Probenbesuch in Baden-Baden

Alles rund um Wagner: Currentzis und das SWR Symphonieorchester bei den Pfingstfestspielen

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AUTOR/IN
Judith Bühler

Bei den Pfingstfestspielen im Festspielhaus Baden-Baden dreht sich eine Woche lang alles um Richard Wagner. Den Auftakt macht das SWR Symphonieorchester mit seinem Chefdirigenten Teodor Currentzis. Neben Vorspiel und Liebestod aus „Tristan und Isolde“ und dem „Ring ohne Worte“ wird auch eine musikalische Wagner-Betrachtung des ukrainisch-russischen Komponisten Alexei Retinski zu hören sein. Ein Probenbesuch.

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Eine Uraufführung zu „Tristan und Isolde“

Spannung liegt in der Luft, die Bühne des Konzertsaals im Festspielhaus Baden-Baden ist komplett voll. Hinter einem Meer an Streichern, blitzen immer wieder die Trichter der Blechbläser im Scheinwerferlicht auf. Das Gold der vier Harfen glänzt. Konzentriert schauen die Musiker des SWR Symphonieorchesters auf die fließenden, aber mit klaren Impulsen versetzen Bewegungen ihres Dirigenten Teodor Currentzis. 

SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Teodor Currentzis (Foto: SWR, Moritz Metzger)
Seit Beginn der Spielzeit 2018/2019 ist Teodor Currentzis der Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters.

Was hier geprobt wird, ist eine Uraufführung: ein Vorspiel zum Vorspiel der Oper „Tristan und Isolde“, das beim Konzert ebenfalls zu hören sein wird. Aber passt das überhaupt: diese Klänge und Wagner?

„Es ist ja bekannt, dass Wagner den Spruch gebracht hat: Kinder schafft was Neues“, erklärt Henning Bey, Künstlerischer Planer des SWR-Symphonieorchesters. „Dass wir Bekanntes mit Neuem kombinieren, ist Wagnerscher Geist. Retinski setzt hier an, aber zitiert nicht bloß. Bei den Klangschichtungen weiß man schon, woher das kommt, aber es ist der Gedanke da: Wagner hat auch später Bayreuth als Laboratorium verstanden und das möchten wir hier auch abbilden.“

Atmosphärische Klänge in Retinskis „The Water Has No Hair“

Solo-Flötist Matvey Demin ist auf jeden Fall schon im Wagner-Fieber. Auch das Retinski-Werk fasziniert ihn: „Im Stück finde ich die Atmosphäre toll. Dass man direkt von Anfang an in diese magische Welt von Wagner reinkommt.“

„The Water Has No Hair“ – Das Wasser hat keine Haare – lautet der Titel. Der Komponist selbst erklärt, was es damit auf sich hat:

„Das ist ein Sprichwort der amerikanischen Indianer. Das hat mir einfach gefallen als Titel. Wasser ist diese flüssige Struktur, Haare sind wie Materie. Zwischen diesen beiden Punkten gibt es einen Konflikt. Tristan und Isolde haben die Liebe, aber sie können nur im Tod zusammen sein. In dieser Richtung sehe ich die Verbindung zwischen dem Titel und dem Liebestod-Konzept von Wagner.“

SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Teodor Currentzis (Foto: SWR, Alexander Kluge)
Ab 2025 wird François-Xavier Roth als Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters die Nachfolge von Currentzis antreten.

Retinski kombiniert west- und osteuropäische Einflüsse

Alexei Retinski ist auf der Halbinsel Krim geboren. Durch sein Studium in der Ukraine habe er west- und osteuropäischen Einflüsse in seiner Musik, aber auch Folklore und Techno gehören dazu. Er und Teodor Currentzis arbeiten immer wieder zusammen, seit Retinskis Frau dem Dirigenten vor Jahren einfach Arbeiten ihres Mannes zuschickte.

Die Antwort kam prompt. Das jetzige Auftragswerk entstand auch auf Currentzis Idee hin. Das Konzept des Komponisten dabei: „Es ist kein Kontrast, sondern Widerspiegelung sozusagen“, erklärt Retinski. „Wasser hat diese Möglichkeit und diese Widerspiegelung ist nicht so statisch wie bei einem Spiegel. Es ist immer bewegend. Mein Vorspiel macht diese Widerspiegelung aber nicht perfekt. Denn das wäre langweilig. Es ist eine ästhetische und künstlerische Widerspiegelung.“

Das Stück entwickelt sich: Wo sich anfangs einzelne Stimmen abwechseln, finden sie nach und nach zusammen - und dann blitzt er immer wieder durch, der Wagner-Sound, der hier und da wie durch Wellen im Wasser dekonstruiert wird.

 

SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Teodor Currentzis (Foto: SWR, Alexander Kluge)
Currentzis ist für seine unkonventionellen Interpretationen großer Klassiker bekannt. Im Rahmen der Pfingstfestspiele setzt er sich mit den Werken Wagners auseinander.

 „Wir vom Orchester sitzen alle auf Stuhlkante“

Natürlich wird es bei den Eröffnungskonzerten auch den ganz originalen Wagner-Klang geben. Für das Orchester übrigens etwas ganz besonderes, wie Solo-Klarinettist Sebastian Manz erzählt. Während der Lockdown-Zeit habe man zusammen Wagner geprobt, einfach nur um zu spielen und zusammenzuwachsen.

Daher ist er sich auch sicher: Das jetzige Programm wird nicht immer bequem für Hörer und Musiker, aber das darf auch so sein: „Teodor Currentzis will die Grenzen nicht nur ausloten, sondern verschieben. Wir vom Orchester sitzen alle auf Stuhlkante und spielen um unser Leben. Dann kann das gar nicht Komfortzone sein“, so der Klarinettist mit einem Lachen.

„Hier wird alles auf dem Silbertablett serviert – und zwar in extremsten Bereichen: Dynamik, Artikulation, Ausdruck in den Gesichter. Teo Currentzis wird schwitzen, wir hoffentlich auch und die ersten 15 Reihen werden nass. Man kriegt hier was für sein Geld.“

 

SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Teodor Currentzis (Foto: SWR, Moritz Metzger)
Vom 27. Mai bis 4. Juni finden im Festspielhaus Baden-Baden die Pfingstfestspiele statt. In diesem Jahr stehen sie ganz im Zeichen der Musik Richard Wagners.

„Ring ohne Worte“: Wagner zum Kennenlernen

Das ganze Programm, Retinski und Wagner, lohne sich in vielerlei Hinsicht, findet Flötist Matvey Demin.

Gerade der „Ring ohne Worte“ biete sich nicht nur für Wagner-Kenner an, sondern auch für solche, die es werden möchten: „Wenn man Wagner kennenlernen will, so wie ich, dann sind das glaube ich knapp 20 Stunden Musik zusammengefasst in 1 Stunde 10 Minuten. Ich glaube, das ist ein guter Grund, sich alle berühmten Themen hier anzuhören. In solcher Qualität, wie wir das leisten, das lohnt sich tatsächlich.“

Backstage-Talk Alexandre Kantorow bei den Pfingstfestspielen Baden-Baden: Kopf oder Zahl? Bauchgefühl!

„Er kann einfach alles“, schwärmt Teodor Currentzis über den Pianisten Alexandre Kantorow. Am 4. Juni ist er bei den Pfingstfestspielen Baden-Baden zu Gast. Im Gepäck: das Klavierkonzert Nr. 2 von Franz Liszt. Darüber, wie er das Klavier zum Singen bringt und welche Tricks er hat, spricht der 26-jährige Franzose im Backstage-Talk.

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Judith Bühler