Marion Poschmann hat mehr Auszeichnungen erhalten, als sie Bücher veröffentlicht hat – und nun ist der mit 50.000 € dotierte Joseph-Breitbach-Preis noch dazu gekommen. Die 1969 in Essen geborene Autorin erhielt den Preis für ihr Gesamtwerk, das aus Lyrikbänden und Romanen besteht. „Die Kieferninseln“ war ihr bislang erfolgreichster Roman. Poschmann ist vor allem für ihr klare, poetische und einfallsreiche Sprache bekannt. Am Abend der Preisverleihung aber überraschte sie mit der Würdigung eines ganz anderen Genres.
Groschenromanhaftigkeit als Mittel der Hochliteratur
Marion Poschmann beschäftigte sich mit einem Literaturgenre, mit dem zu diesem Anlass vermutlich niemand gerechnet hätte: Dem Groschenroman. Ausgerechnet im Werk Joseph Breitbachs, nach dem der Preis benannt ist, machte sie Züge des Groschenromans aus.
Das war aber durchaus als Lob gemeint, denn – so Marion Poschmann – Breitbach benutze Groschenromanhaftigkeit als ein Mittel der Hochliteratur. Breitbach baue in seinen Erzählungen zuerst ein kompliziertes Gewebe aus Missverständnissen und Illusionen auf, um es anschließend wieder zu zerstören, so Poschmann in ihrer Rede. Es seien diese Strukturen des Groschenromans, die sich Breitbach zunutze mache.
Wertschätzung für ein unterschätztes Genre
Marion Poschmann spricht mit Wertschätzung über dieses Genre – sie selbst war Groschenromanleserin erzählt sie, schon als Kind, wenn ihr die Ferienlektüre ausgegangen war und es am Strandkiosk nichts anderes gab.
Auch später, als sie nach dem Studium anfing zu arbeiten und zermürbende Wege hinter sich bringen musste, griff sie im Zug lieber zu den Horrorgeschichten um den Geisterjäger John Sinclair als zu philosophischen Abhandlungen. Entspannung, Ablenkung, Unterhaltung – das bietet jegliche Form der Literatur auf ihre eigene Weise. Und sie beschreibt die komplexe Welt, in der wir leben, in einer verdichteten Form.
Gespür für Rhythmus, Klang und Farben in einem Text
Ein untrügliches Gespür für Rhythmus, Klang und Farben in einem Text – das ist das, was die Literatur von Marion Poschmann auszeichnet. Eine Sprache, die beim Lesen jegliches Bedürfnis nach Handlung überflüssig macht und die auch Übersinnliches plausibel erscheinen lässt.
Ein groschenromanhafter Geisterjäger war noch nicht dabei, aber selbst den würde Marion Poschmann sicher in die richtigen Worte kleiden.
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Literatur von Marion Poschmann
Buchkritik Marion Poschmann – Chor der Erinnyen
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Suhrkamp Verlag, 189 Seiten, 23 Euro
ISBN 978-3-518-43141-2