Pieter Claesz:  Stillleben (1640-1649)

Der schöne Schein von Stillleben

Tote Fische und schöne Sträuße – Das Stillleben hat Renaissance

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AUTOR/IN
Natali Kurth
SWR Autorin Natali Kurth
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Dominic Konrad

Zarte Blumen, saftige Früchte und teure Hummer: Im Barock war das Stillleben als Ausdruck der Opulenz und des Wohlstands ein beliebtes Bildmotiv. Doch bei allem Prunk erinnert das Stillleben auch an die Vergänglichkeit. Über die Epochen bleibt das Stillleben populär und inspiriert Maler, Bildhauerinnen und Foto-Künstler*innen bis heute – bis hin zum Foodporn in den sozialen Medien.

Jan Brueghel der Ältere: „Ein Korb mit Blumen“
Wie zufällig auf einem Spaziergang gepflückt erscheinen die rosa, weißen und gelben Blüten in Jan Brueghels „Blumenkorb“. Daneben ein kleineres Arrangement in einer Schale. Einige Blüten sind bereits heruntergefallen, denn die Pracht ist vergänglich.

Ein Balanceakt zwischen Leben und Tod

Frische Blumen gelten heute als Inbegriff der Freude. Sie werden aus Liebe verschenkt, erhellen den Tag und sind eine Augenweide. So sahen es auch viele Künstler im Barock. In der Blütezeit des Stilllebens gaben sie Blumen, Obst und reichen Speisen eine malerische Plattform.

So setzte Jan Brueghel der Ältere (1568-1625), ein niederländischer Maler an der Grenze zwschen Spätmanierismus und Barock, farbenfrohe Blumen prächtig in Szene, arrangierte sie in Körben oder Schalen und platzierte wie zufällig heruntergefallen einige Blüten daneben. Doch die Schönheit ist nur die eine Seite des Stilllebens.

Ausstellung „Gegen die Zeit“ mit Werken von Elizabeth Joan Clarke, Roland Albert und Sabine Steimer in Laundau:

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Denn zwischen Leben und Tod, zwischen Prunk und Verfall, zwischen Armut und Reichtum ist es auch in der Malerei oft nur eine Gratwanderung. Und das Arrangement praller Früchte, teuren Hummers, voller Weingläser und frischer bunter Blumen ist ein Balanceakt. Die dargestellten Früchte können ebenso verfault, der Hummer vergammelt, oder die Blumen verwelkt sein. Solche Szenarien bringt kaum ein Genre so treffend auf die Leinwand wie das „Stillleben“.

Dresdens Kunstsammlung stellt Adriaen von Utrechts Stilleben mit Hund und Katze vor

Das „Prunkstillleben“ zeugt von Luxus und Vergänglichkeit

In den Bildwelten von Adriaen van Utrecht (1599-1652) etwa, liegt ein appetitlich roter Hummer auf einer ausladenden Schale, daneben ein goldener Pokal und ein Korb mit überbordenden Früchten. Musikinstrumente sind Zeugen eines vergangenen Festes.

Der barocke Luxus im sogenannten „Prunkstilleben“ hat aber seine Grenzen. Es steckt voller Symbole: Hund und Katze scheinen sich an heruntergefallenen Knochen gelabt zu haben, die Schale einer kunstvoll angeschnittenen Zitrone hängt herunter. Ist der erstaunliche Realismus der Darstellung vielleicht ein Aufruf zur Mäßigung in dieser verschwenderischen Fülle?

Jean-Siméon Chardin: Der Rochen (ca. 1725-1726)
Der Pariser Maler Jean-Siméon Chardin (1699-1779) hat häufig Katzen in seine Stillleben integriert. Hier wirkt die schwarz-weiße Katze auf dem gedeckten Tisch angriffslustig. Heute hängt das Werk im Louvre, entstanden ist es um 1725.

Auch die moderne Malerei setzt auf dekorierte Dinge

Nach dem Barock war das Stillleben nach einer kurzen Durststrecke wieder äußerst beliebt. Edouard Manet (1832-1883), der als Wegbereiter der modernen Malerei gilt, arrangierte seine Stillleben nach altmeisterlicher Art. Zum Beispiel malte er ein Bündel dicker Spargel, das mit zwei Weidenruten zusammengehalten wird.

Edouard Manet: „Spargelbündel“ (1880)
Edouard Manets „Spargelbündel“ zeigt die Spargel so, wie man sie gerne auf dem Markt kaufen würde: Helles Licht fällt auf den weißen Spargel, der durch Weidenruten zusammengehalten wird.

Paul Cézanne (1839 – 1906), der sich nach Erfahrungen mit der romantischen und realistischen Malerei zunehmend dem Impressionismus verschrieb, platzierte in seinem Spätwerk „Stillleben mit Totenkopf“ etwa einen Totenschädel zwischen Äpfeln und Birnen.

Vergänglichkeit auf der einen, Genuss auf der anderen Seite. Die Irritation dieser „Memento-mori-Stillleben“ war offensichtlich Teil seines malerischen Programms.

Paul Cezanne: Stillleben mit Totenkopf (Nature morte au crâne)
Tiefe schwarze Löcher statt Augen und Nase: Der Totenkopf ist ein häufig verwendetes Accessoire in Cézannes Stillleben. Hier ist der menschliche Schädel ein Symbol für die Vergänglichkeit, umgeben von Birnen und Äpfeln. Das Obst soll dazu anhalten, zu überlegen, ob vergleichbar ist, was man vergleicht.

Das Stillleben wird mit Braque dreidimensional

Der gelernte Dekorationsmaler Georges Braque (1882-1963) schloss sich zunächst den Fauvisten an, faszinierte sich für Farben und deren Wirkung. Er malte in seinen Stillleben etwa Weintrauben, Vasen, Zitronen. Später war er Mitbegründer des Kubismus.

Georges Braque: Geige und Pfeife – das Alltägliche
Georges Braque führte das Stillleben aus seiner Eindimensionalität heraus. Mit Hilfe der Collage wurden seine abstrakten Werke dreidimensional und traten mehr und mehr optisch in den Raum herein.

Der französische Künstler setzte ab 1912 auf Collagen, arbeitete Tapetenstücke in seine Werke ein und führte das Stillleben aus seiner bisherigen Eindimensionalität heraus. Er nimmt daher eine Sonderrolle in der Geschichte des Stilllebens ein.

Foodporn – Das Stillleben der sozialen Medien

Die viral gehenden Fotografien des eigenen Essens, sei es aufgetischt in der heimischen Küche oder serviert beim Lieblingsitaliener, sind in gewisser Weise auch eine Art von Stillleben und sollen zeigen, was man sich alles leisten kann.

Das Stillleben spielt damit, dass es Prunk darstellt oder Vergänglichkeit und ich finde, dass das einen Nerv der Zeit trifft. (…) Wir haben Kriege vor der Haustür. Da haben wir das Thema Vergänglichkeit aktuell vor uns und auf der anderen Seite sehnen wir uns nach dem Schönen und Leichten und dem Luxus.“

Das Mahl auf dem Teller als Zeichen für einen beneidenswerten Lifestyle – soviel hat sich offenbar seit der Blütezeit des Stilllebens im Barock nicht geändert. Die künstlerische Qualität der meisten Schnappschüsse mit dem Handy, dürfte in den sozialen Medien allerdings nicht ganz an die Alten Meister heranreichen.

Foodporn: Stillleben des digitalen Zeitalters

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