Literatur

„Il mondo al contrario“ – Der unglaubliche Erfolg eines rechtsradikalen Pamphlets in Italien

Stand
AUTOR/IN
Thomas Migge

Der jüngsten Untersuchung des italienischen Verleger-Verbandes zufolge lesen die Italiener immer weniger Bücher. Rund 65 Prozent aller Befragten lesen demnach – wenn überhaupt – nur ein einziges Buch pro Jahr. Umso erstaunlicher der unerwartete Erfolg eines Buches, das kein Roman ist, sondern ein gesellschaftspolitisches, eindeutig rechtsradikales Pamphlet: „Il mondo al contrario“ steht seit Wochen auf der Nummer eins der Bestsellerlisten.

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Ein Werk voll von Homophobie, Misogynie und Rassismus

„Es geht hier doch um das Recht auf freie Meinungsäußerung, das auch Mitglieder des Heeres haben”, verteidigte sich Generalmajor Roberto Vannacci in einem Interview. Er habe sich einiges von der Seele schreiben müssen, erklärt der 54-Jährige in seinem bei Amazon selbstproduzierten Buch „Il mondo al contrario“, übersetzt: „Verkehrte Welt“.

Schon gibt es Buchhändlerinnen und Buchhändler wie Clara Abatangelo, die das Buch nicht verkaufen wollen. Am Eingang zu ihrer Buchhandlung prangt ein Hinweis: „Es wird den Kunden empfohlen, nicht nach Vannaccis Buch zu fragen, denn hier wird es nicht verkauft”.

„Hier handelt es sich nicht mehr um das Recht auf Meinungsfreiheit“, erklärt sie, „hier werden Bevölkerungsgruppen auf die übelste Weise diskreditiert. Hier ist die Rede von Homophobie, Misogynie und Rassismus”.

Überall wittert Vannacci mächtige Minderheiten am Werke

 Vannaccis Text trieft nur so von homophoben, antifeministischen und ausländerfeindlichen Äußerungen. Schwule sind für Vannacci anormal, eine „schwule Lobby” dominiere die öffentliche Meinung, Feministinnen sind für ihn „Hexen” und Ausländer unterminieren die italienische Kultur.

Überall sieht er mächtige Minderheiten am Werke, die der Mehrheit der „Normalen” das Leben schwer machen. Schwarze Sportlerinnen und Sportler, die Italien bei internationalen Wettkämpfen repräsentieren, findet der Generalmajor bedenklich – denn ihr Aussehen entspreche ja nicht der „italienischen Ethnie”.

Seit Wochen auf Platz 1 der Bestsellerlisten

Das Pamphlet, vom dem man zunächst annahm, dass es nur in rechtsradikalen und neofaschistischen Kreisen Leser finden würde, wurde zum größten Bucherfolg Italiens seit Jahren. In den Bestsellerlisten landete es auf Platz eins und hält dort seit einigen Wochen die Stellung.

„Ein rechtsradikaler Putsch auf dem italienischen Buchmarkt”,

Rund 10.000 Exemplare werden jeden Tag verkauft. Das hetzerische Machwerk verdrängte damit sogar den Roman „Tre ciotole“ -  „Drei Schalen“ der erst vor kurzem verstorbenen Schriftstellerin und Antifaschistin Michela Murgia.

„Ein rechtsradikaler Putsch auf dem italienischen Buchmarkt”, so Buchhändlerin Clara Abatangelo: „Andauernd verlangen Kunden, dass wir das Buch bestellen. Ich werde als Antidemokratin beschimpft. Ich und meine Mitarbeiter erklären immer wieder, warum wir gegen dieses Buch sind”. 

Drück Vannacci aus, was viele denken?

Hat Generalmajor Roberto Vannacci mit seinem Machwerk eine Büchse der Pandora geöffnet? Drückt er aus, was viele denken aber sich bisher nicht trauten, ganz offen zu sagen?

Dieser Eindruck sei leider nicht von der Hand zu weisen, meint die Schriftstellerin Ginevra Bompiani: „Was mich beunruhigt, ist, dass dieses Buch in diesem Moment erscheint. Dank des Umstandes, dass eine extrem rechte Regierung am Ruder ist, fühlen sich viele Italiener dazu berechtigt, endlich das zu sagen, was sie bisher zurückhielten. Vannaccis gefährliche Äußerungen, und das ist ebenso schlimm, sind gar nicht so weit entfernt von dem, was auch verschiedene Regierungspolitiker denken”.

Vannacci soll bei den Europawahlen kandidieren

Wie etwa Matteo Salvini, Chef der ausländerfeindlichen Partei Lega und Vizeregierungschef von Italien. Er umgarnt bereits den Bestseller-General. Schon ist die Rede von dessen Kandidatur bei den nächsten Europawahlen. 

Und der strammrechte Kunsthistoriker Vittorio Sgarbi, derzeit Kulturstaatssekretär, frohlockte: Endlich habe man einen Schriftsteller, „der Dinge sagt, die doch nur dem gesunden Menschenverstand entsprechen.”

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