Zwischenkriegszeit reloaded: Die US-Historikerin Tara Zahra führt durch ein Vierteljahrhundert weltweiter Abschottungspolitik. Eine meisterhafte Erzählung mit frappierenden Parallelen zum Heute.
Stefan Zweig, der Kosmopolit, verstand die Welt nicht mehr:
Mit diesem Auszug aus Zweigs Autobiographie „Die Welt von Gestern“ beginnt Tara Zahra ihr Buch „Gegen die Welt“, ihre Geschichte über „Nationalismus und Abschottung in der Zwischenkriegszeit“. Doch die Historikerin interessiert sich nur einleitend für die Perspektive des österreichischen Schriftstellers.
Erste „Globalisierung“ verschärft Ungleichheiten massiv
Im Zentrum ihrer Analyse steht viel mehr das, was Zweig und andere fortschrittsgläubige Internationalisten auf ihren Oberdecks nicht sahen: Nämlich die Ausbeutung und Drangsalierung der Reisenden in den Unterdecks.
Die erste „Globalisierung“, die massive Ausdehnung von Welthandel und Arbeitsmigration im späten 19. Jahrhundert, hatte ihre Gewinne höchst ungleich verteilt, schreibt Zahra, und dabei enormen Unmut auf sich gezogen. Die Versorgungskrise durch den lahmgelegten Welthandel während des Ersten Weltkriegs verschärfte insbesondere in Mitteleuropa das Misstrauen gegen die wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Die Spanische Grippe mit ihren Millionen von Toten ließ Einwanderung auf einmal als öffentliches Gesundheitsrisiko erscheinen. Der Quarantänezustand, einmal eingeübt, blieb aufrecht. Und die Weltwirtschaftskrise gab dem geschwächten System der internationalen Zusammenarbeit den letzten Rest.
Antiglobalistische Bewegungen beginnen an der Basis
Tara Zahra interessiert sich weniger für die viel beschriebenen ideologischen Kämpfe dieser Zeit. Ihr Fokus liegt auf dem Rückzug von der Welt, der in allen politischen Lagern schlüssig erschien. Ob im faschistischen Italien, im konservativen Österreich oder in den USA unter Roosevelt: Allerorts verfolgten Regierende eine Strategie der nationalen Souveränität, der Selbstversorgung, der „inneren Kolonisation“ und der massiven Beschränkung von Zu- und Abwanderung. Sie reagierten damit laut Zahra auf Druck aus dem Volk.
Fast überall scheiterten die Versuche einer nationalen „Autarkie“ kläglich, urteilt Zahra, wenn sie nicht gar, wie im Fall Nazideutschlands, in einen beispiellosen Vernichtungskrieg um sogenannten Lebensraum mündeten.
Irritierende Parallelen zum Heute
Über die Biographien sehr unterschiedlicher Persönlichkeiten – vom tschechischen Schuhmogul Tomáš Baťa bis zur New Yorker Krankenschwester Lilian Wald – nähert sich die Autorin dieser Ära der „Deglobalisierung“, die uns irritierend vertraut erscheint. Zahra macht keinen Hehl daraus, dass die Phänomene und Entwicklungen der Gegenwart – Trump, Brexit, Flüchtlingskrise, zuletzt Covid -– ausschlaggebend für ihr Erkenntnisinteresse waren.
Erkenntnisreich ist dieses Buch. Aber nicht nur das. Die originelle Konstruktion und Zahras prägnante Sprache verleihen dem schwierigen Stoff und der komplexen Argumentation eine wundersame Leichtigkeit. Dem Sog dieser großen, weltumspannenden Erzählung kann man sich nicht entziehen.