mussgnug denkt darüber nach, Substanzen von Mikroalgen produzieren zu lassen, die dann in der Medizin eingesetzt werden könnten. Dafür ist aber noch viel Grundlagenforschung nötig.
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Algensprit im Flugzeugtank
Anfang Juni 2010 startet am Flughafen Berlin-Schönefeld eine kleine, zweimotorige Propellermaschine. Von außen ist nichts Besonderes zu erkennen. Die Weltpremiere steckt im Tank das Flugzeugs: Statt konventionellem Kerosin hat es Algenkerosin getankt. Zum ersten Mal überhaupt fliegt ein Flugzeug mit Algensprit. Es war damals ein erster Versuch, der gezeigt hat, dass Flugzeuge mit umweltfreundlichem Algensprit fliegen können.
Professor Thomas Brück, Leiter des Bereichs Industrielle Biokatalyse an der Technischen Universität München, forscht mit seinem Team seit Jahren an Algenkerosin. Bestimmte Algenarten aus den Gattungen Nannochloropsis oder Scenedesmus sind besonders ölhaltig, und die Umwandlung des Öls zu Kerosin ist inzwischen ein etabliertes Verfahren.
Doch noch ist ein Liter Algenkerosin mit etwa zwei Euro viermal teurer als ein Liter Kerosin aus Erdöl. Hier gebe es noch viel Forschungsbedarf, so Thomas Brück.
Aber die Münchner Algenforscher haben die Pläne für eine große Algenzucht-Anlage mit angeschlossener Raffinerie bereits in der Schublade. Jetzt müssten Investoren einen dreistelligen Millionenbetrag zur Verfügung stellen.
Spirulina-Alge fördert die Wundheilung
Algen können auch in der Medizin hilfreich sein. Erste Studien deuten darauf hin, dass bestimmte Substanzen aus Algen die Vermehrung von Viren hemmen können, erklärt Ulrike Neumann von der Uni Hohenheim. Der blaue Farbstoff Phycocyanin aus der Spirulina-Alge fördere die Wundheilung. Eine andere Studie legt nahe, dass ein karotinhaltiges Algenextrakt gegen Hautkrebs wirken könnte. Doch alles in allem ist die Studienlage zum gesundheitlichen Nutzen von Algen für den Menschen noch dürftig. Langzeitstudien fehlen bisher gänzlich, weil es sich um ein noch neues Forschungsfeld handelt.
Ähnlich wie Algen werden übrigens auch die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten von Pilzen derzeit intensiv erforscht.
Produktion 2018