Musikthema

Auf dem „untersten Platz“: Immanuel Kant und die Musik

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AUTOR/IN
Michael Rebhahn

Immanuel Kant, heute vor 300 Jahren geboren, ist einer der bedeutendsten Vertreter der abendländischen Philosophie. Seine „Kritik der reinen Vernunft“ steht wie keine andere Schrift für das Zeitalter der Aufklärung und für eine moderne, emanzipierte Gesellschaft. Kant war vielseitig interessiert: Neben der Philosophie hat er sich mit Geschichte, Rechtswissenschaft, Mathematik, Physik, Astronomie und Geologie beschäftigt. Mit den Künsten dagegen wusste er nicht allzu viel anzufangen. Und die Musik war ihm dabei allem Anschein nach am fremdesten.

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Die Musik auf dem letzten Platz

Man kann es einfach nicht anders sagen: Mit der Musik verband ihn alles andere als eine innige Zuneigung. Dem rationalen Aufklärer Immanuel Kant war die Tonkunst einfach zu gefühlig, zu wenig begrifflich und auch ihr, wie er sagte, »transitorischer Eindruck«, also ihre Flüchtigkeit in der Zeit, war ihm suspekt. Dementsprechend stand für ihn die Dichtkunst an der Spitze der Kunstrangliste, während es für die Musik weniger gut aussah.

Wenn man den Wert der schönen Künste nach der Kultur schätzt, die sie dem Gemüt verschaffen, und die Erweiterung der Vermögen, welche in der Urteilskraft zusammenkommen müssen, zum Maßstabe nimmt, so hat Musik unter den schönen Künsten den untersten Platz, weil sie bloß mit Empfindungen spielt.

Nicht sonderlich erkenntnisfördernd sei die Musik. Keine Begriffe, keine Gedanken — nur Affekte. Und sie habe, zumindest aus der Sicht Immanuel Kants, noch einen weiteren Makel: man hört sie — ob man will oder nicht. 

Der Musik hängt ein gewisser Mangel der Urbanität an, dass sie nämlich ihren Einfluss weiter als man ihn verlangt ausbreitet, und so der Freiheit anderer Abbruch tut. Es ist hiermit fast so, wie mit der Ergötzung durch einen sich weit ausbreitenden Geruch bewandt. Der, welcher sein parfümiertes Schnupftuch aus der Tasche zieht, traktiert alle um und neben sich wider ihren Willen, und nötigt sie, wenn sie atmen wollen, zugleich zu »genießen«.  

Sensibles Gehör

Wider Willen beschallt zu werden, musste dem Philosophen der Freiheit natürlich ein Graus sein. Schließlich handelten aufdringlich musizierende Nachbarn dem kategorischen Imperativ aufs Schärfste zuwider. Und sicher würde niemand wollen, dass die Erzeugung von »Musiklärm« allgemeines Gesetz würde.

Aber vielleicht war Kants Abneigung gegen akustische Nötigungen gar nicht so sehr ethisch motiviert. Der Philosoph scheint nämlich, wie sein Privatsekretär Wasianski zu berichten weiß, eine durch und durch geräuschempfindliche Person gewesen zu sein.

Eine Zeit lang wohnte er bei dem Direktor Kanter, aus dessen Hause ihn aber ein Nachbar vertrieb, der auf dem Hofe einen Hahn hielt, dessen Krähen unseren Kant im Gange seiner Meditationen zu oft unterbrach. Für jeden Preis wollte er ihm dieses laute Tier abkaufen und sich dadurch Ruhe verschaffen, aber es gelang ihm bei dem Eigensinn des Nachbars nicht, dem es gar nicht begreiflich war, wie ein Hahn einen Weisen stören könnte.

Ob das Schicksal des Hahns, hätte Kant ihn verkauft bekommen, mit dem kategorischen Imperativ vereinbar gewesen wäre, sei dahingestellt.

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Waren es wirklich nur Geräuschhaftigkeit und Gefühlsüberschwang, die ihm die Tonkunst verleidet haben? Oder war dem präzisen Denker, dem Regeln und Prinzipien über alles gingen, die Musik einfach nicht rational genug — und damit am Ende zu »gefährlich«?

Er selbst spielte kein Instrument, auch riet er keinem, der sich den Wissenschaften widmete, zur Musik, weil man durch sie zu leicht von wissenschaftlichen Beschäftigungen abgehalten würde. Auch hielt er es für rätlich, dass man eine Tochter eher von einem Koch in der Kochkunst unterrichten lassen möchte als von dem Musikmeister in der Tonkunst, weil sie sich bei ihrem künftigen Manne weit mehr Achtung und Liebe erwerben würde, wenn sie ihn nach vollbrachter Arbeit mit einer wohlschmeckenden Schüssel ohne Musik als mit einer schlechtschmeckenden mit Musik aufnehmen möchte.

Ein Fan der Wachtparade

Nicht unbedingt ein Plädoyer für die musikalische Bildung. Aber womöglich eine Bestätigung der These, dass die Tonkunst in Kants Verständnis einfach zu viel Unruhe ins Leben bringt. Dazu passt auch, dass eine Erscheinungsform von Musik, die der Königsberger Philosoph — laut seinem Privatsekretär — dann doch zu schätzen wusste, mit äußerster Disziplin zu tun hat.

Eine augenblickliche Unterhaltung gewährte ihm die Musik beim Aufziehen der Wachtparade. Er ließ, wenn sie bei seinem Hause vorbeizog, sich die Mitteltür seiner Hinterstube, in der er wohnte, öffnen und hörte sie mit Achtsamkeit und Wohlgefallen.

Müssen wir uns Immanuel Kant tatsächlich als Liebhaber preußischer Militärmusik vorstellen? Dabei hätte er doch eigentlich Joseph Haydn, seinen »Kollegen« in Sachen Aufklärung mit »Achtsamkeit und Wohlgefallen« hören müssen! Aber letztlich muss man ja nicht musikalisch sein, um einen genialen Philosophen abzugeben.

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Michael Rebhahn